Der Placeboeffekt und seine Wirkung auf das Immunsystem

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Über den - oder richtiger: die Placeboeffekte, ist in diesem Forum schon öfter geschrieben worden.

Der lateinische Begriff Placebo bedeutet so viel wie "Ich werde gutes tun!"
Der Placeboeffekt – Schlüssel zu unserer inneren Apotheke
Schon der Glaube an die Wirksamkeit eines Medikamentes kann zu besseren Heilungserfolgen führen. Und es sind sogar Fälle beschrieben, in denen Medikamente ohne Wirkstoff positive Effekte ausgelöst haben. In der Medizin werden solche scheinbar nutzlosen Medikamente Placebo genannt. ... Doch immer wieder wird beobachtet, dass auch in Kontrollgruppen unerwartet starke Heilungseffekte auftreten. Eine mögliche Erklärung dafür bietet die Erwartungshaltung der Patienten der Kontrollgruppe.
Wer an die Wirkung des Medikamentes glaubt, kann scheinbar über die Mobilisierung der Selbstheilungskräfte den Heilungsprozess positiv beeinflussen.
www.planet-wissen.de/pw/Artikel

Aber nicht nur Pillen oder Spritzen können unsere Selbstheilungskräfte aktivieren. Genau so gut können Kleidung, Utensilien und Rituale der behandelnden Ärzte wirken. Dieses Prinzip funktioniert in allen Kulturen. Bei den Schamanen im Südamerikanischen Regenwald genauso, wie bei den Ärzten und Krankenschwestern in einem mitteleuropäischen Operationssaal. Wichtig ist, dass der Patient sich im Mittelpunkt des Interesses wähnt, dem Arzt und der Therapie vertraut und sich gut aufgehoben fühlt. Sind diese Randbedingungen gegeben, verlaufen sogar Scheinoperationen erfolgreich, wie sie ein Chirurg aus Texas im Rahmen einer Studie über Knieoperationen durchführte. Alleine die Hoffnung auf Heilung und das Vertrauen in die Kompetenz des behandelnden Arztes führten bei schein-operierten Patienten zur Genesung.
www.planet-wissen.de/pw/Artikel

Offenbar spielen auch Konditionierungseffekte eine Rolle:
Prinzip der Konditionierung

Am Institut für Psychologie der Uniklinik Essen untersuchten Wissenschaftler, inwieweit sich das Immunsystem von Menschen ausschließlich durch einen erlernten Reiz unterdrücken lässt. Basis dafür ist das Prinzip der klassischen Konditionierung. Dazu bekamen gesunde Testpersonen eine Woche lang täglich eine neuartig schmeckende, auffallend grüne Flüssigkeit zusammen mit einem Medikament, das das Immunsystem unterdrückte.

In der zweiten Woche erhielten sie das grüne Getränk zusammen mit einer wirkstofffreien Placebokapsel. Das Immunsystem der Probanden sollte so auf dieses Getränk "konditioniert" werden. Bei der anschließenden Blutuntersuchung zeigte sich, dass das Immunsystem der Probanden tatsächlich auch ohne wirksames Medikament reagierte.

www.arte.tv/de/wissen-entdeckung/hippokrates/765338.html

Herzliche Grüße von
Leòn
 
3sat.online

3sat.online

Die Sendung in 3sat war wirklich hochinteressant, auch durch die Zusammensetzung der Teilnehmer.
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Aus einem Aufsatz über Placebos:
...
"Placebos sind die Geister die durch das Haus unserer biomedizinischen Objektivität spuken, die Kreaturen, die aus der Dunkelheit auferstehen und die Paradoxien und Risse in unseren selbst geschaffenen Definitionen der wirklichen und aktiven Faktoren in der Behandlung bloßstellen". (3)

Dieses Zitat aus einem der bedeutendsten Bücher über Placebos im letzten Jahrzehnt beschreibt am besten das Problem, dem man sich bei der Beschäftigung mit dem Placebo gegenübersteht.

