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Wie ist das nun mit der synthetischen und der natürlichen Folsäure? Gibt es da wissenschaftlich nachvollziehbare Unterschiede?
A. Just: Selbstverständlich. Bei der Folsäure handelt es sich prinzipiell um eine synthetische Verbindung, die es als solche in der Natur gar nicht gibt. Die natürlichen Formen sind Folate. Der beim Menschen mit einem Anteil von mehr als 90% wichtigste Metabolit ist 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF), das auch die überwiegende Transport- und Speicherform darstellt.
Und was bedeutet das praktisch? Macht es einen Unterschied, ob der Körper nun Folsäure oder ein natürliches Folat bekommt?
A. Just: Unter Umständen ja. Die Umwandlung der synthetischen Folsäure in ihre biologisch aktive Form muss vom Körper nämlich mithilfe eines bestimmten Enzyms, der 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR), durchgeführt werden. Diese wandelt Folsäure in 5-MTHF um. Leider ist dieses Enzym nicht bei allen Menschen gleich effizient. Die Ursache ist eine genetische Disposition im Sinne eines Enzympolymorphismus, verursacht durch eine Punktmutation, also durch ein einziges Gen. Die Enzymaktivität ist bei homozygot Betroffenen um etwa 75%, bei heterozygoten Merkmalsträgern um ungefähr 30% reduziert. Das bedeutet also, dass die Betroffenen synthetische Folsäure deutlich schlechter in den natürlichen Metaboliten umwandeln können. Dieses Problem ist sehr häufig. Insgesamt sind in Mitteleuropa rund 50% aller Frauen betroffen, wobei die Mutation in der Mehrzahl heterozygot vorliegt. Wird der Bedarf mit Nahrungsfolat gedeckt, spielt es keine Rolle, ob ein genetischer Polymorphismus im Enzym MTHFR vorliegt. Nur kann man bei Nahrungsfolat eben nie sicher sein, ob man die in der Schwangerschaft empfohlenen Dosierungen auch wirklich erreicht.
Hat das praktische Bedeutung?
A. Just: Durchaus. Es gibt mittlerweile eine Reihe von Studien, die zeigen, dass Frauen, die von Schwangerschaftskomplikationen betroffen sind oder ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt zur Welt bringen, häufiger den homozygoten – und zu einem bestimmten Grad sogar den heterozygoten – Genotyp aufweisen. Auch in den Kinderwunschkliniken sieht man diese Frauen häufiger, da Folatmangel ja auch zu Infertilität führen kann.
Gibt es Tests, mit denen man erkennen kann, ob man von dieser Punktmutation betroffen ist?
A. Just: Ja, die gibt es. Allerdings sind sie aufwendig und werden von den Krankenkassen nicht bezahlt. Ich halte diese Tests in der klinischen Praxis auch für vollkommen sinnlos, zumal man ja ohnedies die Möglichkeit hat, statt mit synthetischer Folsäure mit dem natürlichen 5-Methyltetrahydrofolat zu supplementieren. Das heißt also, die einzige Konsequenz einer teuren Untersuchung bestünde darin, eine Substanz einzusetzen, die man ohne irgendwelche Nachteile auch einfach bei allen Patientinnen verwenden kann. Das gilt ganz besonders für Kinderwunsch-Patientinnen, bei denen die Wahrscheinlichkeit eines genetisch bedingten Folatmangels ja höher ist.
Die natürliche Folsäure, also das 5-Methyltetrahydrofolat, gibt es also auch für die Supplementation?
A. Just: Ja, Metafolin® ist die Folatverbindung der körpereigenen, biologisch aktiven Folatform, es ist direkter verfügbar und wird besser verwertet als Folsäure. Kalzium-L-Methylfolat ist mittlerweile auch synthetisch herstellbar und wurde von der Europäischen Kommission 2006 in die Richtlinien für Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel aufgenommen.
Sehen Sie einen Vorteil im Vergleich zur Einnahme von synthetischer Folsäure?
A. Just: Wenn man statt synthetischer Folsäure Metafolin gibt, kann man sicher sein, dass man mit der gewählten Dosis auch den gewünschten Effekt, also eine wirksame Supplementation von Folat, erreicht. Probleme mit dem Folsäurebedarf können dann nur auftreten, wenn eine Resorptionsstörung vorliegt
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