Verschiedene Gedichte

  • Themenstarter Bodo
  • Erstellt am

Sachliche Romanze​

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

Erich Kästner

(Hier kann man sich das Gedicht auch anhören).
 
Claire an Yvan

Warum hab ich nicht Deine Lächeln gesammelt
WWie seltene Kostbarkeiten?
Und den Schatten aufbewahrt
D'en dui au fdie Wege warfst?
Warum legte ich nicht Deine Blicke
Aus Topas und Gold auf die Seite
Enormes Vermögen für später
Wenn deiner ärtlichkeit Vorrat
zu Ende geht?


Ich verschwendete deine Innigkeiten
Mir bleibt keine Schallplatte deiner Schritte
Der Sturm hat deine Umarmungen verstreut
Und die mit Küssen gefüllten
Roten Speicher zerstört.
Der letzte Laut deiner Stimme
Verlor sich im Sand -
Vergebens zeichne ich dein Profil
In den Rauhreif meines Fensters.


Hier geht es um Claire und Yvan Goll:
 
Die Pandemie führt dazu, daß viele Menschen sich jetzt einsam fühlen, weil ihre üblichen Treffen in Vereinen aller Art nicht möglich sind. Vor allem ältere Menschen sind besonders betroffen. Das drückt auch dieses Mundart-Gedicht aus, das zwar ein bißchen holpert, aber trotzdem das ganze gut trifft (finde ich):

Ihr fehlts ma scho olle
konns eich net sogn,
da Virus, der geht ma sche langsam am Mogn.
Da Gsundheit zuliebe bleibn ma dahoam,
zammsitzn, feiern, des is jetzt a Traum.
Mit Menschen sich treffa, die i so gern mog,
Gedankn austauschn und stelln manche Frog,
ratschn und lache gemeinsam wär gfrogt.
Doch leider is uns des ois untersorgt.
Do müaß ma jetzt durch, es is so wia is.
Es kann nur mehr besser wern,l des is ganz gwiss.
Wir werdn uns wieda treffa! Wia I mi scho frei,
wenn endlich da anze Schlamassl vorbei!
Drum meine Lieabn hob I jetzt a Bitt:
Hoits durch ud bleibts olle fit, weil Jede von euch tuet mir wos bedeitn.

🙂
 
Ob man diese Sprüche "Gedichte" nennen kann: da habe ich meine Zweifel. Aber sie gehören einfach zur Fasnacht dazu, ebenso wie die hölzernen Masken, die auch heute noch geschnitzt werden.

Ich kenne diese Sprüche allerdings auch vom "Schiebeschlage" - einem Brauch, bei dem "Schindle" (Schindeln) zum Brennen gebracht werden und dann über einen schrägen Holzblock ins Tal geschlagen werden unter Absingen solcher Sprüche. Ich kann mich nur an einen erinnern:

"Schiebe, Schiebe, Schiebe go,
wohin soll die Schibe go?
Sie soll dem Lehrer siner Fru iins Bett go"

Das Schiebeschlage war gleichzeitig Ende der Fasnacht und das Vertreiben des Winters.



Narrenpoesie: Hochschwarzwälder Fastnachtstradition

Sprüche gehören zur Hochschwarzwälder Fastnacht wie Larve oder Häs. Wer nicht mindestens zwei auswendig aufsagen kann, ist kein echter Narr. Die tiefere Botschaft in den kurzen Versen mit zumeist derbem Inhalt ist allerdings nicht immer leicht ersichtlich – erst recht nicht für Menschen, die des alemannischen Dialekts nicht mächtig sind. Daher haben wir einige Fasnetssprüchle aus dem Hochschwarzwald in politisch korrektes Hochdeutsch übersetzt.
Fasnacht im Hochschwarzwald.Fasnacht im Hochschwarzwald. - © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

"Iseri Katz hät Jungi g’ha,
inere hohle Oache.
Siebzehni hät sie g’ha,
jetzt ka si nimmi soache."

Unsere Katze hat Nachwuchs bekommen,
als Ort der Niederkunft diente ein hohler Eichenbaum.
Siebzehn Junge brachte sie zur Welt,
nun leidet sie unter Blasenschwäche.


Narren beim Umzug im Hochschwarzwald.Narren beim Umzug im Hochschwarzwald. - © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

"‘s goht en Bur in Garte und schießt.
Er butzet ‘s Fiedle mit Brennnessele, des bießt.
Het de Bur des Kriitli kennt,
not het er 's Fiedle net verbrennt!"

