Hermann Hesse

Hier wird über die Beziehung Hesse - Mann geschrieben:

THOMAS MANN UND HERMANN HESSE- ASPEKTE EINER LITERARISCHEN FREUNDSCHAFT

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Hier mit Jakob Wassermann.

Jakob Wassermann: Deutscher Jude Literat


Uta
 
"Piktor's Verwandlungen"




von Hermann Hesse:


Kaum hatte Piktor das Paradies betreten, so stand er vor einem Baume, der war zugleich Mann und Frau. Piktor grüßte den Baum mit Ehrfurcht und fragte : "Bist du der Baum des Lebens?" Als aber statt des Baumes die Schlange ihm Antwort geben wollte, wandte er sich ab und ging weiter. Er war ganz Auge, alles gefiel ihm so sehr. Deutlich spürte er, daß er in der Heimat und am Quell des Lebens sei.

Und wieder sah er einen Baum, der war zugleich Sonne und Mond.

Piktor sprach : "Bist du der Baum des Lebens?"

Die Sonne nickte und lachte, der Mond nickte und lächelte.

Die wunderbarsten Blumen blickten ihn an, mit vielerlei Farben und Lichtern, mit vielerlei Augen und Gesichtern. Einige nickten und lachten, einige nickten und lächelten, andere nickten nicht und lächelten nicht: sie schwiegen trunken, in sich selbst versunken, im eigenen Dufte wie ertrunken. Eine sang das Lila-Lied, eine sang das dunkelblaue Schlummerlied. Eine von den Blumen hatte große blaue Augen, eine andere erinnerte ihn an seine erste Liebe. Eine roch nach dem Garten der Kindheit, wie die Stimme der Mutter klang ihr süßer Duft. Eine andere lachte ihn an und streckte ihm eine gebogene rote Zunge lang entgegen. Er leckte daran, es schmeckte stark und wild, nach Harz und Honig, und auch nach dem Kuß einer Frau.

Zwischen all den Blumen stand Piktor voll Sehnsucht und banger Freude. Sein Herz, als ob es eine Glocke wäre, schlug schwer, schlug laut, schlug sehr; es brannte ins Unbekannte, ins zauberhaft Geahnte sehnlich sein Begehr. Einen Vogel sah Piktor sitzen, sah ihn im Grase sitzen und von Farben blitzen, alle Farben schien der schöne Vogel zu besitzen. Den schönen bunten Vogel fragte er : "O Vogel, wo ist denn das Glück?"

"Das Glück" sprach der schöne Vogel und lachte mit seinem goldenen Schnabel, "das Glück, o Freund ist überall, im Berg und Tal, in Blume und Kristall."

Mit diesen Worten schüttelte der frohe Vogel sein Gefieder, ruckte mit dem Hals, wippte mit dem Schwanz, zwinkerte mit dem Auge, lachte noch einmal, dann blieb er regungslos sitzen, saß still im Gras, und siehe: der Vogel war jetzt zu einer bunten Blume geworden, die Federn Blätter, die Krallen Wurzeln. Im Farbenglanze, mitten im Tanze, ward er zur Pflanze. Verwundert sah es Piktor.

Und gleich darauf bewegte die Vogelblume ihre Blätter und Staubfäden, hatte das Blumentum schon wieder satt, hatte keine Wurzeln mehr, rührte sich leicht, schwebte langsam empor, und war ein glänzender Schmetterling geworden, der wiegte sich schwebend, ohne Gewicht, ohne Licht, ganz leuchtendes Gesicht. Piktor machte große Augen.

Der neue Falter aber, der frohe bunte Vogelblumenschmetterling, das lichte Farbengesicht flog im Kreise um den erstaunten Piktor, glitzerte in der Sonne, ließ sich sanft wie eine Flocke zur Erde nieder, blieb dicht vor Piktors Füßen sitzen, atmete zart, zitterte ein wenig mit den glänzenden Flügel, und war alsbald in einen farbigen Kristall verwandelt, aus dessen Kanten ein rotes Licht strahlte. Wunderbar leuchteten aus dem grünen Gras und Gekräut, hell wie Festgeläut, der rote Edelstein. Aber seine Heimat schien zu rufen; schnell ward er kleiner und drohte zu versinken.

Da griff Piktor, von übermächtigem Verlangen getrieben nach dem schwindenden Steine und nahm ihn an sich. Mit entzücken blickte er in sein magisches Licht, das ihm Ahnung aller Seeligkeit ins Herz zu strahlen schien.

Plötzlich am Ast eines abgestorbenen Baumes ringelte sich die Schlange und zischte ihm ins Ohr: "Der Stein verwandelt dich in was du willst. Schnell sage ihm deinen Wunsch, eh es zu spät ist!"

Piktor erschrak und fürchtete sein Glück zu versäumen. Rasch sagte er das Wort und verwandelte sich in einen Baum. Denn ein Baum zu sein hatte er schon manchmal gewünscht, weil die Bäume ihm so voll Ruhe, Kraft und Würde zu sein schienen. Piktor wurde ein Baum. Er wuchs in die Höhe, Blätter trieben und Zweige aus seine Gliedern. Er war damit sehr zufrieden, Er sog mit durstigen Fasern tief in der kühlen Erde, und wehte mit seinem Blättern hoch im Blauen. Käfer wohnten in seiner Rinde, zu seinen Füßen wohnten Hase und Igel, in seinen Zweigen die Vögel.

Der Baum Piktor war glücklich und zählte die Jahre nicht, welche vergingen. Sehr viele Jahre gingen hin, eh er merkte, daß sein Glück nicht vollkommen sei. Langsam nur lernte er mit den Baum-Augen sehen. Endlich war er sehend, und wurde traurig. Er sah nämlich, daß rings um ihn her im Paradiese die meisten Wesen sich sehr häufig verwandelten, ja daß alles in einem Zauberstrom ewiger Verwandlung floß. Er sah Blumen zu Edelsteinen werden, oder als blitzende Schwirrvögel dahin fliegen. Er sah neben sich manchen Baum plötzlich verschwinden: der eine war zur Quelle zerronnen, der andre zum Krokodil geworden, ein anderer schwamm froh und kühl, voll Lustgefühl, mit munteren Sinnen als Fisch von hinnen, in neuen Formen neue Spiele beginnen. Elefanten tauschten ihr Kleid mit Felsen, Giraffen ihre Gestalt mit Blumen.

