Gene lernen aus Stress - lebenslange Wirkung frühgeburtlicher Traumata

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Gene lernen aus Stress - lebenslange Wirkung frühgeburtlicher Traumata

Mäuse, die nach der Geburt kurz von ihrer Mutter getrennt werden, weisen eine veränderte Regulierung bestimmter Gene auf, wie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in einer neuen Studie gezeigt haben. Dies wird durch die Anlagerung einfacher chemischer Signalflaggen an die Erbsubstanz, so genannte epigenetische Markierungen, hervorgerufen.
Infolgedessen bilden die Mäuse vermehrt Stresshormone und können mit belastenden Situationen schwer umgehen. Die neuen Erkenntnisse dokumentieren wie Umweltfaktoren auf unsere Gene einwirken und eröffnen ein besseres Verständnis für die Entwicklung von stressbedingten Erkrankungen wie z.B. der Depression (Nature Neuroscience, 8. November 2009).

Dass Belastungen in der frühen Kindheit das Risiko erhöhen, an schweren Depressionen und Angststörungen zu erkranken, ist seit langer Zeit auch beim Menschen bekannt. Der molekulare Mechanismus dahinter war allerdings bisher ungeklärt. Die Forscher um Dietmar Spengler zeigen nun in ihrer neuen Studie an Mäusen, wie Stress dauerhafte Veränderungen der Erbsubstanz hervorrufen kann. Traumatisierte Tiere können sich ihr Leben lang nur schlecht an anstrengende Situationen anpassen, Gedächtnis, Antrieb und Emotion sind gestört. Die Stresshormone sind erhöht, weil in ihrem Gehirn das Eiweißmolekül Vasopressin überproduziert wird. Vasopressin ist ein Schlüsselfaktor für die Steuerung von Stresshormonen, Gedächtnis, Emotion und Sozialverhalten. Auf der Suche nach dem Auslöser für diese Überproduktion von Vasopressin stießen die Wissenschaftler bei DNA-Analysen auf einen Genabschnitt, dessen Modifizierung durch Methylgruppen die Aktivierung des Vasopressin-Gens hemmt. Dieser Aus-Schalter fehlt in den nachgeburtlich gestressten Mäusen und führt zu einer lebenslangen Überproduktion des Botenstoffes.

Wie Gene und Umwelteinflüsse in Wechselwirkung treten, ist Gegenstand des immer wichtiger werdenden Forschungsfeldes der Epigenetik. Zahlreiche Forschungsergebnisse zeigen, dass erworbene Informationen die Gebrauchsanweisung liefern, wie das Erbgut genutzt wird. Die Regulierung von Genen ist oft entscheidender als ihre bloße Ausstattung. Methylgruppen spielen dabei als Signalflaggen auf den DNA-Strängen eine wichtige Rolle. Sie ermöglichen das Andocken von Eiweißstoffen an die DNA. Im Zusammenspiel mit diesen methylbindenden Proteinen schalten sie Gensequenzen dauerhaft aus. Das Entscheidende: Die Markierungen bleiben stabil, selbst wenn sich die Zelle teilt, sie werden von der Mutterzelle an die Tochterzellen weitergegeben. Gleichzeitig können sie sich durch einschneidende Erlebnisse im Laufe des Lebens verändern, wie auch die neue Studie zeigt.

Während der Trennung von ihren Müttern war in den Mäusen die Gehirnregion des Hypothalamus übermäßig aktiv, welche für die Stressbewältigung wichtig ist. Diese erhöhte Aktivität führte zu den Modifizierungen der Erbsubstanz in deren Folge das Gen für Vasopressin nun häufiger abgelesen wurde. Die belastende Erfahrung während der wichtigen Entwicklungsphase hatte sich langfristig in ihrer Erbsubstanz festgeschrieben. Florian Holsboer, Direktor des Max-Planck-Instituts in München, führt dazu aus: "Unsere Studie dokumentiert, wie sich Umwelteinflüsse über epigenetische Mechanismen auf die molekulare Ebene unseres Genoms niederschlagen. Früh erlittene schwere Belastung kann die Entwicklung krankmachender Prozesse einleiten, die sich später in Angsterkrankungen und Depression manifestieren. Das Verständnis dieser epigenetischen Kodierung wird zum zukünftigen Schlüssel neuer Behandlungsstrategien", so der Wissenschaftler.
Gene lernen aus Stress - Frühgeburtliche Traumata haben lebenslange Wirkung auf Gedächtnisleistung, Emotion und Antrieb

Fazit für den praktischen Gebrauch:
Schwangere tun ihren Kindern etwas Gutes, wenn sie dafür sorgen, daß ihre Schwangerschaft harmonisch verläuft und auch die Zeit nach der Geburt möglichst stressfrei verläuft.

Gruss,
Uta
 
Gene lernen aus Stress - lebenslange Wirkung frühgeburtlicher Traumata

Dank an Uta für ihre überaus fleißigen Recherchen.
Hallo Uta,

hiermit greifst Du ein wichtiges Thema auf! Endlich haben wir etwas Substantielles zum Thema emotionale Verwahrlosung. Mein Enkel (geb. 1990) hat die beschriebenen Symptome, die wir zuerst mit pädagogischen Kunststückchen zu begegnen hofften. Er wurde von seiner Mutter gegen ihren Willen für gut 1 Woche getrennt, als sie aus der Entbindungsstation nach Haus entlassen wurde und er wegen Hepatitisverdachts noch dort bleiben musste. Ärzten und Klinikpersonal, den Krankenkassen, den werdenden Müttern gehört die Lehre aus diesen Erkenntnissen massiv ins Stammbuch geschrieben!

Mit solcher Beweisführung sind nun aber auch die Psychologen mit Megaphonen aufgerufen, sich endlich aus der Deckung zu wagen und unserer gesamten Gesellschaft - und den Verantwortlichen voran - klar vor Augen zu führen, was Vernachlässigung von Kindern für den psychosozialen Gesundheitszustand der Bevölkerung und damit für den Bestand unseres Staatswesens bedeutet. Das Feilschen um einige Hundertmillionen € z.B. für den Auf- und Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen vor diesem Hintergrund ist unaussprechlich ruchlos! Und Politiker, Justizgewaltige, Sicherheitsverantwortliche sollten aufhören, verantwortungsvolle Psychologen existenziell zu bedrohen, wenn die solche Erkenntnisse öffentlich machen wollen! Letzteres ist meine ganz private Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass Psychologen diese verheerende Entwicklung schon seit Jahren kennen, sich aber mit Äußerungen weitgehend bedeckt halten.
 
Gene lernen aus Stress - lebenslange Wirkung frühgeburtlicher Traumata

Sehr wichtiger und guter Beitrag. Es ist ja eigentlich verrückt, dass viele Erfahrungswerte erst an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnen können, wenn sie "wissenschaftlich belegt" sind. Das Thema Gleichheit und Differenz, Gleichberechtigung bei Anerkennung der Verschiedenheit muss wohl immer wieder neu aufgerollt werden.
 
Gene lernen aus Stress - lebenslange Wirkung frühgeburtlicher Traumata

Solche Erkenntnisse gibt es zuhauf in dem Buch Das Seelenleben des Ungeborenen von Dr. med. Thomas Verny/John Kelly. Dt. Erstausgabe von 1983.:)
Er arbeitet schon seit Jahrzehnten auf dem Gebiet. https://www.isppm.de/Workshop_Verny_Mai_2008.pdf
Ein sehr interessantes Buch.

Von daher kommt mir die Meldung des idw etwas verspätet vor.;)
 
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