Ein Landwirt begibt sich in seinen Garten, um seine Notdurft zu verrichten.
Zur Reinigung seines Gesäßes verwendet er Brennnesseln, das empfindet er als wenig angenehm.
Hätte der Agronom die krautige Pflanze identifizieren können,
so hätte er jetzt nicht Feuer unterm Allerwertesten!


"Alti Hex im Schnoogeloch,
hät kon guete Kaffee kocht.
Am Sunntig hät sie Hochzit g’ha,
alle Lit sin g’storbe dra!"

Betagte Dame im Stechinsektental,
bereitete suboptimalen Kaffee zu.
Am Sonntag ging sie den Bund der Ehe ein,
all ihre Festgäste erlagen einer Koffeinvergiftung!


Traditionelle Umzüge im Hochschwarzwald.Traditionelle Umzüge im Hochschwarzwald. - © Hochschwarzwald Tourismus GmbH
 
Ein Geburtstagswünsche-Danke-Gedicht ;) von Erich Kästner:

Tausend Wünsche sind gekommen,
pausenlos von früh bis spät,
und ich hab' sie - auch die frommen -
kurzerhand beim Wort genommen und vom Fenster ausgesät.

Vorhin hob ich die Gardinen,
war es Täuschung? Sa ich's grünen?
Werden's Blumen? Bleibt's Papier?

Sollt' es blühen, lag's an Ihnen,

wird es nichts, dann liegt's an mir.


Grüsse,
Oregano
 
„Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit


(Kurt Tucholsky)
 

Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt und Felder,
es schläft die ganze Welt;
ihr aber, meine Sinnen,
auf, auf, ihr sollt beginnen,
was eurem Schöpfer wohlgefällt.

Wo bist du, Sonne, blieben?
Die Nacht hat dich vertrieben,
die Nacht, des Tages Feind.
Fahr hin; ein andre Sonne,
mein Jesus, meine Wonne,
gar hell in meinem Herzen scheint.

Der Tag ist nun vergangen,
die güldnen Sternlein prangen
am blauen Himmelssaal;
also werd ich auch stehen,
wenn mich wird heißen gehen
mein Gott aus diesem Jammertal.

Der Leib eilt nun zur Ruhe,
legt ab das Kleid und Schuhe,
das Bild der Sterblichkeit;
die zieh ich aus, dagegen
wird Christus mir anlegen
den Rock der Ehr und Herrlichkeit.

Das Haupt, die Füß und Hände
sind froh, dass nun zum Ende
die Arbeit kommen sei.
Herz, freu dich, du sollst werden
vom Elend dieser Erden
und von der Sünden Arbeit frei.

Nun geht, ihr matten Glieder,
geht hin und legt euch nieder,
der Betten ihr begehrt.
Es kommen Stund und Zeiten,
da man euch wird bereiten
zur Ruh ein Bettlein in der Erd.

Mein Augen stehn verdrossen,
im Nu sind sie geschlossen.
Wo bleibt dann Leib und Seel?
Nimm sie zu deinen Gnaden,
sei gut für allen Schaden,
du Aug und Wächter Israel’.

Breit aus die Flügel beide,
o Jesu, meine Freude,
und nimm dein Küchlein ein.
Will Satan mich verschlingen,
so lass die Englein singen:
„Dies Kind soll unverletzet sein.“

Auch euch, ihr meine Lieben,
soll heute nicht betrüben
kein Unfall noch Gefahr.
Gott lass euch selig schlafen,
stell euch die güldnen Waffen

ums Bett und seiner Engel Schar.



Eine der Zeilen gehört in etwa auch zu einer Bach-Kantate:




Grüsse,
Oregano
 
Otto Julius Bierbaum (1865-1910)

Vorfrühling

Sieh da: Die Weide schon im Silberpelz,
Die Birken glänzen, ob auch ohne Laub,
In einem Lichte, das wie Frühling ist.
Der blaue Himmel zeigt türkisenblau
Ganz schmale Streifen, und ich weiß, das ist
Des jungen Jahres erster Farbenklang,
Die ferne Flöte der Beruhigung:
Die Liebe hat die Flügel schon gespannt,
Sie naht gelassenen Flügels himmelher,
Bald wird die Erde bräutlich heiter sein.

