Hermann Hesse

Sprache

Die Sonne spricht zu uns mit Licht,
Mit Duft und Farbe spricht die Blume,
Mit Wolken, Schnee und Regen spricht
Die Luft. Es lebt im Heiligtume
Der Welt ein unstillbarer Drang,
Der Dinge Stummheit zu durchbrechen,
In Wort, Gebärde, Farbe, Klang
Des Seins Geheimnis auszusprechen.
Hier strömt der Künste lichter Quell,
Es ringt nach Wort, nach Offenbarung,
Nach Geist die Welt und kündet hell
Aus Menschenlippen ewige Erfahrung.
Nach Sprache sehnt sich alles Leben,
In Wort und Zahl, in Farbe, Linie, Ton
Beschwört sich unser dumpfes Streben
Und baut des Sinnen immer höhern Thron.

In einer Blume Rot und Blau,
In eines Dichters Worte wendet
Nach innen sich der Schöpfung Bau,
Der stets beginnt und niemals endet.
Und wo sich Wort und Ton gesellt,
Wo Lied erklingt, Kunst sich entfaltet,
Wird jedesmal der Sinn der Welt,
Des ganzen Daseins neu gestaltet,
Und jedes Lied und jedes Buch
Und jedes Bild ist ein Enthüllen,
Ein neuer, tausendster Versuch,
Des Lebens Einheit zu erfüllen.
In diese Einheit einzugehn,
Lockt euch die Dichtung, die Musik,
Der Schöpfung Vielfalt zu verstehn
Genügt ein einziger Spiegelblick.
Was uns Verworrenes begegnet,
Wird klar und einfach im Gedicht:
Die Blume lacht, die Wolke regnet,
Die Welt hat Sinn, das Stumme spricht.
 
Wie eine Welle
Wie eine Welle, die vom Schaum gekränzt
Aus blauer Flut sich voll Verlangen reckt
Und müd und schön im großen Meer verglänzt -

Wie eine Wolke, die im leisen Wind
Hinsegelnd aller Pilger Sehnsucht weckt
Und blaß und silbern in den Tag verrinnt -

Und wie ein Lied am heißen Staßenrand
Fremdtönig klingt mit wunderlichen Reim
Und dir das Herz entführt weit über Land -

So weht mein Leben flüchtig durch die Zeit,
Ist bald vertönt und mündet doch geheim
Ins Reich der Sehnsucht und der Ewigkeit.

[IMG]https://www.wasser.de/weitere-inhalte/bilder/Gewaesser/Oberflaeche/b00001b.jpg
 
Wettstreit mit dem Arzt
Der Arzt, der erst noch in einem Nebenraume in der üblichen Weise mit Wasser geplätschert hatte, trat herein, ein intelligentes Gesicht versprach Verständnis, und wir begrüßten einander, wie es gesitteten Boxern ziemt, vor dem Wettkampf mit herzlichem Händedruck. Vorsichtig begannen wir den Kampf, tasteten einander ab, probierten zögernd die ersten Schläge. Noch waren wir auf neutralem Gebiet, unser Disput ging um Stoffwechsel, Ernährung, Alter, frühere Krankheiten und troff von Harmlosigkeit, nur bei einzelnen Worten kreuzten sich unsere Blicke, klar zum Gefecht. Der Arzt hatte einige Ausdrücke aus der medizinischen Geheimsprache auf seiner Palette, die ich nur annähernd entziffern konnte, die aber seinen Kundgebungen ornamental sehr zustatten kamen und seine Position mir gegenüber spürbar stärkten. Immerhin war mir schon nach einigen Minuten klar, daß bei diesem Arzte nicht jene grausame Enttäuschung zu fürchten war, welche Menschen von meiner Art gerade bei Ärzten peinlich ist: daß man hinter einer gewinnenden Fassade von Intelligenz und Schulung auf eine starre Dogmatik stößt, deren erster Satz postuliert, daß Anschauungsweise, Denkart und Terminologie des Patienten rein subjektive Phänomene, die des Arztes hingegen streng objektive Werte seien. (Hermann Hesse: Kurgast)
www.bibliomaniac.de/fab/split/hh.htm
 
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Traum von der Mutter

Draußen auf den warmen Wiesen
Will ich nach den Wolken sehen
Und die müden Augen schließen
Und ins Träumeland hinüber
Hin zu meiner Mutter gehen.