Er selbst aber, der Baum Piktor, blieb stets derselbe, er konnte sich nicht mehr verwandeln. Seit er dies erkannt hatte, schwand sein Glück dahin; er fing an zu altern und nahm immer mehr jene müde, ernste und bekümmerte Haltung an, die man bei vielen alten Bäumen beobachten kann. Auch bei Pferden, bei Vögeln, bei Menschen und allen Wesen kann man es ja täglich sehen: Wenn sie nicht die Gabe der Verwandlung besitzen, verfallen sie mit der Zeit in Traurigkeit und Verkümmerung, und ihre Schönheit geht verloren.

Eines Tages nun verlief sich ein junges Mädchen in jene Gegend des Paradieses. Im blonden Haar, im blauen Kleid singend und tanzend lief die Blonde unter den Bäumen hin, und hatte bisher noch nie daran gedacht, sich die Gabe der Verwandlung zu wünschen.

Mancher kluge Affe lächelte ihr hinter her, mancher Strauch streifte sie zärtlich mit einer Ranke, mancher Baum warf ihr eine Blüte, eine Nuß, einen Apfel nach, ohne daß sie darauf achtete.

Als der Baum Piktor das Mädchen erblickte, ergriff ihn eine große Sehnsucht, ein Verlangen nach Glück, wie er es noch nie gefühlt hatte. Und zugleich nahm ein tiefes Nachsinnen ihn gefangen, denn ihm war, als riefe sein eigenes Blut ihm zu: "Besinne dich! Erinnere dich in dieser Stunde deines ganzen Lebens, finde den Sinn, sonst ist es zu spät, und es kann nie mehr ein Glück zu dir kommen." Und er gehorchte. Er entsann sich all seiner Herkunft, seiner Menschenjahre, seines Zuges nach dem Paradiese, und ganz besonders jenes Augenblickes, da er den Zauberstein in Händen gehalten hatte. Damals, da jede Verwandlung ihm offenstand, hatte das Leben in ihm geglüht wie niemals! Er gedachte des Vogels, welcher damals gelacht hatte, und des Baumes mit der Sonne und dem Monde; es ergriff ihn die Ahnung, daß er damals etwas versäumt, etwas vergessen habe, und daß der Rat der Schlange nicht gut gewesen sei.

Das Mädchen hörte in den Blättern des Baumes Piktor ein Rauschen, es blickte zu ihm empor und empfand, mit plötzlichem Weh im Herzen, neue Gedanken, neues Verlangen, neue Träume sich im Inneren regen. Von der unbekannten Kraft gezogen, setzte sie sich unter den Baum. Einsam schien er ihr zu sein, einsam und traurig, und dabei schön, rührend und edel in seiner stummen Traurigkeit; betörend klang ihr das Lied seiner leise rauschenden Krone. Sie lehnte sich an den rauhen Stamm, fühlte den Baum tief erschauern, fühlte denselben Schauer im eigenen Herzen. Seltsam weh tat ihr das Herz, über den Himmel ihrer Seele liefen Wolken hin, langsam sanken aus ihren Augen die schweren Tränen. Was war doch dies? Warum mußte man so leiden? Warum begehrte das Herz die Brust zu sprengen und hinüberzuschmelzen zu ihm, in ihn, den schönen Baum?

Der Baum zitterte leise bis in die Wurzeln, so heftig zog er alle Lebenskraft in sich zusammen, dem Mädchen entgegen, in dem glühenden Wunsch nach Vereinigung. Ach, daß er von der Schlange überlistet, sich für immer allein in einen Baum festgebannt hatte! Oh wie blind, oh wie töricht war er gewesen! Hatte er denn so gar nichts gewußt, war er dem Geheimnis des Lebens so fremd gewesen? Nein, wohl hatte er damals dunkel gefühlt und geahnt - ach, und mit Trauer und tiefem Verstehen dachte er jetzt des Baumes, der aus Mann und Weib bestand!

Ein Vogel kam geflogen, ein Vogel rot und grün, ein Vogel schön und kühn kam geflogen, im Bogen kam er gezogen. Das Mädchen sah ihn fliegen, sah aus seinem Schnabel etwas niederfallen, das leuchtete rot wie Blut, rot wie Glut, es fiel ins grüne Kraut und leuchtete im grünen Kaut so vertraut, sein rotes Leuchten warb so laut, daß das Mädchen sich niederbückte und das Rote aufhob. Da war es ein Kristall, war ein Karfunkelstein, und wo der ist, kann es nicht dunkel sein.

Kaum hielt das Mädchen den Zauberstein in seiner weißen Hand, da ging alsbald der Wunsch in Erfüllung, von dem sein Herz so voll war. Die Schöne wurde entrückt, sie sank dahin und wurde eines mit dem Baume, trieb als starker junger Ast aus seinem Stamm, wuchs rasch zu ihm empor.

Nun war alles gut, die Welt war in Ordnung, nun erst war das Paradies gefunden. Piktor war kein alter bekümmerter Baum mehr, jetzt sang er laut Piktoria, Viktoria.

Er war verwandelt. Und weil er dieses Mal die richtige, die ewige Verwandlung erreicht hatte, weil aus einem Halben ein Ganzes geworden war, konnte er sich von Stund an weiter verwandeln, soviel er wollte. Ständig floß der Zauberstrom des Werdens durch sein Blut, ewig hatte er Teil an der allstündlich erstehenden Schöpfung.

Er wurde Reh, er wurde Fisch, er wurde Mensch und Schlange, Wolke und Vogel. In jeder Gestalt aber war er ganz, war ein Paar, hatte Mond und Sonne, hatte Mann und Weib in sich. Floß als Zwillingsfluß durch die Länder, stand als Doppelstern am Himmel.