Nun Herz, sei wach und halte dich bereit
Dem holden Gaste, der mit Blumen kommt
Und Liebe atmet, wie die Blume Duft.
Sei wach und glaube: Liebe kommt zu dir,
Wenn du nur recht ergeben und getrost
Dich auftust wie ein Frühlingsblumenkelch.


Mehr Gedichte gibt es hier: https://www.gedichte-fuer-alle-faelle.de/jahreszeitengedichte/index.php?fnr=300

1646734883113.png
 
In einer Todesanzeige habe ich dieses Gedicht gelesen und finde es sehr schön:



(mit weiteren Gedichten)
Do Not Stand at My Grave and Weep
by
Author Unknown

Do not stand at my grave and weep,
I am not there, I do not sleep.
I am in a thousand winds that blow,
I am the softly falling snow.
I am the gentle showers of rain,
I am the fields of ripening grain.
I am in the morning hush,
I am in the graceful rush
Of beautiful birds in circling flight,
I am the starshine of the night.
I am in the flowers that bloom,
I am in a quiet room.
I am in the birds that sing,
I am in each lovely thing.
Do not stand at my grave and cry,

I am not there. I do not die



This beautiful poem is probably one of the world's best known and best loved, but the identity of the author remains unconfirmed. There are several variations in print, but the version that appears here was published in The Gypsy magazine in 1934 with the byline of Clare Harner of Topeka, Kansas. The poem has also been attributed to Mary Elizabeth Clark Frye, a Baltimore housewife; Stephen Cummins, a British soldier; J.T. Wiggins, an Englishman who migrated to America; and Marianne Reinhardt (no information found). It's also been alleged as a Navajo burial prayer. Sadly, we may never know who gets the credit for these comforting words.
Dieser Text ist etwas anders als der gesprochene .

Steht nicht an meinem Grab und weint

Steht nicht an meinem Grab und weint,
ich schlafe nicht, wie ihr es meint.
Ich bin der Wind in Wald und Feld,
ich bin ein Schnee, der sachte fällt.
Ich bin ein leiser, linder Regen,
ich bin der Fluren reicher Segen.
Bin in des Morgens stillem Lächeln,
ich bin im ersten scheuen Fächeln
der milden Frühlingsluft,
ich bin ein Sommerrosenduft,
ich bin des Herbstwalds bunte Pracht,
ich bin der Sternenglanz der Nacht.
Ich bin ein Lied, ein Vogelsang,
ich bin ein heller Glockenklang.
Drum trauert nicht, habt Zuversicht:
Ich bin nicht hier - ich sterbe nicht.

 
Die Lesedusche:
Goethe und die Natur. Zunächst wird eine Stelle zitiert, in der Goethe beschreibt, wie die Menschen sich in der Natur „ergehen“.


Und dann kommt der berühmte „Osterspaziergang“ aus dem „Faust“:




Grüsse,
Oregano
 
Immer enger, leise, leise
ziehen sich die Lebenskreise,
schwindet hin, was prahlt und prunkt,
schwindet Hoffen, Hassen, Lieben
und ist nichts in Sicht geblieben

als der letzte dunkle Punkt.

(Theodor Fontane)
 
Ich mag Heinz Ehrhardt:



z.B.:

Die polyglotte Katze

Die Katze sitzt vorm Mauseloch,
in das die Maus vor kurzem kroch,
und denkt: "Da wart nicht lang ich,
die Maus, die fang ich!"

Die Maus jedoch spricht in dem Bau:
„Ich bin zwar klein, doch bin ich schlau!
Ich rühr mich nicht von hinnen,
ich bleibe drinnen!"

Da plötzlich hört sie - statt "miau" -
ein laut vernehmliches "wau-wau"
und lacht: „Die arme Katze,
der Hund, der hatse!


Jetzt muss sie aber schleunigst flitzen,
anstatt vor meinem Loch zu sitzen!"
Doch leider - nun, man ahnt's bereits -
war das ein Irrtum ihrerseits.

Denn als die Maus vors Loch hintritt -
es war nur ein ganz kleiner Schritt -
wird sie durch Katzenpfotenkraft
hinweggerafft! - -


Danach wäscht sich die Katze die Pfote
und spricht mit der ihr eignen Note:
„Wie nützlich ist es dann und wann,
wenn man 'ne fremde Sprache kann...!"
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
"Kinderaugen"

Kinderaugen groß und klar
seh'n die Welt oft sonderbar.
Denn wir Großen zeigen ihnen,
was sie wirklich nicht verdienen.

