Frühe Traumen und Neurostress

Kate

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Cailly hat im Thread Cortisol und blanke Nerven ein brisantes und hochinteressantes Thema angesprochen, für das ich hier mal einen eigenen Thread eröffne.

Ich weiß nicht viel darüber, habe nur immer mal wieder dies und das gehört (die Hirnforschung ist ja recht aktiv im Moment), trage deshalb hier erstmal nur ein paar Kleinigkeiten zusammen:

Hier geht es um Cortisol:
"Seit längerem weiß man, dass beim Entstehen der posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) zu niedrige Cortisolwerte eine Rolle spielen", sagt Andreas Maercker, Mediziner und Psychologe an der Technischen Universität Dresden und Vorsitzender der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie. PTSD-Betroffene, so Maercker, begännen Wochen oder Monate nach einem belastenden Erlebnis unter Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen und sich aufdrängenden Erinnerungen zu leiden. "Untersuchungen haben mehrfach gezeigt, dass nach traumatischen Erlebnissen nicht alle Betroffenen an einer Belastungsstörung erkranken, sondern nur zwanzig bis dreißig Prozent von ihnen", sagt der Psychologe.
Hier geht es also um einen Zusammenhang zwischen der Entstehung einer PTSD und niedrigen Cortisolspiegeln.

Andererseits:
"Studien an Affen und auch an Menschen belegen, dass traumatische Erlebnisse in den ersten Lebensjahren - also Stress - die CRH-Überproduktion verursachen können, welche wiederum zu einem erhöhten Cortisolspiegel führt"
(Hervorhebung von mir)

Der erhöhte Cortisol-Spiegel scheint wiederum in einem Zusammenhang mit Depressionen zu stehen:
"Zahlreiche Studien belegen, dass depressive Patienten einen beständig erhöhten Cortisolspiegel aufweisen", sagt Sieglinde Modell, Forscherin am Münchener Max-Planck-Institut für Psychiatrie.

Die Zitate stammen aus flowerpowers Beitrag https://www.symptome.ch/threads/cortisol-und-blanke-nerven.14545/#post-119891, Quelle :Sind blanke Nerven angeboren? : Textarchiv : Berliner Zeitung

Cailly schreibt dazu:
das mit den Untersuchungen bezüglich der PTSD gilt nicht für Kindheitstraumata - insbesondere nicht für langjährige Traumatisierungen.

Diese für sich genommen können zu besagtem Ungleichgewicht im Cortisolspiegel führen - also schon eine reale somatische Reaktion auslösen...

Hier eine Aussage von Dr. Bieger zu frühen Traumen als Risikofaktor für die Entstehung von Depressionen:
Als erworbene Risiken werden traumatische Erlebnisse in der Kindheit, psychische "Verletzungen" wie Verlust der Mutter, sexueller Missbrauch, Schockerlebnisse oder auch übermäßiger Stress gesehen. Sie können zu "Narben", morphologisch nachweisbaren Veränderungen der neuronalen Schaltung, zum Untergang von Nervenzellen und vor allem auch zur Hemmung der neuronalen Regeneration und Neubildung von Nerven führen. Die Hemmung der Neurogenese, der Neubildung voll funktionsfähiger Nervenzellen und Anpassung der Hirnleistung an aktuelle Anforderungen gilt heute als eines der wesentlichen erworbenen Merkmale der Depression. Man spricht von veränderter "Plastizität" des Gehirns. Die bleibenden strukturellen Veränderungen des Gehirns nach traumatischen Schockerlebnissen in der Kindheit, wenn die Plastizität und Formbarkeit des Gehirns noch verhältnismäßig groß sind, schaffen die Voraussetzungen für das spätere Auftreten der Depression, wenn erneut traumatische Ereignisse eintreten.
Aus: gesundheitgestalten.de/fileadmin/user_upload/Neurostress/Stress-Depression-Burnout.pdf

Das klingt so als wenn einige von vornherein schlechte Karten haben, was die "Stimmungslage" betrifft und man garnicht so viel dran machen kann... ? Andererseits habe ich in letzter Zeit immer mal wieder gelesen, dass das Hirn bis ins hohe Alter hinein formbar bleibt (wenn auch nicht mehr in dem Maß wie in der Kindheit). Ich denke, da ist noch vieles offen und auf keinen Fall sollte jemand mit ungünstiger Vorgeschichte den Kopf in den Sand stecken. Verbessern kann man die Situation wahrscheinlich immer und das wie es aussieht häufig auch mit natürlichen Mitteln.