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2.4. ZUR MUSIK

(aus einem Brief im Mai 1962, kurz vor Hesses Tod)
In der Karwoche, Du weißt es längst, habe ich beinah in jedem Jahr meines Lebens eines der großen Oratorien gehört, einst in Kirchen oder Konzertsälen, jetzt im Radio oder von Platten. Auch diesmal konnte ich eine Aufführung der Matthäuspassion hören. Es war schön und herzbewegend und bachte wie jedesmal eine Flut von Erinnerungen heran, bis in die Knabenzeit zurück. Stärker und intensiver nachwirkend aber war diesmal ein anderes Werk der alten Kirchenmusik, das ich nie gehört und von dessen Schöpfer ich nichts gewußt hatte. Es heißt "Auferstehungshistorie", ist im Jahr 1621 vom Braunschweiger Kantor Siegfried Otto HARNISCH komponiert und bringt jene so eigen und erregend zwischen Bericht und Fabel schwebende Legende vom leeren Grab Christi und von seinen Erscheinungen vor den Frauen und den Emmaus-Jüngern zur Darstellung. Wie in andern ähnlichen Werken ist die Hauptrolle die des Evangelisten, und sie ist hier streng und sachlich die des Berichters, beinahe völlig frei von Ornament, Koloratur und Lyrik. Kein Orchester, keine Orgel, nicht einmal ein Cembalo. Schöne, kurze Chöre, herrliche zwei- und vierstimmige Arien. Und nun das Unerwartete und im ersten Augenblick Beklemmende, dann wunderbar Beglückende und als richtig Empfundene: alle Worte Christi werden nicht von einem Solisten gesungen, sondern sind zwei- bis vierstimmige Gebilde zartester Lyrik, tönen geisterhaft aus unirdischen Fernen her und beschwören in ihrem Gegensatz zum beinah nüchternen Erzähler die so seltsam und unheimlich widersprüchliche, überwirkliche Stimmung dieser Historie oder Legende mit unwiderstehlicher sanfter Gewalt. Es ist, als habe dieser Kantor, indem er die Jesusworte, statt von einem Jesus, von Frauen- und Jüngerstimmen singen läßt, geradezu der heimlichen Fragwürdigkeit dieser Geschichte zum Ausdruck verholfen, als habe er das Phantom wissentlich als nur in den Seelen der Gläubigen existent darstellen wollen (was ich jedoch nicht behaupten möchte). Der Komponist, Zeitgenosse von SCHÜTZ und der großen Kirchenlieddichter, ist jung gestorben, viel mehr konnte ich mit meinen Hilfsmitteln nicht über ihn in Erfahrung bringen.
Hermann HESSE: Texte (1928-1954; in: Textcorpus W. Näser, SS 2k2)
 
Hi Uta,

ich habe einen Aufsatz über Hermann hesse und die Musik gefunden:
Hermann Hesse war ein Musikliebhaber. Die Musik zieht sich als ein wichtiges Element durch sein gesamtes Werk. Dieser Artikel soll eine Einleitung zu diesem Thema geben.

In diesem Artikel möchte ich dem Hesse-Leser eine kurze Einleitung in die Rolle der Musik in Hesses Schriften geben. Denn Musik hatte eine dauernde Wirkung auf Hesses persönliche und dichterische Entwicklung, und tauchte immer wieder in seinen Romanen, Erzählungen, Gedichten, und Briefen auf. Von seiner wahrscheinlich ersten Begegnung mit Musik in der christlichen-kirchlichen Umgebung seiner Eltern und Grosseltern bis zu seinem letzten Lebensabend bei einer Klaviersonate Mozarts im Radio war Hesse niemals weit von einer Note entfernt.

Der Leser mag der Entwicklung von Hesses Interesse an Musik durch seine Romane folgen. In seinem frühen Peter Camenzind ist zuerst seine junge Faszination an Wagner vorhanden:

„,Es ist Wagner,‘ rief er zurück, ,aus den Meistersingern,‘ und spielte weiter. Es klang leicht und kräftig, sehnsüchtig und heiter, und umfloß mich wie ein laues, erregendes Bad.“
(Peter Camenzind, Kapitel 3)

Später beschäftigt er sich in Gertrud mit dem Opern-Sänger Muoth, und dann in Demian mit der Kraft der kirchlichen Musik, wie der von Buxtehude in dieser Passage:

„Wenn ich bedrückt war, dann bat ich Pistorius, er möge mir die Passacaglia des alten Buxtehude spielen. In der abendlichen, dunklen Kirche saß ich dann verloren an diese seltsame, innige, in sich selbst versenkte, sich selber belauschende Musik, die mir jedesmal wohl tat und mich bereiter machte, den Stimmen der Seele recht zu geben.“
(Demian, Kapitel 6)

MozartIn seinem Roman „Der Steppenwolf“ spielt die Musik eine noch zentralere Rolle, und dieses Buch schließt vielleicht Hesses merkwürdigste Gedanken zu diesem Thema ein. Durch die Figuren von Mozart, Pablo und dem Radio äußert sich Hesse über verschiedene Komponisten und auch über die Beziehung der Musik zu den Massen. Am Ende seiner literarischen Karriere kommt er leise auf das Barock, wie diese Textstelle aus dem Glasperlenspiel beschreibt:

„Er setzte sich und spielte behutsam, ganz leise, einen Satz aus jener Sonate von Purcell, einem Lieblingsstück des Paters Jacobus. Wie Tropfen goldenen Lichts fielen die Töne in die Stille, so leise, daß man dazwischen noch den Gesang des alten laufenden Brunnens im Hofe hören konnte. Sanft und streng, sparsam und süß begegneten und verschränkten sich die Stimmen der holden Musik, tapfer und heiter schritten sie ihren innigen Reigen durch das Nichts der Zeit und Vergänglichkeit, machten den Raum und die Nachtstunde für die kleine Weile ihrer Dauer weit und weltgroß, und als Josef Knecht seinen Gast verabschiedete, hatte dieser ein verändertes und erhelltes Gesicht, und zugleich Tränen in den Augen.“
(Das Glasperlenspiel, „Ein Gespräch“)

Abgesehen von den Romanen findet man Hesses Interesse an Musik in Gedichten („Flötenspiel“, „Chopin“, „Zu einer Toccata von Bach“) sowie in anderen Prosastücken („Alte Musik“, „Flötentraum“).