Oh, sie hat mich schon vernommen!
Leise geht sie mir entgegen,
Der ich ferneher gekommen,
Meine Stirne, meine Hände
Still in ihren Schoß zu legen.

Wird sie jetzt nach Dingen fragen,
Die ich nur mit Scham gestehe
Und mit bitterlichen Klagen?
Nein, sie lacht! Sie lacht und freut sich
Meiner lang vermißten Nähe.

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Kennst Du Das Auch?

Kennst du das auch, daß manches mal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plötzlich schweigen und hinweggehen mu&zlig;t?

Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf
Wie Einer, den plötzlich Heimweh traf;
Lust und Gelächter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, ohne Halt - Kennst du das auch?
 
Nachtgefühl

Tief mit blauer Nachtgewalt,
Die mein Herz erhellt,
Bricht aus jähem Wolkenspalt
Mond und Sternenwelt.

Seele flammt aus ihrer Gruft
Lodernd aufgeschürt,
Da im bleichen Sternenduft
Nacht die Harfe rührt.

Sorge flieht und Not wird klein,
Seit der Ruf geschah.
Mag ich morgen nimmer sein,
Heute bin ich da!
 
Hesse: "... über die Liebe..."

Ohne Persönlichkeit gibt es keine Liebe, keine wirklich tiefe Liebe.

Den Sinn erhält das Leben einzig durch die Liebe. Das heißt: je mehr wir zu lieben und uns hinzugeben fähig sind, desto sinnvoller wird unser Leben.

Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich. Ohne Liebe zu sich selbst ist auch die Nächstenliebe unmöglich.

Der Selbsthaß ist genau dasselbe und erzeugt am Ende dieselbe grausige Isoliertheit und Verzweiflung wie der grelle Egoismus.

Der Anfang aller Kunst ist die Liebe. Wert und Umfang jeder Kunst werden vor allem durch des Künstlers Fähigkeit zur Liebe bestimmt. Genie ist Liebeskraft, ist Sehnsucht nach Hingabe.

Je weniger ich an unsere Zeit glauben kann, je mehr ich das Menschentum verkommen und verdorren zu sehen meine, desto weniger stelle ich diesem Verfall die Revolution entgegen, und desto mehr glaube ich an die Magie der Liebe.

Kein Mensch fühlt im andern eine Schwingung mit, ohne daß er sie selbst in sich hat. Die Welt und das Leben zu lieben, auch unter Qualen zu lieben, jedem Sonnenstrahl dankbar offenstehen und auch im Leid das Lächeln nicht ganz zu verlernen - diese Lehre jeder echten Dichtung veraltet nie und ist heute notwendiger und dankenswerter als je.

Fühle mit allem Leid der Welt, aber richte deine Kräfte nicht dorthin, wo du machtlos bist, sondern zum Nächsten, dem du helfen, den du lieben und erfreuen kannst.

Die Welt zu durchschauen, sie zu verachten, mag großer Denker Sache sein. Mir aber liegt einzig daran, die Welt lieben zu können, sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung und Ehrfurcht betrachten zu können.

(© Hermann Hesse)
 
Hesse heiratete seine erste Frau Maria geb. Bernoulli (genannt Mia), Mutter seiner drei Söhne, im Jahre 1904.

Aus einem Brief vom 11. September 1904 an Stefan Zweig:

Meine Hochzeit ging im Galopp. Da der Schwiegerpapa nicht einverstanden ist und nichts von mir will, kam ich dahergereist, solang er gerade nicht in Basel war, dann gings subitissimo aufs Standesamt. Nun grollt der Alte von ferne, scheint aber allmählich sich zu beruhigen. Und nun bin ich ein verheirateter Mann, und mit dem Zigeunern hat es einstweilen ein Ende.

Hesse, Sein Leben in Bildern und Texten
 
Nachdem ich das Glasperlenspiel durch hatte, habe ich die Morgenlandfahrt gelesen und jetzt, vorgestern, mit Demian angefangen. Die Geschichte hat mich, wieder von der ersten Seite angefangen, gefesselt. Ich stelle fest, dass mir die Bücher, die er bis zur "Lebensmitte", also bis zum Steppenwolf, in etwa, geschrieben hat, leichter zugänglich sind als das "Alterswerk".

