Ganzheitliches Denken - Systemisches Denken

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19.03.06
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Mit Interesse verfolge ich die, immer mal wieder, zum Beispiel in der Rubrik "Seele - Psyche - Geist" aufkommenden Stellungnahmen, bzw. Diskussionen zu Ursache - Wirkung - Fragen.

Ich möchte hier gerne einladen, sich mit einem etwas anderen Denkansatz zu beschäftigen.

In der folgenden Skizze werden analytisches und ganzheitliches Denken einander gegenüber gestellt:

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Das analytische Denken folgt einem linearen Ursache - Wirkungsdenken. Das ganzheitliche Denken untersucht die Wirkung der einzelnen Teile auf das Ganze.

Wenn es um die Betrachtung von Natur und Menschen geht, sprechen wir von systemischem Denken.

Systemisches Denken

... bedeutet, die Gesamtheit von Prozessen, Konstellationen von Situationen und Phänomenen zu begreifen. Ein herausgelöster Teil gibt nur wenig oder falsche Informationen über das Ganze. Um etwas oder jemanden zu verstehen, muss man die Ganzheit bzw. das System sehen und in den Denkprozess mit einbeziehen.
www.socioweb.de/lexikon/lex_geb/begriffe/systemi2.htm

Systemisches Denken heißt:

* im pädagogischen, sozialen und biologisch-medizinischen Bereich gibt es keine einfachen Ursache-Wirkungszusammenhänge von Prozessen oder Phänomenen.

* Prozesse bewegen sich immer im Spannungsbogen zwischen Vergangenheit und Zukunft bewegen. Sie sind also immer nur eine zeitlang wirksam. Sie beziehen sich auf vorherige Erfahrungen und sollen aber auch in die Zukunft hinein wirken.

* der Mensch bildet, zumindest unter dem Blickwinkel sozialer Interaktion, ein geschlossenes System. Dies bedeutet, dass ein Mensch keinen unmittelbaren Zugang zu den Gedanken und Gefühlen seiner Mitmenschen hat. Es sind immer nur subjektive Deutungen physikalischer Impulse, die im Innern einer Person stattfinden, z.B. die Schallwellen der Sprache oder die optischen Eindrücke von einem lachenden Gesicht.

* der Mensch ist wiederum Teil eines Systems, bzw. eines Subsystems.

Wenn wir nun Familien, Bäume oder auch Personen als Systeme definieren wollen, können wir an die Definition von Willke (1993, S. 282) anknüpfen, der ein System als "einen ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen [beschreibt], deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt".
www.ibs-networld.de/altesferkel/april-2003-kleve-ganzheitliches.shtml

Systemisches Denken ist die Fähigkeit, alle Akteure und Handlungen im Rahmen eines komplexen Systems zu sehen, das aus verschiedenen, interdependent miteinander verknüpften Variablen besteht. Dies impliziert die Fähigkeit, Handlungen nicht nur im Rahmen einfacher Ursache-Wirkungszusammenhänge und statischer Ist-Analysen zu bewerten, sondern eine gewisse Eigendynamik des Systems sowie die vielfältigen Interdependenzen und Fernwirkungen so weit möglich zu berücksichtigen.
Systemisches Denken

Herzliche Grüße von

Leòn
 
Hallo Leòn,
das ist ein hochinteressantes Thema. Allerdings schwirrt mir der Kopf von den vielen Fremdwörtern und schwierigen Definitionen www.hqboard.net/images/smilies/rolleyes.gif.

Mir sind immer praktische Beispiele lieber, und da kenne ich von der systemischen Seite her die Systemische Aufstellung. Die finde ich - wenn ein guter Leiter dabei ist - hochinteressant, weil gleichzeitig die Einbindung in ein System dabei ganz klar sichtbar wird und ebenso die Einbindung jedes Einzelnen in Systeme (schwierig auszudrücken).

Ich werde mir ein Buch bestellen:
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ISBN: 3932098293
...