Eine vollendete Analyse von Hesses Meinung über die Musik wäre unmöglich. Dennoch können wir einen Überblick formulieren, durch eine Untersuchung von der Darstellung der Musik in den verschiedenen Schriften. Der Camenzind spiegelt Hesses junge Faszination an Friedrich Nietzsche und deshalb an Richard Wagner wider. Doch lehnt Camenzind, und Hesse zugleich, Wagners Musik ab. In Gertrud ist die Musik moralisierend: sie lehrt Muoth das Leben zu akzeptieren, trotzt seiner körperlichen Behinderung. In Demian ist die Musik ein kulturelles Erbe, das dem Menschen bei der Selbstentwicklung hilft.

Im Steppenwolf ist Hesses Behandlung der Musik besonders kompliziert. Laut Hesse entspricht die Musik von Beethoven einem größeren kulturellen Niedergang, Jazz sei ein Symbol dieses Niedergangs. Hesse kritisierte die Massen-Effekte und die emotionale Wirkung der üppig harmonisierten Musik von Beethoven, Brahms und Wagner, die das „geistliche“ aus der Musik von Bach und Mozart unterdrücke. Dementsprechend finden wir ähnliche Musik (Purcell) in der geistigen Welt des Glasperlenspiels, von einem Klavier und nicht von einem Radio gespielt.

Themen wie Geist/Seele und Individuum/Gesellschaft sind in Hesses Gesamtwerk vorhanden, und die Musik ist ein wichtiges Element in seiner Behandlung von solchen Themen. Seine Schriften zeigen auch, dass sich keine Kunstform unabhängig bzw. von anderen Formen unbewirkt entfaltet.
Hermann Hesse und die Musik - hhesse.de - Das Hermann Hesse-Portal der Morgenlandfahrer

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Christoph Blumhardt (1842-1919) war der mit Hesses Eltern befreundete Leiter der evangelischen Akademie von Bad Boll. Bei dem Sohn des legendären "Teufelaustreibers" C.J. Blumhardt in Bad Boll erhofften Hesses Eltern Hilfe und das Herausfinden des "eigentlichen Grundes seiner Missbildung", d.h. seines eigensinnigen Verhaltens, das ihn zur Flucht aus dem Seminar Maulbronn bewogen hatte. Doch fand Hesses Aufenthalt bei Blumhardt bereits nach kaum 14 Tagen am 20.6.1892 durch einen missglückten Selbstmordversuch des Vierzehnjährigen ein rasches Ende.
Hermann Hesse: Sein Leben in Bildern und Texten, 1979
"Aktuell: Hermann Hesse", ein deutschsprachiges Internet-Magazin der "Hermann-Hesse-Page" (© HHP) an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, herausgegeben für seine Studenten und Hesse-Leser im allgemeinen von Professor Dr. Günther Gottscha

Vor 150 Jahren kam der württembergische Pfarrer Johann Christoph Blumhardt (1805-1880) nach Bad Boll und übernahm die Leitung des örtlichen Heilbades. Sein Sohn Christoph Blumhardt (1842-1919), gleichfalls Theologe, folgte knapp 20 Jahre später.

Beide waren ihrer Kirche unbequem: Der Vater galt als Wunderheiler, der Sohn schlug sich auf die Seite der Sozialdemokratie und gilt heute vielen als Urvater des christlichen Sozialismus.

Die Evangelische Akademie ist mit der Blumhardt-Geschichte vielfach verbunden: Baugeschichtlich durch die imposante Villa Vopelius, theologiegeschichtlich durch die universale Reich-Gottes-Botschaft mit ihren heilenden Dimensionen und Wirkungen und kulturgeschichtlich durch bedeutende Gestalten, die bis in unsere Zeit hereinragen und in ihren Impulsen lebendig sind. Kein anderer Ort in Württemberg hat die Themen von Heil und Heilung, Kirche und Politik, Mission und Interreligiosität so positiv besetzt wie Bad Boll, damals und heute.

Blumhardts Literatur-Salon
In Ihrer Villa Vopelius hat die Evangeische Akademie Bad Boll in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach eine literarische Gedenkstätte eingerichtet.



Erinnert wird dabei an die literarischen Gäste der Blumhardts:
Eduard Mörike
Ottilie Wildermuth geb. Rooschüz
Ludwig Richter, Maler und Autobiograph
Friedrich Mann (alias Christian Buddenbrook)
Elisabeth v. Ardenne (alias Effi Briest)
Hermann Hesse
Gottfried Benn
Richard Wilhelm, Prof. der Sinologie
Hermann Kutter, theol. Schriftsteller
Karl Barth, Schweizer Theologe

Sie alle standen in Beziehung zu Vater und Sohn Blumhardt, also zu Johann Christoph (16.7.1805-1880) und zu Christoph Blumhardt (1842-1919). Deren Biographien und Vermächtnisse werden als Kontexte dargestellt und anschaulich belegt. .....
www.ev-akademie-boll.de/Blumhardt_online.242.0.html
 
Hi,
Musik war, glaube ich, für H. Hesse eine innere Heimat. Ein Mittel der Versenkung.
Was Hesse von Jazz kannte war ja eher die Tanzmusik. Da darf man sein Urteil nicht zu ernst nehmen.

Bach spielte für ihn eine zentrale Rolle.
Die Matthäus Passion war ihm stehts ein Gottesdienst.