Die erste und oft schmerzliche Lektion, die der Placeboeffekt erteilt, ist, dass das scheinbar Selbstverständliche schlicht nicht zutrifft. H.Fields sagt sehr treffend, dass der größte Feind beim Verständnis des Placeboeffektes der gesunde Menschenverstand ist. (4)

Diese "störende Variable" Placebo scheint bisher mit keinem Erklärungsmodell fassbar zu sein (Suggestion, Stress, Konditionierung, psychosomatische Modelle). Kein Modell führt in der praktischen Beobachtung zu den erwarteten Ergebnissen. So wird z.B. Suggestion für den Placeboeffekt verantwortlich gemacht, Studien zeigen aber, dass Suggestibilität nicht mit einem höheren Placeboeffekt korreliert. (5)

Dennoch wird, wie in Shapiros Definition, davon ausgegangen, dass solche Erklärungsmodelle wirksam sind, was ein schlichter Fehler ist. Man kann ein Modell nicht zur Anwendung bringen, das mit den beobachteten Effekten nicht übereinstimmt.

Die Verwirrung ist so groß, dass je nach Definition, gewisse Substanzen als Placebo betrachtet werden können, nach einer anderen aber nicht.(6)
....
Beispiel meines ersten Kontaktes mit einem Placebo verdeutlichen. Ich war Assistenzarzt in einer Reha-Klinik und wurde nachts um 2 Uhr zu einer Patientin gerufen, die am 5. Tag nach einer Bandscheibenoperation unter sehr starken Schmerzen litt. Die angesetzte orale Medikation war ganz ausgeschöpft, ohne auch nur den geringsten Effekt zu haben (8). Sie meinte, nur eine Injektion könne ihr helfen. Also injizierte ich eine Ampulle physiologische Kochsalzlösung. Noch während der Injektion entspannte sich die Patientin und schlief in meinem Beisein sofort ein. Sie erwachte am nächsten Morgen erfrischt und fast schmerzfrei.

Dies ist wohl ein unstreitiges Beispiel eines sogenannten "Placeboeffektes" und entspricht optimal den bekannten Kriterien unter denen bei Schmerzpatienten ein Placeboeffekt zu erwarten ist: Vormedikation, starke Schmerzen, Erwartungshaltung und Injektion.

Wie passt dieser Vorgang nun zu unseren medizinischen Konzepten? Was ist die Grundlage, die uns dazu bringt, hier einen Placeboeffekt zu sehen und zu definieren? Diese Mechanismen müssen klar aufgezeigt werden, denn sie führen sonst in etwas undeutlicheren Fällen zu den bekannten Verwirrungen und Fehlschlüssen.

Das geschilderte Beispiel wäre ganz unbedeutend, wenn ich eine Ampulle Diazepam injiziert hätte. Für jeden wäre das Ergebnis selbstverständlich gewesen. Da aber hier die Injektion von physiologischer Kochsalzlösung diesen Effekt hervorgerufen hat, sagen wir es sei ein Placebo. Umgangssprachlich formuliert könnte man sagen: Physiologische Kochsalzlösung ruft solche Effekte nicht hervor. Das ist die generelle, oft angewandte Logik. Aber natürlich ist diese Logik nicht logisch. Das Beispiel ist ja gerade der Beweis dafür, dass physiologische Kochsalzlösung solche Effekte hervorruft.

Und genau dies ist ein oft übersehenes Phänomen in der Diskussion über Placebos: Ein therapeutischer Effekt wird als nicht-therapeutisch erklärt. Die Umkehrung der kausalen Logik ist die Definitionsgrundlage des Placeboeffektes. Erst dadurch, dass etwas therapeutisch wirksam ist, kann es zum Placebo werden. (9)

Eine Injektion von physiologischer Kochsalzlösung kann also analgetisch und hypnotisch wirken (10). Dies ist eine gesicherte Tatsache!

Ein Argument ist, dass aufgrund der Stoffwechselwirkung eine Analgesie nicht möglich ist. Mit anderen Worten: Es gibt kein Modell für die analgetische Wirkung von physiologischer Kochsalzlösung. Das ist richtig und unwissenschaftlich, entspricht aber Shapiros Definition der spezifischen Aktivität. Eine Wirkung kommt nicht dadurch zustande, dass wir ein entsprechendes Modell haben. Das Modell muss die Fakten erklären und nicht die Fakten das Modell.