Jetzt bin ich gerade an der Stelle, als der der jugendliche Sinclair sich in Beatrix "verliebt", bzw. in sein Bild, in seine Vorstellung von "Beatrix", von der er ja nicht mal weiß, wie sie heißt. Und das hilft ihm, aus dem "Abgrund" seiner Exzesse, Kneipentouren, dem Glückspiel usw. zu entkommen... .
Ganz wie Goethe schrieb "....das ewig Weibliche zieht uns hinan!".:)

Demian - hhesse.de - Das Hermann Hesse Portal - Das Werk
Hermann Hesse - Demian
Demian: Statistik der Assoziationen und Gedanken zum Stichwort Demian im Assoziations-Blaster

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Vor 130 Jahren, am 2. Juli 1877, wurde der Schrifsteller Hermann Hesse in Calw geboren. - Einem Arlesheimer Amateurfilmer sind die einzigen - soweit bis heute bekannt - "bewegten Bilder" Hermann Hesses zu verdanken. Der Film von Prof. Dr. Arthur Stoll (1887-1971) zeigt den Dichter mit Frau Ninon, Sohn Bruno und Freunden vor seinem Haus, der Casa Rossa in Montagnola, beim Rosenschneiden, am Schreibtisch und beim Boccia-Spiel in einem "Grotto". Ein 10-Sekunden-Ausschnitt ist auf der Hermann-Hesse-Webseite zu sehen: Filmdokumente
.........

Bertolt Brecht und Thomas Mann machten 1933 auf ihren Reisen ins Exil jeweils bei Hesse in Montagnola Station. Anfang April 1933 schreibt Hermann Hesse an Prof. Arthur Stoll nach Arlesheim: Wieder sind Sie mir mit Ihrem Brief und Ihrer Gabe wie ein freundlich hilfreicher Zauberer erschienen, ich sage Ihnen dafür recht schönen Dank. Die Gabe ist willkommen und wird ganz in Ihrem Sinn verwendet, als Beitrag zum Üben der Gastfreundschaft an den Exilierten und Emigranten. (...) Inzwischen war Thomas Mann öfter bei uns, und ich sehe mit Freude, dass er die erste schwere Depression langsam überwindet. (...) ... dieser Tage läuft sein Pass ab und wird ihm von keinem deutschen Konsulat auch nur provisorisch erneert, er wendet sich jetzt an den Völkerbund mit der Bitte um einen Pass. Noch im letzten Moment vor Hitlers Sieg erschien in Berlin Th. Manns Bekenntnis zur sozialen Republik (...). Seither steht er auf der schwarzen Liste der Terroristen obenan.
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"H.H. giesst seine Blumen", Aquarell von Hermann Hesse, auf einem Brief an Prof. Arthur Stoll, Arlesheim, 26. August 1932.
Ausschnitt aus der Abbildung des Briefes in der Broschüre über das Schweizerische Literaturarchiv, Hrsg. Schweizerische Nationalbibliothek
Der Wanderer von Arlesheim: Hermann Hesse: Briefe nach Arlesheim
 
Mit Blick auf Gaienhofen habe ich diese Zeilen vorgefunden:

Die Landschaft des Untersees wird mir zeitlebens fehlen,
es sprechen an wenigen Orten so stark wie hier zu jedem Fenster herein See, und Wald, Himmel und Wiese zu mir.
Und ich meine schon im Voraus zu fühlen,
wie der Anblick des weiten Wassers, über dem alle Lufterscheinungen
so rein und farbig wirken, mir später überall fehlen wird...

Hermann Hesse
 
"Dieser schandbare Winter, der keiner ist, geht mir auf die Nerven. Wir hatten eine kurze Zeit Schnee, das genoß ich sehr und war halbe Tage mit dem Bergschlitten unterwegs. Seither taut und regnet es, ist lau und naß, immer föhnig und charakterlos. Der Teufel hole diese Zeit, in der die Sommer kühl und die Winter lau sind, mir ist es in der Seele zuwider, da ich starke Hitze oder Kälte, kräftige Farben und klares Licht liebe."
(HH in einem Brief an Stefan Zweig vom, 9. Februar 1904)

www.leopoldmuseum.org/bilder/7_Grosse-Landschaft.jpg

www.leopoldmuseum.org/exhibitions.php?nav=2&id=3&sub=17&zaehler=1&total=17
 
"Ein Leben gegen den Strom"