Hesse war ja sowas wie ein Weltflüchtling, welcher einerseits nach innen lebte aber zugleich auch immer wieder die Welt suchte und litt wenn sie nicht so war wie er sie ersehnte oder brauchte.
Im Steppenwolf wird dies sehr deutlich.
Alles was er nicht als authentisch nachvollziehen konnte, war ihm zuwider.
So war ihm, dem oft von Depressionen heimgesuchten, Fröhlichkeit meist etwas, das er als etwas "Verdächtiges" empfand.
Mozart konnte er deshalb akzeptieren weil er ihn als "göttlich heiteres" erlebte. Eben erdenfern.

Soweit mal das Erste was mir einfällt zum Thema.

lieber Gruß
andreas
 
"Sie haben eine Krankheit, die leider Mode ist und der man jeden Tag bei intelligenteren Menschen begegnet. Die Ärzte wissen natürlich nichts davon. Es ist mit moral insanity verwandt und könnte auch Individualismus oder eingebildete Einsamkeit genannt werden. Die modernen Bücher sind voll davon. Es hat sich bei Ihnen die Einbildung eingeschlichen, Sie seien vereinsamt, kein Mensch gehe Sie etwas an und kein Mensch verstehe Sie. Ist es nicht so?"

"Ungefähr, ja", gab ich verwundert zurück.

"Sehen Sie. Für den, der die Krankheit einmal hat, genügen ein paar Enttäuschungen, um ihn glauben zu machen, es gebe zwischen ihm und anderen Menschen überhaupt keine Beziehungen, höchstens Mißverständnisse, und es wandle eigentlich jeder Mensch in absoluter Einsamkeit, könne sich den anderen nie recht verständlich machen und nichts mit ihnen teilen und gemeinsam haben. Es kommt auch vor, daß solche Kranke hochmütig werden und alle anderen Gesunden, die einander noch verstehen und lieben können, für Herdenvieh halten. Wenn diese Krankheit allgemein würde, müßte die Menschheit aussterben. Aber sie ist nur in Mitteleuropa und nur in den höheren Ständen zu treffen. Bei jungen Leuten ist sie heilbar, sie gehört sogar schon zu den unumgänglichen Entwicklungskrankheiten der Jugend. "
- Hermann Hesse, Gertrud
Nebel

Seltsam im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum kennt den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war,
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.
- Hermann Hesse, Eine Fußreise im Herbst
Worte-Projekt: Zitate von Hermann Hesse
 
Hermann Hesse
Die Krisis Jahre 1928-1936

... Die Krisis Gedicht allerdings passen überhaupt nicht in diesen Rahmen, nicht nur das Hermann Hesse in diesen Gedichten seinen bisherigen Sprachgebrauch über Bord wirft, auch die Themen die wir darin finden haben so gar nichts mit dem erhabenen Dichter zu tun. Es tritt ein anderer Hermann Hesse zu Tag, eine zerrissene Persönlichkeit und es fällt uns rasch auf dass wir die zu Anfang erwähnte Ambivalenz nicht nur in der Sichtweise von aussen auf Hermann Hesses Werk finden, sondern ebenso im Blick den Hesses auf sich selber uns sein innerstes wirft. Die Gedichte dieses Zyklus wurden von Hermann Hesse selber als „Knittelverse“ bezeichnet, von einigen Kritikern zerrissen und von vielen Freunden mit Argwohn betrachtet, die Krisis Gedichte aber sind es die den Weg ebenen der ihn zum Steppenwolf führen wird, davon ahnt er aber noch nichts und das Urteil fällt dem entsprechen gering aus...

Die Entstehung der Krisis – Gedichte
Aber wie kommt es zu einer solch tiefen Lebenskrise? 1916 stirbt Hesses Vater. Hiermit nimmt die innere Krise ihren Anfang, mit dem Vater stirbt eine autoritäre Figur, welche die pietistischen Werte in Hesses Leben vertrat. Diese Werte und das geistige Leben werden in Frage gestellt. Ebenfalls 1916 befindet sich Hermann Hesse auf Kur in der Klinik Sonnmatt, dort trifft er auf Josef Bernard Lang, einen Schüler von Carl Gustav Jung. Er beginnt mit psychoanalytischen Sitzungen. Die Sitzungen werden auch 1917 weiter geführt, im September desselben Jahres trifft er Carl Gustav Jung. Auf Anraten von Lang verfasst Hesse ein Traumtagebuch. Überhaupt spielt die Psychoanalyse in den folgenden Jahren eine wichtige Rolle in seinem Leben. Bereits beim Demian, den Hesse kurz nach dem Treffen mit Jung niederzuschreiben beginnt, finden wir Anspielungen auf psychoanalytische Theorien Jungs. Das Leiden unter der Spaltung seines Weltbildes in eine Welt, die er als hell, sauber, moralisch integer empfindet - repräsentiert von seinen Eltern - und die andere Welt, die dämonische, triebhafte, ethisch fragwürdige, verkörpert durch Verbrecher und Dienstmägde. Daher und auch auf Grund der wenigen Aufzeichnungen, die direkten Bezug auf die Psychoanalyse nehmen, im Besonderen natürlich aus den Traumtagebüchern, können wir sehr rasch zum entscheidenden Punkt, welcher Hesse zu der Zeit und auch die nächsten Jahre beschäftigte und noch beschäftigen wird, vordringen: Die Abrechnung mit dem Vater, dem Repräsentanten der moralischen Werte und vergeistigten Welt. Aber es kommt noch mehr.
Im Oktober 1918 erkrankt Hesses Frau Maria in Locarno an einer Psychose. Maria bleibt ein halbes Jahr in der Klinik, Hesse gibt seine Söhne ausser Haus. Er sieht sich nicht in der Lage, für ihr Wohl zu sorgen. 1919 entscheiden sich die Eheleute für die Trennung. Kurz darauf erleidet Maria, nach kurzer Besserung, einen Rückfall. Die Trennung von seiner Familie bezeichnet einen weiteren Wendepunkt in Hesses Leben, er entscheidet sich für die Selbstverwirklichung als Dichter.
Er richtet sich sein Leben in Montagnola ein, im Winter beginnt er mit dem Siddharta. Im Sommer 1920 plagt ihn eine Schreibkrise, erst 1922 wird er mit dem Siddharta weiterfahren und in innerhalb weniger Wochen beenden....