Alles Gute für 2008 und überhaupt wünscht
Kate
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hallo Kate,

ich finde auch, dass dies ein spannendes Thema ist, aber hoffentlich nicht zu belastend für einige hier. Habe hierzu einen übersichtlichen und interessanten Link gefunden:

"Posttraumatische Belastungsstörung und ihre Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit" von Dr. med Berghändler - zur Abwechslung mal von einem Schweizer ;) - aus dem Universitässpital Basel.

https://www.asim.unibas.ch/Fortbildung_Berghaendler.pdf

Viele Grüße, Anne
 
Hallo Anne,

werde mir Deinen Link mal zu Gemüte führen :)

Zu Deiner anderen wichtigen Bemerkung: Ich rate - und das auch aus eigener Lebenserfahrung heraus - ausdrücklich davon ab, hier traumatische Erlebnisse konkret darzustellen und zu diskutieren! Insbesondere, wenn es sich um frühe Traumatisierungen handelt, die immer noch bei jeder "Berührung" mehr oder minder eine Destabilisierung auslösen. So etwas ist wenig geeignet für die Darstellung in einem öffentlichen Forum, wo man zum einen keinerlei Möglichkeit hat, seinen "Gesprächspartner" auszuwählen, und zum anderen hinterher (vorerst) allein dasteht mit dem, was eventuell ausgelöst wurde. Falls man die digitale Anonymität nutzen möchte, was ja auch Vorteile haben kann, ist sicherlich ein Austausch von Mails/PNs mit ausgewählten Personen sinnvoller.

Dennoch können wir vielleicht in so einem Thread ein paar interessante Dinge zusammentragen :)

Ich habe noch eine Information erhalten von einem der Psychologen aus meinem Bekanntenkreis, die für Cailly und vielleicht auch andere interessant sein dürfte: Es gibt bei den Krankenkassen eine relativ neue Abrechnungsziffer, die es ermöglicht, pro Quartal 15 x 10 Minuten, also insgesamt 150 Minuten, in beliebiger Einteilung, an Psychotherapie in Anspruch zu nehmen - ohne dass dies als eigentliche Psychotherapie gilt und entsprechend ohne Antrag, der erstmal genehmigt werden muss!!! Mit z.B. 50 Minuten pro Monat lässt sich schon was machen, denke ich, wenn nicht gerade akute Krise herrscht. Als Therapeuten kommen dabei alle mit Kassenzulassung infrage, also auch die klinischen Psychologen, die eine solche haben. Noch eine kleine Anmerkung am Rande: Aus meinem Wissen und meiner Erfahrung heraus würde ich den Therapeuten auch genau im letztgenannten Personenkreis suchen. Dieser hat - im Allgemeinen (Ausnahmen gibt es immer) - die umfassendste Ausbildung, die auch so wichtige Dinge wie Selbsterfahrung ("Lehranalyse", o.ä.) und Supervision umfasst. Nach meinem Eindruck ändert das in fundamentaler Weise das Verhältnis zum Patienten, der Therapeut ist z.B. in der Lage, seine "Gegenübertragungen" zu erkennen (und nicht lustig dem Patienten alles anzuhängen) und ihm ist klar, dass eine therapeutische Beziehung eine private ausschließt (das ist leider durchaus nicht selbstverständlich). Gerade wenn das letztere nicht klar ist, kann ein Patient in Teufels Küche kommen. Generell empfiehlt es sich, vorab nach der vorhandenen Ausbildung zu fragen, dem Kandidaten in einem Probegespräch "auf den Zahn zu fühlen" und sich sehr genau überlegen, was man dort erzählt und fragt.