Demnächst: Eigensinn macht Spaß – Hermann Hesse
Ausstellung im Klingspor-Museum vom 30. August bis 14. Oktober 2007
Leben, literarisches und malerisches Werk Hermann Hesses beleuchtet die Ausstellung, die vom Suhrkamp Verlag und dem Hessischen Rundfunk erarbeitet wurde. 1997 erstmals gezeigt, lebt sie im Klingspor-Museum auf, ergänzt um Werke der Buchkunst, die auf Texte von Hesse eingehen. Heidi Hübner-Prochotta und John Gerard, seit den 80er Jahren verdient um Aspekte des Künstlerbuchs, lassen die atmosphärisch intensive Lyrik Hesses augenscheinlich werden.
Eröffnung: Mittwoch, 29. August, 19 Uhr
Zur Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm im Klingspor-Museum und in der Stadtbücherei Offenbach, u.a.: Dienstag, 4. September, 19.30 Uhr, Stadtbücherei. Schönherz & Fleer: Hesse Projekt - Die Welt unser Traum. Mit Matthias Habich, Angelica Fleer und Richard Schönherz. Eintritt: 6,- / 4,- ; mit freundlicher Unterstützung des Hörverlages.

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https://www.klingspor-museum.de/index.html

LG,
Malve
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Mit nostalgischen Gefühlen lese ich wieder durch die Seiten dieses Buches. Wieviele Jahre und Ausgaben - zwanzig alleine in den USA? - in allen europäischen Sprachen, auf holländisch, griechisch, ja sogar persisch und japanisch, liegen dazwischen? Wieviele Jahre sind seit jenem Abenteuer der Seele vergangen? Sicherlich hatte mein Leben etwas Magisches, durfte ich doch zehn Jahre in Montagnola verbringen, in der alten Casa Camuzzi, die einst auch Heim von Hermann Hesse war. Ein Herrschaftshaus, gebaut im barocken St. Petersburger Stil von einem der Architekten des Goldenen Hügels, mit all seinen zu den Alpengipfeln und dem Luganersee ausgerichteten Balkonen und Terrassen, und der Sicht auf den Garten von Klingsor. Es war das Ziel vieler Pilger aus Ost und West, die im Gepäck eine Ausgabe von Der hermetische Kreis mit sich führten, in deutscher, öfters aber noch in englischer Sprache. Sie alle wiederholten Schritt für Schritt die Pilgerreise, die ich vor mehr als zwanzig Jahren gemacht hatte. Und plötzlich, ohne es zu ahnen, sahen sie sich dem Verfasser dieser Seiten gegenüber, der ihr Führer wurde, sie an seinen Tisch setzte, ihnen Wein zu trinken gab und Unterkunft anbot, genau so, wie es Hesse vor vielen Jahren mit mir gemacht hatte, einem damals jungen Pilger, der vom Südpolarkreis kam, mit nicht viel mehr als einem ersten, gerade veröffentlichten Buch als Empfehlungsschreiben: Weder über Meer, noch über Land.

Inzwischen waren viele Dinge geschehen. Die Straßen in Montagnola waren längst asphaltiert, und die Pilger, die auf ihnen gingen, waren auch anders. Fast alle hatten Hermann Hesse durch eine selbstsüchtige Propaganda für einen verfälschten Hinduismus kennengelernt, oder durch die Drogenkultur. Ich versuchte, ihnen klar zu machen, daß Hermann Hesse anders war, daß man ihn benutzt und verfälscht hatte. Natürlich wußte ich, daß mein Unterfangen nicht sehr erfolgreich sein konnte und ich nur wenige Leute retten konnte, bevor sich eine ganze Generation in den Abgrund stürzte. Die Erinnerung an Ninon Hesse, der Ehefrau des Autors, gab mir Kraft für meine Bemühungen. Allerdings hatte sie mir in unserem letzten Interview gestanden, daß sie etwas den Mut zum Weiterkämpfen gegen die Verfälschung von Hesse verloren hatte. Sie erzählte mir, daß Leute einer kanadischen Fernsehanstalt sie besucht und gebeten hatten, ein Drehbuch zu Der Steppenwolf zu schreiben. Sie hatte abgelehnt, weil Hesse in seinem Testament ausdrücklich dagegen war, daß seine Werke verfilmt würden. Ninon hatte auch Schwierigkeiten mit den Kindern des Autors. Zu Hesses Lebzeiten wurden seine Anweisungen getreu befolgt, dies änderte sich aber nach seinem Tode.