Aus einem Brief an Ninon Mai/Juni 1931
«Ich brauche da in mir innen einen Raum, wo ich völlig allein bin, wo niemand und nichts hineindarf. Deine Fragen bedrohen diesen Raum. Du bist rascher und klüger als ich im Fragen, im Aussagen, im intellektuellen Klarstellen von Seelischem. Ich bin darin langsamer und schwerer, ich muss ausser meinem Leben auch meine Dichtung mit hindurch retten durch das Chaos.»

Wer die Krisis Gedichte nur gerade als Vorarbeit zum Steppenwolf betrachtet, wird ihnen nicht gerecht. Vielmehr ist dieses autobiographische Tagebuch in Gedichtform etwas vom ehrlichsten und selbstkritischsten, das es in der Literatur dieser Zeit gibt. Es legt das Innerste eines Dichters frei und benutzt dazu Worte, die wir in dieser Art von Hermann Hesse nicht gewohnt sind.
Für Hermann Hesse war die Niederschrift dieses Zyklus sicherlich kein leichtes unterfangen, zugleich kann man es aber doch auch als Befreiungsschlag bezeichnen.
Besprechung des Buches "Die Krisis Jahre 1928-1936" von Hermann Hesse; by Patrick Blaser, schrillerille.ch
 
ZIMMERMANN, Eva (2003): "Die bleibenden, zeitlosen Ereignisse im Leben".
Peter Weiss und Hermann Hesse - der Schüler und sein Meister,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 26.04.
Inhalt:
Eva ZIMMERMANN über Spuren von Hermann HESSEs Werk bei Peter WEISS:
"In dem Roman «Die Situation», 1956 verfasst, doch erst im Jahr 2000 veröffentlicht, lässt Peter Weiss einen gewissen Emil Sinclair als Freund des Protagonisten Viktor auftreten. Nicht nur der Name, den Hermann Hesse sich als Pseudonym für seinen «Demian» wählte, weist auf das Vorbild. Dieser Emil Sinclair lebt nach dem Ersten Weltkrieg im Tessin in der erkennbar beschriebenen Casa Camuzzi in einer Weise, die deutlich Anklänge an «Klingsor» erkennen lässt. - Viktor erinnert sich an seine Besuche dort, an gemeinsame nächtliche Gespräche über die Zeitläufte, über die Zukunft des Menschen, über die Aussenseiter der Gesellschaft, die Emil Sinclair «Steppenwölfe» nannte".
Hermann Hesse - Das Single-Dasein als abweichende Lebensform
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Der Schriftsteller, Maler und Filmemacher Peter Weiss wird am 8. November 1916 in Nowawes bei Berlin geboren. Wegen seiner jüdischen Abstammung muss er 1934 Deutschland verlassen. Vor der Auswanderung stirbt seine Schwester Margit nach einem Verkehrsunfall. Weiss geht zunächst mit seinen Eltern und Geschwistern nach England, dann in die Tschechoslowakei, nach Warnsdorf. Er schreibt, malt, Hesse wird für ihn wichtig, nach einem Besuch bei diesem in Montagnola geht er nach Prag auf die Kunstakademie. 1939 folgt er den Eltern, die nach der Besetzung des Sudetenlandes nach Schweden emigriert sind. Nun "ganz ins Exil" verschlagen, beginnt der schwierige Prozess der Ablösung von den Eltern, der Versuch, sich als Maler zu behaupten, die Notwendigkeit, sich mit Brotarbeit durchzuschlagen.....
Internationale Peter Weiss Gesellschaft - Kurzvorstellung der IPWG
 
Hallo,

noch ein paar Gedanken von mir zum "Glasperlenspiel".
Ich bin jetzt so ca. bei Seite 400. Knecht wird jetzt wohl bald Kastalien verlassen.

Augenblicklich habe ich so den Eindrucik, als ginge es im das Verhältnis "Mensch und Moloch" :D , Individuum und Apparat. Und das Individuum Inecht scheint sich gerade gegen den "Apparat" zu entscheiden.

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Ein paar weitere Gedanken zu meiner Lektüre des Glasperlenspiels:

Knecht verabschiedet sich gerade von seinem Amt und der kastalischen Gesellschaft.
Zum Einen scheint mit dies ein Votum für den individuellen Aufbruch des Einzelnen und für dessen Weg, heraus aus (festefahrenen) Systemen zu sein. Zum Zweiten ein Sinnbild dafür, dass der Mensch nach "Ganzheit" strebt. Knecht verlässt ja das "geistig" dominierte Kastalien, um in der "Außenwelt" andere - eben "weltliche" Erfahrungen zu machen. Zum Dritten scheint mir dies ein Appell an die Wandlungsfähigkeit, von Individuen zu sein. Außerdem scheint er den "Systemen" raten zu wollen, sich nicht zu sehr einzufahren - und lebendig zu bleiben.

Mal sehen, wie es weiter geht!



Herzliche Grüße von

Leòn
 
So, wieder ein paar neue Gedanken von mir, zum Glasperlenspiel.
Bei der weiteren Lektüre von Knechts "Abschiedsbrief" an die Behörde, erscheint es mir, als fordere er die Unabhängigkeit der "Geistigen" (der Literatur, der Musik, bildende Kunst und der Wissenschaften, einschließlich der Naturwissenschaften), von Verwaltung, Wirtschaft und Politik.



Im Notfall sollten die Intellektuellen (meine Wortwahl) zwar dem "Vaterland" zur Seite stehen, nicht aber strukturell. Hesse, bzw. Joseph Knecht, bezeichnet "Geistige", die sich von der Politik "einspannen" lassen als Verräter. So betrachtet, sehe ich das Glasperlenspiel inzwischen als sozialpolitisches Gleichnis. Kastalien ist die Welt des Geistes, der Wissenschaften, der Kunst usw. und die "Außenwelt" ist die der Politik, der Parteien, der Wirtschaft und so weiter.