Auf jeden Fall ist mir das analytische Denken allein zu beschränkt; ich denke, eine Mischung aus Analyse-, Synthese- und Systemischem Denken ist optimal - so man kann www.hqboard.net/images/smilies/idee.gif

Bei "systemischem Denken" fällt mir die Transaktionsanalyse ein, die ich für einen sehr effektiven Ansatz halte:
Kontakt ist wichtiger als Inhalt

Jeder Mensch kann denken. So lautet eine der Grundüberzeugungen der Transaktionsanalyse. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Binsenweisheit, hat bei näherem Hinsehen zahlreiche Facetten und weitreichende Konsequenzen. Denn wer denken kann, der trägt auch die Verantwortung dafür, zu entscheiden, was er vom Leben will. Und konsequenterweise wird er mit den Folgen dessen leben müssen,was er beschlossen hat.

Der ethische Hintergrund der Transaktionsanalyse und ihres Einsatzes wird hier konkret greifbar: Sie gründet auf einem Menschenbild humanistischer Tradition, das von der Eigenständigkeit, der Bewusstheit und Selbstverantwortlichkeit sowie der unbedingten Würde eines jeden Menschen ausgeht. Die vom Begründer dieser Methode Eric Berne geprägte und auf den ersten Blick einfache Formel:"Ich bin okay - du bist okay" drückt darüber hinaus eine innere Haltung aus, die gekennzeichnet ist von Respekt und Anerkennung sich selbst und anderen gegenüber.

Transaktionsanalytische Beratung, Therapie, Lehre und Kommunikation lebt von der Überzeugung, dass die Lösung eines Problems oder Konfliktes immer in den Betroffenen selbst verborgen liegt. Gleichgültig, mit wem sie arbeiten: TransaktionsanalytikerInnen begreifen ihr Gegenüber grundsätzlich als entscheidungs- und gestaltungsfähigen Partner. Ein Markenzeichen der Transaktionsanalyse sind deshalb klare Arbeitsvereinbarungen, in denen alle Beteiligten ihre Verantwortung wahrnehmen. "Probleme sind Hindernisse auf dem Weg zum Ziel" - dieser Satz drückt treffend einen wesentlichen Grundsatz der transaktionsanalytischen Methode aus: TA-Professionals verharren nicht primär bei der Frage nach den Ursachen eines Problems, vielmehr analysieren sie die aktuelle Situation mit Hilfe eines breiten Spektrums ausgereifter Modelle und Konzepte und konzentrieren sich auf die Möglichkeiten der Veränderung, der Lösung und der Weiterentwicklung. Im Zentrum des Interesses steht dabei stets die Wirksamkeit und das Wirkungsspektrum menschlichen Handelns.

TA-Theorie erklärt sowohl innere Prozesse und lebensgeschichtliche Entwicklungen als auch die Art und Weise der zwischenmenschlichen Kommunikation in allen erdenklichen Situationen des menschlichen Miteinanders.

Als praktische Methode findet die Transaktionsanalyse Einsatz in Psychotherapie, Pädagogik und Erwachsenenbildung, Beratung und Organisationsentwicklung. Das Spektrum reicht von der intensiven therapeutischen Begleitung auch schwerst gestörter Menschen über Gruppentherapie, pädagogische Ansätze in Einzel- und Gruppensituationen und lösungsorientierte Beratungsarbeit bis hin zu Methoden der Organisationsentwicklung und Managementberatung.

Getragen werden transaktionsanalytische Interventionen, ganz gleich in welchem Anwendungsfeld sie eingesetzt werden, von der Überzeugung, dass jeder Mensch in sich den Wunsch nach Wachstum und Autonomie trägt. Und zwar sowohl im Hinblick auf seine Persönlichkeit als auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Rollen, die sie oder er im privaten und beruflichen Leben einnimmt. Für die einzelnen Konzepte und Modelle spielt die Bindungsfähigkeit eines Menschen eine zentrale Rolle. Kontakt ist wichtiger als Inhalt - so lautet ein Kernsatz. Gemeint ist, dass ohne eine gute und stabile Anbindung der Menschen untereinander keine wirksame, keine erfolgreiche Kommunikation und erst recht kein angemessenes Handeln stattfinden können - ganz gleich in welchem Lebens- oder Arbeitszusammenhang. Auch die individuelle Entwicklung der Persönlichkeit wird immer in ihrer Bezogenheit auf Partner, Familie, soziale Gruppen, berufliche und gesellschaftliche Zusammenhänge gesehen. Transaktionsanalyse ist deshalb stets auch Analyse von sozialen Systemen. .....
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Grüsse,
Uta
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Uta,

Zitat von Uta:

Mir sind immer praktische Beispiele lieber, und da kenne ich von der systemischen Seite her die Systemische Aufstellung. Die finde ich - wenn ein guter Leiter dabei ist - hochinteressant, weil gleichzeitig die Einbindung in ein System dabei ganz klar sichtbar wird und ebenso die Einbindung jedes Einzelnen in Systeme (schwierig auszudrücken).