Eines Tages in Montagnola besuchte mich der Sohn von Hermann Hesse, Heiner, in Begleitung einiger nordamerikanischer Filmemacher, darunter auch derjenige, der Ulysses von James Joyce verfilmt hatte. Heiner Hesse hatte ihnen die Erlaubnis gegeben, Der Steppenwolf zu verfilmen. Sie wollten meine Meinung dazu hören. Ich fragte Heiner nach dem Testament seines Vaters und erinnerte mich an die Worte von Ninon. Er wußte von dieser Verfügung, erklärte mir aber, es gäbe eine Klausel, die sagte: "Wenn eines seiner Kinder sich in einer finanziellen Notlage befände, könne die Zustimmung zu einem Filmprojekt gegeben werden". Ich fragte ihn, ob er sich in einer solchen Lage befände. Er verneinte dies und meinte dazu, er würde es machen, "um der Jugend zu helfen". Sie gaben mir das Drehbuch und baten mich nach einigen Tagen um meine Meinung.

Ich las das Buch und fand, zu meiner Überraschung, längere Textpassagen, in denen der Hauptdarsteller von Der Steppenwolf das Nazitum verschmäht, die in der Originalausgabe gar nicht vorhanden waren. Ich wies in unserer nächsten Begegnung darauf hin, und erinnerte mich mit Entsetzen an die Antwort: "Diese Textstellen sind notwendig, weil das nordamerikanische Publikum im kulturellen Gepäck von Hermann Hesse die gleiche Tradition sieht, die das Nazitum in Deutschland begründete." Das war erschreckend. Selbstverständlich lehnte ich diese Fälschung wie überhaupt das ganze Filmprojekt ab. Aber selbstverständlich wurde der Film, nachdem eine Zahlung von US $ 70 000 an Heiner Hesse erfolgt war, gemacht. Er war ein absoluter Reinfall.

Das völlige Fehlen von Scham und Respekt der Nordamerikaner und der Medien, ihre Kulturlosigkeit, brachte sie dazu, die Verbindung eines deutschen - sehr deutschen sogar! - Schriftstellers zu den Wurzeln seiner Nationalität trennen zu wollen, um ihn nach ihrem eigenen Gutdünken zu benützen, ihn als Objekt zu benützen für die große Verschwörung der "weltweiten Aufdeckung", um es so zu formulieren, die alsdann begann und sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit über den ganzen Planeten ausbreitete. Dazu verhalf zweifellos die allgemeine Unkultur, die von den USA aus propagiert und unterstützt wurde.

Zu dieser Zeit hatte mein Buch Der hermetische Kreis einen gewissen Ruhm erlangt und wurde vor allem von Jugendlichen, Leuten aus dem Universitätskreis, Psychiatern und Jungianern gelesen. Dies ging so weit, daß die Psychiatrische Gesellschaft von Australien mir eine vom Präsidenten und allen Mitgliedern unterzeichnete Glückwunschkarte schickte. Während einiger Jahre fanden in Montagnola oder unmittelbarer Nähe, von den Amerikanern unterstützte Symposien statt, an denen Universitätsprofessoren aus Europa und Amerika teilnahmen. Auch ich wurde eingeladen und durfte zwei Referate halten, eines über Nietzsche und die ewige Rückkehr - das später als Buch mit demselben Titel erschien. Ich hatte dieses Referat auch in Spanisch gehalten, an einer höheren Schule in Madrid und am Institut für spanische Kultur in Madrid und Barcelona, sowie an chilenischen Universitäten. Das zweite Referat trug den Titel Die Umwandlung von Hermann Hesse in den USA.