Wenn Knecht "drohenden Zerfall" der kastalischen Gesellschaft und des herrschenden dualistischen Systemes befürchtet, sehe ich dies als eine Analogie zur späten Weimarer Republik und der beginnenden NS - Herrschaft.
An einer Stelle schreibt Knecht, dass Politiker/ Herrscher "nicht notwendigerweise brutale und gewissenlose Räuber" sein müssten, dass dies aber oft genug vorkäme. Damit hat er meines erachtens dierekt die NS - Herrschaft angesprochen, aber ebenso den Stalinismus und letztenendes alle diktatorischen Systeme.


Herzliche Grüße von
Leòn
 
Murmeln wie kostbare Perlen .....
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Absage
Als Antwort auf einige Anfragen, warum ich mich
nicht auf die Seite der Kommunisten stelle

Lieber von einem Faschisten erschlagen werden
Als selber Faschist sein!
Lieber von einem Kommunisten erschlagen werden
Als selber Kommunist sein!

Wir haben den Krieg nicht vergessen. Wir wissen,
Wie das berauscht, wenn man Trommel und Pauke rührt.
Wir sind taub, wir werden nicht mitgerissen,
Wenn ihr das Volk mit dem alten Rauschgift verführt.
Wir sind weder Soldaten noch Weltverbesserer mehr,
Wir glauben nicht, dass "an unserem Wesen
Die Welt müsse genesen".
Wir sind arm, wir haben Schiffbruch gelitten,
Wir glauben alle an die hübschen Phrasen nicht mehr,
Mit denen man uns in den Krieg gepeitscht und geritten -
Auch die Euren, rote Brüder, sind Zauber und führen zu Krieg und Gas!

Auch Eure Führer sind Generäle,
Kommandieren, schreien und organisieren,
Wir aber, wir hassen das,
Wir trinken den Fusel nicht mehr,
Wir wollen Herz und Vernunft nicht verlieren,
Nicht unter roten noch weissen Fahnen marschieren.
Lieber wollen wir einsam als "Träumer" verderben
Oder unter Euren blutigen Brüderhänden sterben,
Als irgend ein Partei- und Machtglück geniessen
Und im Namen der Menschheit auf unsere Brüder schiessen!

www.bibliomaniac.de/fab/hesse/poem1.htm
 
Hallo Uta,:)

toll dass Du das Gedicht beigesteuert hast. Das ist ja sozusagen ein "Beleg";) !

Diese Zitate sind älter:
Der Überdruss an Politik nimmt zu, äussere und innere Welt streben immer mehr auseinander. «Ich habe keine andre Sehnsucht, als von diesen endlosen Scheusslichkeiten, die auf allen Seiten gleich sind, weg zu mir selber und zu rein geistigem Tun zu kommen.» «Inzwischen hat mich der Krieg in eine Lage und innere Umwälzung gebracht, die ich weder mitteilen noch gar in Literatur verwandeln kann...» In dieser Lage findet er erstmals als tröstlichen Ausweg das Zeichnen und Malen.

An einem Herbstabend 1918 dichtet Hesse: «Ach was sollen wir Träumer auf Erden? / Dichter und Denker sind fremd in der Welt - / Lasst uns Flieger und Generale werden, / Oder verrückt, oder feldgraue Tiere im Feld!»
Hermann Hesse

Herzliche Grüße von
Leòn
 
hallo,
habe zu eigtl. keiner euerer äußerungen einen widerspruch vorzubringen.
nur als ergänzung:
ich habe die faszination und leztliche ablehnung von kastilien durch knecht/hesse u.a. auch als spiegel seiner haltung zur damals stark zulauferhaltenen anthroposophischen gesellschaft gesehen.

im grunde, wenn man so will, aber auch als absage ans elfenbeinerne sektierertum insgesamt. zur erinnerung, auch hesse verliess ja mit beendigung des buches den elfenbeinturm der schriftstellerei.
anders gesagt könnte es auch eine absage an jedwede dualistische haltung verstanden werden.
als taoismus reinsten wassers, dem ja das einfache und profane von gleicher heiligkeit ist wie das künstlerisch, geistig ganz verfeinerte.

lieber gruß
andreas

ps: was in einem guten buch doch alles für facetten stecken :)
pps: wie wäre es sich auch mal den "siddharta" vorzunehmen?
 
laut dem Ausstellungskatalog "Hermann Hesse 1877-1977 Stationen seines Lebens, des Werkes und seiner Wirkung" (S. 90) besuchte Hesse im Februar 1919 einen Vortrag von Rudolf Steiner. In dem Nachlaß-Werk "Kleine Freuden" findet sich ein Aufsatz "Moderne Versuche zu neuen Sinngebungen" darin wird auch die Anthrosophie benannt. In einem Brief an Stefanie Teufel von 1950 schreibt Hesse unter anderem: "Ich... habe nichts gegen Steiner und seine Wirkungen..." (GB4, S.56).
Außerdem hatte Hesse auch freundschaftlichen Kontakt zu Emil Molt (Gründer und Inhabert der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria, dieser baute 1919 unter Steiners Leitung die erste Waldorfschule).
Es wäre schon erstaunlich, hätte Hesse zu dieser Strömung überhaupt keinen Kontakt gehabt, doch wie mit allen ideologischen Erklärungsmustern hatte Hesse wohl zu Recht auch mit der Anthrosophie seine Schwierigkeiten.

