Mein Freund!

Themenstarter
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18.12.06
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1.248
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Ich habe heute einen Freund getroffen.
Einen wunderbaren Freund.

Wir begegnen uns nur selten. Ich weiß nicht ob ich diesen Umstand
bedaure. Auch kann ich nicht sagen ob er mich, oder ob ich Ihn besuche.

Jedenfalls sind unsere Zusammenkünfte immer sehr spontan,
ungeplant und ausschließlich rein zufälliger Natur.
Aber immer wenn sich unsere Wege kreuzen, schwingt von Anbeginn ein
Gefühl mit. Ein Gefühl als gäbe es einen bestimmten, tieferen Grund, das wir uns gerade jetzt über den Weg laufen.


Ich ertappe mich jedesmal dabei, dass ich sehr verwundert bin, Ihm ausgerechnet an diesem oder jenem Ort wieder zu begegnen.

Plötzlich steht er da. Unerwartet, die Szenerie erscheint fast geisterhaft.

Nicht dass es unheimlich wäre, dennoch ist es im ersten Moment ein kurzes Stutzen, begleitet von einem Anflug aus ganz leichtem Erschauern.

Ich versuche, in mich hineinzuhören. Freue ich mich über diese Begegnung?
Ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Doch im Innersten weiß ich ohnedies, dass sich diese Fragen gar nicht stellen.

Natürlich freue ich mich. Es konnte gar nichts Besseres passieren.

Endlich wieder jemand wo nichts, aber auch gar nichts gekünstelt wirkt.
Unverfälscht, tief gewachsen, klar und gradlinig.
Ja, so ist unser Verhältnis.


Ich schätze das sehr. Obwohl ich zugeben muß, dass diese Offenheit
mich doch auch immer ein wenig überfordert.

Wir schlendern ein wenig umher. Vermeintlich Ziellos. Und doch verspüre ich, Er ist es, welcher die Richtung vorgibt.
Unvermittelt befinden wir uns plötzlich vor einer langen, finsteren Strasse.

Ich denke er macht dies mit Absicht.
Nicht um mich zu erschrecken. Vielmehr um einen klar definierten Ausgangspunkt festzulegen.
Um mir zu illustrieren, wo sich mein wirklicher Standort befindet.


Schlagartig überkommt mich große Beklommenheit. Er will ein Freund sein?
Mein Freund?

Ich sehe Ihn lange an. Bin vollkommen fasziniert von dieser inneren Verbundenheit und jener äußerlichen, fast brüderhaft wirkenden Ähnlichkeit.

Nein, ich will nicht wirklich auf dieser langen, finsteren Strasse entlang gehen.
Doch ein fast unmerklicher, sanfter, aber dennoch bestimmender Druck von Ihm lässt mir gar keine Wahl.

Wir reden nicht. Niemals.

Es ist eine selbstverständliche Kommunikation mittels Empfindungen.
Eigentlich, so wird mir jetzt bewußt, ist es immer nur auf diesem langen Weg, wo wir uns gegenseitig verständigen.
Ich fühle mich sehr unbehaglich. Nicht die Dunkelheit, sondern die Aussicht auf diesen mühsamen Gang lassen mich so empfinden.
Und von Ihm habe ich keine Unterstützung zu erwarten.
Ist es doch Er, der mir auf subtile aber gleichsam unmißverständliche Weise zu verstehen gibt, warum ich wieder einmal mit Ihm diesen Pfad beschreiten muß.

Es ist ja unstrittig, es muß ja wieder einmal sein. Aber ausgerechnet jetzt?
Doch wie nahe Er mir auch stehen mag, in diesem Punkt ist Er unerbittlich, ja geradezu gnadenlos.


Zu meiner großen Überraschung aber, muß ich keinen einzigen Vorwurf vernehmen.
Keine Anklage, keine Zurechtweisung, keinerlei Anschuldigungen.

Es offenbart sich mir einzig der Unterschied zwischen Ihm und mir. Und dies ist für mich sehr verwirrend. Wir sind doch so eng verbunden. Dem Einvernehmen nach ja sogar eins.

Wieso dann doch manchmal eine so gravierenden Diskrepanz?

Er spürt meine Fragen, und schon hege ich Hoffnung, nun endlich eine Antwort
auf diese für mich doch wichtigste Frage zu erhalten.

Doch zu meiner Bestürzung muß ich erkennen, wir haben das Ende des Weges erreicht.

Zutiefst enttäuscht wird mir klar, das ich nun keinerlei Antworten mehr erwarten kann.


Gemeinsam gehen wir noch ein Stückweit in der mittlerweile hell erleuchtetenden Umgebung weiter, in vertrauter Eintracht.

Doch ich spüre Er hat mich schon längst losgelassen.


Es bedarf auch keines Abschiedes, denn wir trennen uns ja nie wirklich.

Nur glaube ich, Er geht immer voraus. Oft nehmen wir den selben Weg.
Manchmal aber passiert es mir, dass ich mich in der Richtung irre oder einfach
nur einen Umweg mache.

Aber ich weiß. Er wartet immer irgendwo auf mich, um mich wieder einmal völlig überraschend zu treffen.




Darum bin ich in jedem Traum irgendwie immer bereit, meinen Freund zu treffen.

Würde ich mein Unterbewußtsein wirklich verstehen können, dann bin ich mir
sicher, auch ich dürfte mich dann als seinen Freund bezeichnen.


So wünsche ich mir von ganzen Herzen, Ihm noch sehr oft zu begegnen, um Ihn eines Tages vielleicht wirklich zu verstehen.





Richter
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo RR,

ich schätze diese Betrachtung und finde die Beschreibung Deines immer wieder gemeinsamen Wegs mit Dir innen drin sehr schön.
Sie erinnert mich irgendwie an das "Glasperlenspiel" von Hermann Hesse.

Grüsse,
Uta
 
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