Viele Grüße von
Kate
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Anne,

werde mir Deinen Link mal zu Gemüte führen :)

Zu Deiner anderen wichtigen Bemerkung: Ich rate - und das auch aus eigener Lebenserfahrung heraus - ausdrücklich davon ab, hier traumatische Erlebnisse konkret darzustellen und zu diskutieren! Insbesondere, wenn es sich um frühe Traumatisierungen handelt, die immer noch bei jeder "Berührung" mehr oder minder eine Destabilisierung auslösen. So etwas ist wenig geeignet für die Darstellung in einem öffentlichen Forum, wo man zum einen keinerlei Möglichkeit hat, seinen "Gesprächspartner" auszuwählen, und zum anderen hinterher (vorerst) allein dasteht mit dem, was eventuell ausgelöst wurde. Falls man die digitale Anonymität nutzen möchte, was ja auch Vorteile haben kann, ist sicherlich ein Austausch von Mails/PNs mit ausgewählten Personen sinnvoller.

Dennoch können wir vielleicht in so einem Thread ein paar interessante Dinge zusammentragen :)

Ich habe noch eine Information erhalten von einem der Psychologen aus meinem Bekanntenkreis, die für Cailly und vielleicht auch andere interessant sein dürfte: Es gibt bei den Krankenkassen eine relativ neue Abrechnungsziffer, die es ermöglicht, pro Quartal 15 x 10 Minuten, also insgesamt 150 Minuten, in beliebiger Einteilung, an Psychotherapie in Anspruch zu nehmen - ohne dass dies als eigentliche Psychotherapie gilt und entsprechend ohne Antrag, der erstmal genehmigt werden muss!!! Mit z.B. 50 Minuten pro Monat lässt sich schon was machen, denke ich, wenn nicht gerade akute Krise herrscht. Als Therapeuten kommen dabei alle mit Kassenzulassung infrage, also auch die klinischen Psychologen, die eine solche haben. Noch eine kleine Anmerkung am Rande: Aus meinem Wissen und meiner Erfahrung heraus würde ich den Therapeuten auch genau im letztgenannten Personenkreis suchen. Dieser hat - im Allgemeinen (Ausnahmen gibt es immer) - die umfassendste Ausbildung, die auch so wichtige Dinge wie Selbsterfahrung ("Lehranalyse", o.ä.) und Supervision umfasst. Nach meinem Eindruck ändert das in fundamentaler Weise das Verhältnis zum Patienten, der Therapeut ist z.B. in der Lage, seine "Gegenübertragungen" zu erkennen (und nicht lustig dem Patienten alles anzuhängen) und ihm ist klar, dass eine therapeutische Beziehung eine private ausschließt (das ist leider durchaus nicht selbstverständlich). Gerade wenn das letztere nicht klar ist, kann ein Patient in Teufels Küche kommen. Generell empfiehlt es sich, vorab nach der vorhandenen Ausbildung zu fragen, dem Kandidaten in einem Probegespräch "auf den Zahn zu fühlen" und sich sehr genau überlegen, was man dort erzählt und fragt.

Viele Grüße von
Kate

Hallo Kate

deine Ausführungen finde ich alle SEHR wichtig. Dennoch ist es schwierig, für ein PTBS gute Therapeuten zu finden, es sei denn, sie hätten persönliche Erfahrungen gemacht und diese so weit überstanden, dass sie wieder arbeitsfähig sind. Sonst arbeiten sie auf der Basis von Theorie, auch, wenn es noch so gut gemeint sein mag. Es war hier kürzlich die Rede von einer Therapeutin, die via Fernsehen beraten hat. Ich war manchmal entsetzt, wenn ich sie im Gespräch mit psychisch Schwerst-Verletzten sprechen hörte. Musste das Programm dann wegschalten.