In diesem Referat verfocht ich weiterhin, daß Hesse in seinem tiefsten Gedankengut verfälscht und als ein Bohemier, ein Hippie, dargestellt worden war, als Anhänger der Drogenkultur, pazifistischer Vagabund (er war übrigens wirklich Pazifist), der die Freiheit über Disziplin und Lehrbuch stellt, und auf subtile Art Homosexualität andeutet, oder, wenn bevorzugt, Bisexualität. Ich wies nachdrücklich darauf hin, daß Hesse nicht verstanden werden kann, wenn man ihn von den Wurzeln der literarischen Tradition der deutschen Romantik trennt, von der Kette mit Novalis, Hölderlin, Kleist und von Nietzsche selbst, den er so sehr bewundert hatte. Hesse war die letzte Blume der deutschen Romantik und dem philosophischen Gedankengut, das mit Schopenhauer und Goethe selbst (einem Bewunderer von Shakunthala) die große Reise des Begreifens in Richtung Osten antrat. (Hermann Hesse hatte eine außergewöhnliche Studie über die deutsche Romantik geschrieben, die leider verschwunden und heute völlig unbekannt ist.) Unter dem Einfluß von C.G. Jung, bei dem er sich einer Psychoanalyse unterzog, verfiel er völlig dem germanisch-alchemistischen Traum der Androgyne - was das Gegenteil von Homosexualität ist -, dessen Sehnen nach Einheit und der Vereinigung der Gegensätze, der Einheit mit dem Selbst von Nietzsche, dem inneren Homo, dem coelo, Demian, geliebt und bewundert von Sinclair, d.h. von Hesse. Sein intimstes Ich. Narziß und Goldmund. In der deutschen Originalausgabe von Der Steppenwolf heißt die weibliche Darstellerin Hermina, das ist die weibliche Form von Hermann. Dies ist dasselbe alchemisch-tantrische Spiel wie in Mozarts Zauberflöte: Pamino und Pamina. Hermann Hesse versank, wieviele andere Deutsche der großen Tradition, in der Musik von Mozart und Bach.

Man hat versucht, Hesse zu einem Produkt der Konsumgesellschaft zu machen, durch ihn die Riten und Rechtgläubigkeit derselben verbreiten zu lassen.
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C.G. Jung und Hermann Hesse von Miguel Serrano - Vorwort

Serrano, Miguel
C.G. Jung und Hermann Hesse

Miguel Serrano, ein chilenischer Diplomat, der viele Jahre lang sein Land in Indien vertreten hat und sich dort auch mit östlicher Weisheit eingehend befaßte, schildert hier in sehr persönlicher und eigenwilliger Art seine verschiedenen Begegnungen mit den beiden weltbekannten Persönlichkeiten: dem Dichter von Montagnola und dem großen Psychologen. Mit beiden verband ihn eine jahrelange Freundschaft, die – von seiner dem Magisch-Mystischen zugewandten Geisteshaltung geprägt – in Gespräch und Briefen besondere Wege führte. Das Wesen und die Geheimnisse der menschlichen Seele, Meditation, das Leben nach dem Tode, die Beseeltheit der Dinge um uns, das Übersinnliche und ähnliche Themen kamen immer wieder zur Sprache.
Deutsche Titel von Miguel Serrano
 
Abends

Abends gehn die Liebespaare
Langsam durch das Feld,
Frauen lösen ihre Haare,
Händler zählen Geld,
Bürger lesen bang das Neuste
In dem Abendblatt,
Kinder ballen kleine Fäuste,
Schlafen tief und satt.
Jeder tut das einzig Wahre,
Folgt erhabner Pflicht,
Säugling, Bürger, Liebespaare -
Und ich selber nicht?

Doch! Auch meiner Abendtaten,
Deren Sklav' ich bin,
Kann der Weltgeist nicht entraten,
Sie auch haben Sinn.
Und so geh ich auf und nieder,
Tanze innerlich,
Summe dumme Gassenlieder,
Lobe Gott und mich,
Trinke Wein und phantasiere,
Daß ich Pascha wär,
Fühle Sorgen an der Niere,
Lächle, trinke mehr,
Sage ja zu meinem Herzen
(Morgens geht es nicht),
Spinne aus vergangnen Schmerzen
Spielend ein Gedicht,
Sehe Mond und Sterne kreisen,
Ahne ihren Sinn,
Fühle mich mit ihnen reisen
Einerlei wohin.

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Zunachten

Laufeuchte Winde schweifen
Nachtvögel hört man überm Ried
Mit schweren Flügeln streifen
Und fern im Dorf ein Fischerlied.