Dies ist ein sehr häufig gemachter Fehler: Eine Substanz wird als Placebo definiert, weil der Autor sich einfach nicht vorstellen kann, dass diese Substanz wirken kann. Das kann aus Unwissenheit geschehen. So sagt Shapiro, in einer sehr selbstgefälligen Art, dass von den "4.785 Medikamenten", die im Altertum angewendet wurden, mit wenigen Ausnahmen "alle Placebos waren" (11). Er reiht unter die Placebos u. a. Mandragora, eine alkaloidhaltige Pflanze, mit der in der Medizingeschichte die ersten Narkosen durchgeführt wurden. Hier kann ihm die Unwissenheit im Sinne von Nichtwissen bekannter Tatsachen schlicht nachgewiesen werden, ebenso wie bei Gauler/Weihrauch, die sagen: "Paracelsus...machte sich den Placeboeffekt seiner Heilmittel zunutze:.....das Cheledonium aufgrund der Farbe seines Saftes als Galle- oder Lebermittel". (12)

Sowohl im Fall der Mandragora als auch des Chelidoniums wird eine, nach heutiger Ansicht, wirksame Substanz als Placebo angesehen, schlicht weil das Wirkmodell abgelehnt wird. Ein grundlegender, aber häufig vorkommender Fehler, der von dem Fehlschluss ausgeht, dass wir die Wirkprinzipien alle kennen.

Oft werden Substanzen als Placebos bezeichnet, zu denen überhaupt keine Studien oder Konzepte vorliegen wie z.B. Vipernfleisch, Schwalbennestern, gemahlenem Steinpulver und eine Vielzahl anderer alter Heilmittel (13). Das ist, solange nicht klare Erkenntnisse vorliegen, eine nicht zulässige Aussage.

Das Wirkmodell als Definitionsgrundlage für Placebos zu machen führt zu einer unabsehbaren Reihe von Paradoxien. Es würde zunächst bedeuten, dass ein Modell eine Substanz zu einem Medikament macht und ein fehlendes Modell eine Substanz zu einem Placebo. Das widerspricht der experimentell-wissenschaftlichen Grundlage der Medizin. So wäre Jenners Pockenimpfung zunächst ein Placebo gewesen und erst mit Nachweis des Wirkmechanismus zum Medikament geworden. Dasselbe gilt für Aspirin. (14)

Ein weiterer Fehler der Modellhypothese ist, dass wir zu fast jedem ärztlichen Handeln ein Modell besitzen. Es stellt sich dann ganz schnell die Frage: glaube ich an ein Wirkmodell; glaube ich, dass Aderlass zu einem Abfluss von schlechten Substanzen führt, glaube ich, dass Digitalis zu einer Herzstärkung führt oder nicht?

Das ist natürlich wissenschaftlicher Unsinn. Wirkung kommt nicht durch Mehrheitsentscheidung zustande sondern durch "objektivierbare Beobachtung". Dies ist zumindest die Grundlage unseres heutigen wissenschaftlichen Verständnisses.

Die Folge aus diesen Ausführungen ist, dass die Aussage "Homöopathie kann nicht wirken, da sie keinen Wirkstoff enthält, der wirken könnte" falsch ist.

Physiologische Kochsalzlösung ist also nicht deswegen ein Placebo und kein Analgetikum weil ein biochemisches Modell fehlt, sondern weil es in der Regel nicht als Analgetikum wirkt.

Aus der Beobachtungssituation lässt sich also nur sagen, dass ein Placebo in der Regel eine bestimmte Wirkung nicht hat (gelegentlich hat es sie ja) und ein Verum in der Regel eine bestimmte Wirkung hat (gelegentlich hat es sie ja nicht). Es gibt theoretisch (und praktisch ist es ja dasselbe) keine klare Trennung von Placebo und Verum, sondern es handelt sich um eine willkürliche Bewertung auf der Wirksamkeitskoordinate. Ein Verum wird zum Verum, wenn es in der Beobachtung sich häufiger als wirksam erweist als ein Placebo. Verum und Placebo sind statistische Größen, die einander bedingen.

Dies führt zu einer faszinierenden Schlussfolgerung: Verum oder Placebo sind, Begriffe, die nicht auf einen Einzelfall angewendet werden können, sondern es handelt sich per definitionem um Beschreibungen eines Kollektivs.....
Placebo

Gruss,
Uta
 
Zuletzt bearbeitet:
Moin ihr Beiden,

was passiert wenn der "umgekehrte Palcebo-Effekt" zuschlägt, davon kann ich jetzt ein Lied singen.

Weil egal warum ich nun gestern Darmbezogen reagiert habe - ich hätte nicht reagieren dürfen....somit ist die Testung gelaufen und ich muss weiterhin alles essen - egal wie es mir damit geht.

Liebe Grüße,
Cailly
 
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