Die Perspektive des andern einnehmen

Wenn jemand zum Beispiel versucht, meine Grenzen zu überschreiten, werde ich die Absicht akzeptieren (Versuch macht kluch), es aber auf keinen Fall tolerieren.
Ich denke das ist das A und O des Miteinanderauskommen: sich um den anderen bemühen, sich kümmern, versuchen ihn zu verstehen aber dabei nicht die Grenzen des anderen überschreiten.

Ich denke das ist sehr schwer und es gibt viele Menschen die so ICH-bezogen sind dass sie sich nicht mal die Mühe machen es zu versuchen.
 
Hallo zusammen,

ich bin heute erst auf dieses Forum gestoßen und fasziniert von den tollen Themen, die hier diskutiert werden, und auch von der respektvollen Art, in der dies geschieht. Das nur nebenbei.

Die Sache mit dem Blickwinkel des anderen hab ich auch schon seit Jahren am Wickel. Ich glaube mittlerweile, dass man zunächst schauen muss, an welchem Punkt man selber steht.

Bin ich ein Mensch, der dazu neigt, sich selbst im Mittelpunkt zu sehen und daher auf andere rasch ungeduldig, verständnislos oder gereizt zu reagieren? Dann ist der Spruch mit den Mokkassins meine Hausaufgabe, um zu lernen, dass ich nur der Mittelpunkt meiner kleinen Welt bin und jeder andere der Mittelpunkt seiner eigenen. Dann kann ich ihn und die Wechselwirkungen zwischen uns verstehen und die Reibungsflächen reduzieren.

Bin ich dagegen ein Mensch, der sein Licht ohnehin immer unter den Scheffel stellt und darauf geeicht ist, Rücksicht auf alle anderen zu nehmen, Verständnis für alles und jeden zu haben und viel zu spät zu schauen, wo ich selber bleibe, muss ich diese Aufgabe für mich umkehren und im Gegenteil sagen: nun steig mal in deine eigenen Latschen und schau dir an, wie es bei dir selber aussieht! So schön es ist, wenn ich meine Umwelt verstehen und akzeptieren kann: das funktioniert nur, wenn der Kanal zu mir selber genau so offen ist und ich umgekehrt auch in der Lage bin, mir und meiner Umwelt sehr genau mitzuteilen, wie es bei mir aussieht.

Das ist in meinen Augen überhaupt kein Widerspruch, sondern eine nötige Standortbestimmung. Verstehen und akzeptieren ist auch nicht gleichbedeutend mit hinnehmen. Es ermöglicht mir aber, mein Verhalten und meine Argumente so anzupassen, dass mein Gegenüber etwas damit anfangen kann, bzw. für mich selber wichtige Konsequenzen zu ziehen, weil ich z.B. in schwierigen Situationen weder mir noch dem anderen länger etwas vormache, sondern Realitäten klarer erkennen kann.

Viele Grüße
Dagmar
 
Hallo Mezzadiva! Ich bin auch neu hier, jedenfalls im Vergleich zu den Alten Hasen. Darum steht es mir auch nicht zu, Dich herzlich willkommen zu heißen - aber ich tue es trotzdem: Herzlich Willkommen!

Deine Ansichten kann ich teilen. Im letzten Absatz schreibst Du sehr richtig von "Realitäten klarer erkennen". Meiner Meinung nach sollte man sich erst mal darüber im klaren sein, welche Rolle man zu seinem Gegenüber

1. derzeit einnimmt - dazu gehört, wie Du auch beschreibst, eine Typenbestimmung: Wer bin ich und wer ist der Andere? Welches sind realistische Möglichkeiten für künftige Gewinne?

2. gerne einnehmen möchte. Das ist eine Frage seines Naturells: will man helfen, heilen, will man sich reflektieren lassen, will man versorgt sein, nur ein bißchen Nähe?

3. sinnvoll spielen kann. Wenn der Andere z.B. selber stark hilfsbedürftig ist, muß man auch ein guter Therapeut mit einer starken Persönlichkeit sein, um helfen zu können.

Die ideale Beziehung ist für mich symbiotischer Natur, wo beide Partner sich klar darüber bewußt sind, daß sie beide zu lernen haben, sich entwickeln müssen, auch um die Beziehung wertvoll zu machen und vor allen Dingen eine Stabilität zu erreichen. Um das leisten zu können, muß man den Anderen und sich selber verstehen wollen. Ich meine wirklich! wollen. Gegenseitiges Reflektieren ist ein harter Weg, weil vieles, was in einem selber im Unterbewußtsein und Unbewußtsein verborgen war, plötzlich ans Tageslicht, ins Bewußtsein kommt in Form von teils sehr heftigen Emotionen. Gemeinsam kann man das schaffen, wenn man sich ein Wort gab, den Klärungsprozeß durchzustehen und diesem Wort treu bleibt, sodaß das Vertrauen erhalten bleibt. In bin sogar der Meinung, nur in einem solchen symbiotischen Prozeß kann etwas entstehen, was ich mal "echte Liebe" nennen möchte. Dafür lohnt es sich, in Krisen die Zähne zusammen zu beißen. Verstehen nur so vornean, darauf kann man als ernsthafter Mensch wohl wirklich verzichten.

Es grüßt Dich

Wolfgang
 
Die Perspektive des Anderen einnehmen, das geht nicht immer mal eben so. Ich habe gar nicht die Zeit, mich mit allen Menschen intensiver zu beschäftigen. Im Rahmen meiner Möglichkeiten tue es natürlich. Einfühlungsvermögen, das ist mein persönlicher Gewinn, kann jemand, der ein guter Analytiker werden möchte, dabei trainieren.

Für das "Tagesgeschäft" halte ich für wichtig, einen Menschen schnell einschätzen zu können: was will er wirklich von mir? Lügt er? Will er mich provozieren? Mich betrügen? Mich verarschen oder verspotten?

Die grundsätzliche Frage, die ich mir stelle, lautet: ist mein Gegenüber authentisch - oder spielt er eine Rolle? Was mir eine Antwort abfordert auf die Frage: muß ich den Anderen wirklich ernst nehmen? Wenn das der Fall ist, und das ist manchmal der Fall, muß ich seine Perspektive einnehmen können, besonders dann, wenn eine Situation bedrohlich ist oder werden kann.

Mit diesem Beitrag möchte ich mich vom Thema verabschieden

Alles Gute wünscht Allen

Wolfgang
 
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