Aus niegewesenen Zeiten
Sind trübe Sagen angestimmt
Und Klagen um ewige Leiden;
Weh dem, der sie bei Nacht vernimmt!

Laß klagen, Kind, laß rauschen!
Rings ist die Welt vom Leide schwer.
Wir wollen den Vögeln lauschen
Und auch dem Lied vom Dorfe her.

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Wunderschön !
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Aus Volker Michels Vorwort zu “Hermann Hesse, Thomas Mann - Briefwechsel”:

Der Schweizer Literaturkritiker Otto Basler (1902-1984) hat uns eine charakteristische Anekdote überliefert. Er war mit den beiden Dichtern so gut befreundet, daß sie ihn sogar in seinem Aargauer Heim besuchten. Als Thomas Mann am 6. Juli 1950 vor seiner Haustür stand, begrüßte ihn Otto Basler mit dem Schiller-Zitat: “Ein werter, treuer Gast, kein bessrer Mann ist über diese Schwelle noch gegangen.” Darauf habe Thomas Mann einen Augenblick gestutzt, seinen Fuß von der Stufe zurückgezogen und verschmitzt entgegnet: “Aber sagen Sie, lieber Freund, ist nicht kürzlich Hermann Hesse dagewesen?” “Ja, das schon”, antwortete Otto Basler, “aber er betrat das Haus von der anderen Seite.” “Ach so”, erwiderte Thomas Mann und kaum daraufhin munter herein.
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Thomas Mann, Hermann Hesse und Samuel Fischer
Thomas Mann - In Ton und Bild - Bildergalerien
 
Vereinsamung

Dem Regen lausch ich gerne und dem Wind
Und irr in Waldes warmen Finsternissen.
Von allen Wolkenflügen will ich wissen,
Was ihre Hoffnungen und Ziele sind.

Mir ist es Trost, als Wandrer hier und dort
Durch Fenster fremder Wohnungen zu sehen,
Und fremder Menschen Leben, Lust und Wehen
Beacht ich still und nehme sie mit fort.

Nachts aber, wenn erbarmungslos und hart
Die hohen Sterne auf mein Lager schauen,
Da kehr ich frierend ein und seh mit Grauen,
Wie mir das eigne Herz zur Fremde ward.
 
Für Ilona Durigo, Kammersängerin, die zu Hesses Schweizer Musikfreunden gehörte:

Vergänglich ist und dauerlos das Schöne,
Du aber, wenn Du Deine Gaben bringst,
Wenn Du der großen Meister Töne
So warm aus reichem Herzen singst,
Du gibst dem kurzen Augenblick
So wahren Glanz, daß er die Schwingen weitet
Und mit in unseres Lebens Tiefe gleitet,
Daß er uns ohne Trauer
Verbleibt in holder Dauer
Wie jedes wahre Glück.
(Hesse, Sein Leben in Bildern und Texten)


Die Freundschaften und Begegnungen mit Komponisten, Dirigenten, Virtuosen, Sängern und Sängerinnen gehörten unentbehrlich mit zu meinem musikalischen Leben und meiner musikalischen Erziehung, und wenn ich heute an gewisse, im Erinnern besonders aufleuchtende Konzerte in Festsaal oder Kirche zurückdenke, so höre ich nicht nur die Musik wieder mit der besonderen Stimmung und Temperatur jener Stunden, nein ich sehe auch die rührende Gestalt Dinu Lipattis, die vornehme Paderewskis, die geschmeidige Sarasates, die aufleuchtenden Augen von Schoeck, das lässig herrenhafte Dirigieren von Richard Strauß, das Fanatische von Toscanini, das Nervöse von Furtwängler, ich sehe Busonis liebes Gesicht versunken über den Tasten hängen, sehe die Philippi in vestalischer Oratorienhaltung, die Durigo mit weit geöffneten Augen am Schluß des Lieds von der Erde, Edwin Fischers derben Knabenkopf, Hans Hubers zigeunerhaft scharfes Profil, Fritz Bruns schöne weite Armbewegungen bei einen Andantesatz, und zwanzig und hundert andere edle und teure Gestalten, Gesichter und Gebärden.
(Aus "An einen Musiker", 1960)
 
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