Sehen Menschen, die sich hassen,
Reiche, die ihr Geld verprassen,
Tote auf Schlachtfeldern liegen,
Düsenjets zum Angriff fliegen.

Sehen Mord im Frühprogramm,
Flutopfer in tiefem Schlamm.
Panzer, die auf Menschen schießen,
täglich sinnlos Blut vergießen.

Rettet diesen klaren Blick,
wenn's geht, mit einem Zaubertrick.
denn zart, wie diese Seelen sind,
werden sie vor Angst bald blind.

-Norbert van Tiggelen


 
Ich wünsche dir für das neue Jahr....

365 Blumen, für jeden Tag eine.
Ich wünsche dir die Augen eines Kindes,
den Traum eines Kindes, das Herz eines Kindes.
Dann kannst du im neuen Jahr alles neu sehen.
Ich wünsche dir,
dass du wenigstens einen Menschen hast, bei dem du Geborgenheit findest.
Ich wünsche dir,
dass du wenigstens einmal am Tag voller Freude bist.
Ich wünsche dir,
dass du wenigsten ein paar Menschen mit deiner Freundschaft glücklich machst.

-Phil Bosmans(1922-2012) belgischer Ordenspriester, Telefonseelsorger und Schriftsteller-

All das wünsche ich dir auch mit ganz viel Gesundheit 🍀🍀🍀

Alles Liebe!
Wildaster
❤️

 
Vielleicht ist ja hier die richtige Rubrik für meinen neuesten Buchstabensalat, den ich. angelehnt an die Werke des hervorragenden Poeten Eugen Roth, gerade in den Kopf gekriegt und schnell aufgeschrieben habe: (man weiß ja nie...)

Wer von denen, die wissen, wohin wir steuern, versucht es zu verhindern?

Wäre nur des Menschen Streben, über Menschen zu erheben
sich, nicht so sehr ausgeprägt, dass er sogar überlegt
sie gewaltsam zu vernichten, ob verbal, ob schriftlich richten!
Sowas ist doch jetzt die Masche, steckt die Welt er in die Tasche,
kommt sich selbst als Sieger vor. Doch die Welt spitzt auch das Ohr.
Denn sie ist 'ne ganze Weile schon in Katastropheneile:
Größer, weiter, lauter, schlimmer – Komp'rative gehen immer...
irgendwann jedoch ist SCHLUSS, weil nicht sein kann, was nicht "muss".

Wimmelt es von Rabulisten und Gewissenspolizisten
auf 'ne Weise, die man gerne nur betrachtet aus der Ferne...
Allerdings – so manch Poet, der auch für solch Denken steht,
beispielsweise Eugen Roth – leider ist er ja schon tot –
hat sich gerne sehr ausführlich, doch mitnichten despektierlich
klar geäußert zum Verhalten, wie es Mensch und Mensch gestalten:
Da geht immer etwas schief, weil's wie's sollte, selten lief.
Er hat die Natur erkannt: Mensch und Unmensch sie benannt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Schöner Frühling, komm doch wieder

Schöner Frühling, komm doch wieder,
Lieber Frühling, komm' doch bald,
Bring' uns Blumen, Laub und Lieder
Schmücke wieder Feld und Wald.


Auf die Berge möcht' ich fliegen,
Möchte seh'n ein grünes Tal,
Möcht in Gras und Blumen liegen
Und mich freu'n am Sonnenstrahl.


Möchte hören die Schalmeien
Und der Herden Glockenklang,
Möchte freuen mich im Freien
An der Vögel süßem Sang.


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
(1798-1874)

klein_ - 1 (9).jpeg
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich wurde 1924 geboren. Wäre ich eine Geige meines Alters,
so gehörte ich nicht zu den guten. Als Wein wäre ich sehr gut
oder völlig sauer. Als Hund wäre ich tot. Als Buch
finge ich an, teuer zu werden, oder ich wäre längst weggeworfen worden.
Als Wald wäre ich jung. Als Maschine würde ich belächelt.
Und als Mensch bin ich sehr müde…
[1]


Yehuda Amichai war noch keine 60 Jahre alt, als er diese Zeilen schrieb. Sie stammen aus einem Gedicht, das den schlichten Titel „1924“ trägt und das wie so viele seiner Gedichte Gegensätze in sich vereint: Traurigkeit und Ironie, Alltägliches und Überzeitliches, Vergeblichkeit und Optimismus.

 
Oben