Ja, da hast Du auf jeden Fall Recht. Beispiele sind unerlässlich.

Ich fange mal mit der ersten These an:

* im pädagogischen, sozialen und biologisch-medizinischen Bereich gibt es keine einfachen Ursache-Wirkungszusammenhänge von Prozessen oder Phänomenen.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem pädagogischen Bereich:

Ein Kind zeigt Auffälligkeiten in der Grundschule, es hört vielleicht nicht zu, sitzt nicht lange auf seinem Platz, stört die anderen und so fort.

Linear gedacht hieße dies:

Das Kind stört, es ist unaufmerksam ----- es ist nicht regelschulfähig und muss in eine Sonderschule gehen.

Systemisch gedacht könnte so vorgegangen werden:

Es werden verschiedene Fragen gestellt: Wann tritt das Verhalten auf? Was ist dem Verhalten voraus gegangen? Was ist die Konsequenz des Verhaltens (eine typisch lösungsorientierte Frage wäre: Wozu ist das Verhalten gut?), was verstärkt, was vermindert dass Verhalten.

Was sind die Ursachen?
(hier käme dann auch eine medizinische Abklärung mit ins Spiel.)


Das Ergebnis kann, aber muss nicht, ganz anders ausfallen als im Falle des linearen Denkens:

Es könnte zum Beispiel sein, dass man herausfindet, dass das Kind übermüdet und vollkommen gestresst in die Schuile kommt, weil es nicht genug Schlaf bekommt ----- weil der Vater nachts von der Arbeit kommt und dann "Highlife" im ganzen Hause ist).

Bei der Lösungssuche hat man dann mehr als nur die eine Möglichkeit, nämlich das Kind auf eine Sonderschule zu geben!


Herzliche Grüße von
Leòn
 
Zuletzt bearbeitet:
Von Deinem praktischen Beispiel ausgehend, scheint mir für eine gute systemische Betrachtung eines Verhaltens großes Wissen notwendig!

Vielleicht gibt es deshalb in Schulen oft so seltsame Aussagen über das Verhalten von Kindern, weil die entsprechenden Lehrer einfach zu wenig wissen? - Das wäre dann ein übles Manko, weil ja Lehrer sehr früh wichtige Weichen stellen.
Also wären Änderungen in der Ausbildung der Lehrer auch in diesem Punkt nötig.

Gruss,
Uta
 
Hallo Uta,

ja, "systemisches Denken" setzt einfach viele unterschieliche Sichtweisen - und somit "Standpunkte" voraus. Dazu gehört, ganz wesentlich, das Betrachten der "Systeme" und "Subsysteme" (zum Beispiel: System Familie, Subsystem: die beiden jüngsten Geschwister, Oder: System Schulklasse, Subsystem: Heiko, Hajo und Hannelore;) ), aus möglichst vielen Blickwinkeln heraus. Und damit dann "ganz viel Wissen" erforderlich.

Um wieder das Beispiel zu nehmen:

Also wären Änderungen in der Ausbildung der Lehrer auch in diesem Punkt nötig.

Ja, das sehe ich auch so!:D

Jerzliche Grüße von
Leòn
 
Zuletzt bearbeitet:
Allerdings: Lehrer sind heute sowieso schon überlastet, und gerade dieses Berufsbild hat sich in den letzten 20 Jahren sehr verändert. War Lehrer früher noch ein gern angesteuerter Beruf, ist er heute eher problematisch und fordert viel, manchmal zu viel. Sicher gibt es nicht ohne Grund so viele Lehrer, die vorzeitig ausgebrannt sind und krank werden.

Also müssten auch die Eltern eigentlich eine "andere" Ausbildung haben im Umgang mit Kindern, aber sie haben ja im allgemeinen gar keine.

Das läßt mich an die Montessori-Schulen denken: da wird der praktische Umgang mit Kindern geübt, die ihre ganz eigenen Probleme haben. Und soweit ich das sehe, tut das allen Kindern sehr gut.