Gruss
Kathy
 
Danke Flowerpower für den aufschlussreichen Link.
Hier daraus Seite 34 kopiert, was unter Punkt 3 Kates Warnung bestätigt:

Die Aktualität des vergangenen Traumas
• Patienten mit einer PTSD berichten, dass sie ihre
Erinnerungen nicht in die Vergangenheit „verpacken“
können
• Dies korrespondiert mit biologischen Beobachtungen, die
nahelegen, dass die biologische Stressantwort nie richtig
beendet worden ist.
• Jede unkontrollierte Erinnerung an das Trauma ist damit
eine Re-Traumatisierung und hält die pathologische
Stress-Antwort aktuell
• Therapieziel ist Beendigung der Stressreaktion (Sicherheit
und Kontrolle)
 
Moin Zusammen,

folgenden Teil halte ich als Betroffene für sehr sehr wichtig:

Therapieziel ist Beendigung der Stressreaktion (Sicherheit
und Kontrolle)

Wobei es mir um das geht was in Klammern angefügt ist.
Sicherheit das man wahrgenommen, erntsgenommen und als Mensch behandelt wird ist für die meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit - Überlebende müssen darum oft Jahre oder sogar Jahrzehnte lang kämpfen.
Gerade in Situationen wo man die Kontrolle über das eigene Leben zumindet Stückweise abgibt ist es eben wichtig das zumindest Punkt 1 gegeben ist:
Sicherheit - das Wissen das derjenige der einem diese Kontrolle wegnimmt dafür sorgt das einem nicht wieder schlimmes angetan werden kann - wenn stattdessen aber "retraumatisierende Erfahrungen" durchlebt werden müssen, dann geht auch sehr viel von mühsam erarbeitetem wieder Verloren.

Das ist ein Punkt den ich leider schon mehrfach im deutschen Gesundheitssystem erleben musste.

Liebe Grüße,
Cailly
 
Hallo zusammen,

ich habe aus Annes Link mal die Textstellen heraus gesucht, die mir zum Thema Trauma und Neurostress aufgefallen sind. Es geht u.a. auch wieder um Cortisol. In dem Dokument werden allerdings Posttraumatische Belastungsstörungen allgemein betrachtet und nicht speziell frühe Traumen.

Gedächnisfunktion im Trauma 2
  • Beeinträchtigung der deklarativen Informationsverarbeitung (via Hippocampus) im Trauma durch endogenes Hyperarrousal (u.a. Steroidwirkung)
  • Bei extremer oder andauernder Stresserfahrung kann der Hippocampus die Cortisolausschüttung nicht mehr angemessen steuern und verliert die Fähigkeit, Stresserfahrungen angemessen kognitiv zu verarbeiten
  • Hippocampale Dysfunktion verändert die Gedächnis-Leistung (Fragmentation, Verzögerung im Langzeitgedächnis)
  • Erhöhte Cortisol-Spiegel verändern Gedächnis-Leistung v.a. in verbal-deklarativen Funktionen, im Neu-Lernen

Veränderung der HPA-Achse
HPA-Achsen-Veränderung: PTSD vs. Normale Stress-Antwort

PTSD | Normale Stress-Antwort
Cortisol: herabgesetzt | erhöht
Glucocordicoid-Rezeptordichte: erhöht | herabgesetzt
Supression durch DHT: erhöht | herabgesetzt
Negative Feedback-Inhibition: erhöht | herabgesetzt

Bei der (chronischen, komplexen) PTSD liegt eine hirnorganische und hirnmorphologische Veränderung vor!

Zentrale Cortison-Rezeptoren
  • Physiologisch erhöhte Corticoid-Rezeptor-Dichte in Hypothalamus, Hypophyse, Hippocampus (höchste Rezeptordichte) und Amygdala
  • Bei PTSD pathologisch erhöhte Sensitivität der Cordicoid-Rezeptoren
  • Niedrige Cortisol-Spiegel, erhöhte Amplituden und veränderte Tagesrhythmik
  • Abgeschwächte ACTH-baseline bei erhöhtem CRH
  • = Biologische Grundlagen erhöhter Stressempfindlichkeit, erhöhter Schreckhaftigkeit, Überwachsamkeit und Übererregung

Aus Annes Link: https://www.asim.unibas.ch/Fortbildung_Berghaendler.pdf (farbige Hervorhebungen und Änderungen im Layout der Tabellendarstellung von mir)

Liebe Grüße und kommt gut rein ins neue Jahr :)
Kate
 
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