Auch wenn es Äußerungen Hesses geben mag, in denen Steiner nicht direkt kritisiert wird: Hesse mochte ihn nicht,

„für mich hat dieser krampfhafte Magier und überanstrengte Willensmensch nie einen Moment etwas vom Begnadeten gehabt, im Gegenteil.“

Und dass Steiner und Hesse die gleiche Grundidee haben sollen, bestreite ich ganz entschieden. Schon ein Buch wie der „Steppenwolf“ straft diese Aussage Lügen. Möglicherweise kann man zwischen Kastalien und dem Goethenaeum eine Parallele sehen, aber man darf nicht vergessen, dass Hesses Hauptfigur aus Kastalien flieht, weil es ihm zu erstarrt ist.
Das wars erst einmal.
.....

hesse war hellsichtig genug zu erkennen, woher steiner einen wichtigen teil seiner auffassungen bezog:
selbstredend hätte steiner "das Beste seiner Lehren aus Indien geholt" (brief an hans reinhart vom 27. januar 1922)

zunächst hatte sich hesse den vertretern der anthroposophischen bewegung gegenüber durchaus wohlwollend verhalten, pflegte freundschaftliche kontakte u.a. zu den schriftstellern alexander von bernus, albert steffen und wilhelm kunze. letzterem gegenüber aber machte hesse sehr deutlich, dass er es gar nicht gerne sähe, wie sich kunze mit dem anthroposophischen gedankengut identifiziere (vgl. hierzu meinen artikel auf der hhesse-startseite über den briefwechsel hesse-kunze)

die freundschaft (ab 1915) hesses zu seinem ehemaligen calwer klassenkameraden emil molt (mitbegründer der waldorfschulen) bekam einen knacks durch molts engagement für steiners lehre. erst 1923 nahm hesse wieder brieflichen kontakt mit molt auf.

den bauleiter des ersten goetheanums, joseph englert, hat hesse verewigt als "jup der magier" in "klingsosr letzter sommer".

am 5. februar 1919 während der sogenannten dreigliederungszeit lernte hesse steiner persönlich in zurich kennen und unterzeichnete dessen kulturpolitischen aufruf "an das deutsche volk und die deutsche kulturwelt". daraus aber nun schließen zu können, hesse habe sich in die nähe der anthroposophie begeben, ist mehr als äußerst gewagt.
hesse beschuldigte emil molt und albert steffen brieflich, sie würden eine "von steiner ausgegebene parole gegen die gedankenwelt des alten asien mitmachen" (brief an hans reinhart, siehe oben)

hesses urteil über die anthroposophie ist mehr als eindeutig. er bezeichnete sie u.a. als eine "art von religionsersatz", nannte steiner "genialer streber" und "krampfhafter magier", und meinte "fast alle anhänger [steiners] sind ihm blind ergeben (hessebrief an otto hartmann vom 22. februar 1935.
hesse störte die "unduldsamkeit gegen andere lehren". diese "unduldsamkeit sei "nicht das ernste suchen und das ringen um vollendung - [dafür] kenne ich, in allen formen, nur ehrfurcht" (hesse an hans reinhart, 1922. siehe auch: hesse, gesammelte briefe, band 2)

wenn es je eines beweises bedurft hätte, dass hesse nun wirklich keine anthroposophienähe pflegte, dann ist es dieser passus aus einem brief hesses von 1944 an einen unbekannten empfänger:
"...zur anthroposophie gar kein verhältnis. ich habe dr. steiner nur flüchtig gekannt und mehrmals vergeblich versucht, einzelne bücher zu lesen. sie sind mir vollkommen ungeniessbar geblieben, schon ihrer schrecklich blutlosen sprache wegen." (zitiert in: ralf lienhard, >>"die ersehnte geheimlehre vom neuen menschentum". hermann hesse und die anthroposophische bewegung<< in zeitschrift info 3, juli/august 2002

die redaktion der zeitschrift "invidualität" (siehe meinen thread) sah sich bemüßigt, hesse zu beruhigen, von dem sie sich eine mitarbeit erbeten hatte (brief vom 3.mai 1926 an hesse): "die "individualität" ist keine sogenannte anthroposophische zeitschrift, wie man vermuten könnte, obwohl ihre gründer dieser bewegung angehören, es soll damit auch nicht irgendwie versteckte propaganda getrieben oder ein kompromiss mit der aussenwelt geschlossen werden."

der hochgebildete und äußerst (auch in philosophie) belesene dichter hatte sehr rasch erkannt, aus welch unterschiedlichen bereichen sich steiner seine ideologie mit weihegeschmack zusammengebastelt hatte. wie schnell sich vor allem mystifizierende lehren verbreiten und eine gläubige anhängerschar gewinnen können, wusste hesse genau. denn er kannte ein sehr prominentes beispiel aus calw:
dort amtierte 19 jahre lang während des 30-jährigen krieges der universalgelehrte johann valentin andreae als superintendent .....
hhesse.de - Das Hermann Hesse-Portal der Morgenlandfahrer
 
Jetzt müssten wir noch einen Thread über "Anthroposophie" aufmachen :) .
Oder lassen wir den hier, wo er aber eigentlich nicht wirklich hinpasst?

Grüsse,
Uta
 
Hallo Uta und Holon,

ja, wie von Holon weiter oben schon gesagt, lässt das "glasperlenspiel" eine Vielzahl an Deutungen, Interpretationen und Analogien zu.

Beim Lesen heute Morgen sind mir noch ein paar Gedanken gekommen, die ich gerne eben loswerden möchte. Der "Kastalier", also der "Geistige" (Literat, Künstler, Wissenschaftler) soll nicht zum Politiker werden und sich nicht instrumentalisieren lassen. Er soll sich aber einmischen, den "kastalischen Geist" in die Welt tragen und sie damit beeinflussen.

[Ich musste auch an Berthold Brecht denken, der nach seiner Rückkunft nach Deutschland, also in die damalige DDR, etwas gesagt hat wie "Nicht der Herr Ulbricht hat mir beizubringen, wie und was ich dichten soll, sondern die Dichter sind es, von denen die Politiker zu lernen haben!"]

Josef Knecht nun hat ja die Absicht, in die Welt zurückzukehren um so Lehrer an einer einfachen Schule zu werden, wo er den Jüngsten bereits den kastalischen Geist nahebringen will. Dies wird von der "oberen Behörde" abgelehnt. Hier ist die Angst vor Verflachung zu groß, aber auch vor den Konsequenzen, die das Eingeständnis einer Verantwortung für die gesamte Welt, haben würde.
Denn wer "sich einmischt" übernimmt Verantwortung.

Herzliche Grüße von
Leòn
 
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