Noch ein ganz anderer Gedanke zum systemischen Denken: setzt das nicht voraus, daß man sich selbst einmal erst aus dem Denken herausnimmt, also nicht alles, was im Umfeld geschieht, auf sich selbst bezogen sieht? Wenn das gelingt, ist der erste Schritt zur Einbindung ins System schon geschafft, was sicher weitere "Einbindungen" mit sich bringt.

Ich grüsse Dich auch jerzlich
Uta
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Jerzliche Grüße wiederum von mir ;) (Wir brauchen dringend eine neue Rechtschreiboffensive in diesem Forum :D )!


Noch ein ganz anderer Gedanke zum systemischen Denken: setzt das nicht voraus, daß man sich selbst einmal erst aus dem Denken herausnimmt, also nicht alles, was im Umfeld geschieht, auf sich selbst bezogen sieht? Wenn das gelingt, ist der erste Schritt zur Einbindung ins System schon geschafft, was sicher weitere "Einbindungen" mit sich bringt.

Ich denke, dass dies ein Teil davon ist. Es geht ja darum, alle Komponenten zunächst einmal "wertungsfrei" zu betrachten und hinsichtlich ihrer gegenseitigen Wirkung zu überprüfen.
Systemisches Denken ist die Fähigkeit, alle Akteure und Handlungen im Rahmen eines komplexen Systems zu sehen, ....

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Zuletzt bearbeitet:
Fortsetzung:;)

Somit kann ein Gegenstand - in dem einen System völlig anders wirken als in einem anderen. Bzw. dessen Wirkung kann unterschiedlich beurteilt würden. Ein banales Beispiel: ein Mensch in Badehose wird in dem System/ Subsystem Strand als passend erlebt. Nicht ganz genau so wirkt er aber in dem System/ Subsystem Opernhaus!:D

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Noch einmal zurück zu "Spiele der Erwachsenen" von Eric Berne (Transaktionsanalyse).

Hier wird recht gut beschrieben, wie diese "Spiele" funktionieren.
In dem Moment, in dem ein Spieler aus dem immer gleich verlaufenden Spiel aussteigt, findet es in der Form nicht mehr statt, was große Änderungen nach sich ziehen kann.

1.10 Spiele der Erwachsenen

Gruss,
Oregano
 
Guten Morgen,

schön diese Vielfalt in diesem Forum, mein Herz hängt an dem Thema: Systemtheorie und Konstruktivismus.

Die Idee der Systemtheorie wurde im wesentliche von Maturana und Luhmann erarbeitet.

Luhmann hat die Naturwissenschaft und die Philosophie zur Theorie der "Sozialen Systeme" zusammengeführt.

Die Grundidee:

Informationen haben nur im eigenen System ihre Gültigkeit

Für den Medizinbetrieb gut beschrieben in:

"Medizinsystem und Gesundheitswissenschaft" von Vogd in https://userpage.fu-berlin.de/~vogd/Medizinsystem.pdf

Allen die sich mit diesem aktuellen, hochinteressanten Thema beschäftigen möchten, kann ich das kleine Reclam Buch: Niklas Luhmann, Aufsätze und Reden für 8,60 € sehr empfehlen.

peter
 
Ich bin auf diesen alten Thread gestoßen, weil ich nach einem Thread gesucht habe, der beschreibt, wie sich STimmungen und Einstellungen verändern können, aufschaukeln können.
Das ist immer wieder hier im Forum zu beobachten und erstaunt mich immer wieder, weil anscheinend in so einer Veränderungsphase der kritische Verstand und die Sachlichkeit auf der Strecke bleiben und Emotionen das Ruder übernehmen.
Ich finde das jeweils schade, denn es verhindert letzten Endes, daß Themen tatsächlich diskutiert werden. Statt dessen werden dann Menschen persönlich angegriffen, teilweise bis unter die Gürtellinie. Und "Followers" gibt es immer...

In diesem Zusammenhang möchte ich wieder einmal auf ein Buch hinweisen, das inzwischen schon alt ist, das ich aber immer noch sehr gut finde "Spiele der Erwachsenen" von Eric Berne.

https://www.germanistik-kommprojekt.uni-oldenburg.de/sites/1/1_10.html

Grüsse,
Oregano
 
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