Berliner-Dekadenz

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19.03.06
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Den Zustand einer Gesellschaft erkennt man an ihren Berlinern.

Nein, ich meine nicht die BewohnerInnen der Hauptstadt dieses unseres Landes. Dann schon eher die Politik, die in derselben gemacht wird, aber das ist ein anderes Thema.

Ich meine das gleichnamige Jahres-Übergangsgebäck, das auch Berliner Ballen, Berliner Pfannkuchen, Kreppelchen, Krapfen und weiß der Kuckuck wie noch, genannt wird.

Der traditionelle, gute, richtige und bis ins Frucht-Mark deutsche Berliner, ist der mit ... na? Pflaumenmusfüllung. Andersgläubige meinen, es müsse Erdbeermarmelade sein, aber das sind konfessionelle Details, mit denen sich der echte Kenner nicht aufhalten muss. Da hat halt jeder seine Überzeugung.
Ählich verhält es sich mit dem Drumherum. Die Einen halten nur den mit Kristallzucker bestreuten Berliner für den echten, die Anderen schwören auf Zuckerguss.
Da sehen sich die Fraktionen zwar kritisch an, diese Abweichung lässt man aber den jeweils anderen noch durchgehen.

Mit tiefer Besorgnis, Argwohn und Entrüstung aber wird - und das zu Recht - der kulinarische Wildwuchs, die barbarisch Ausufernde Kreativität, ja die nahezu anarchisch anmutende Respektlosigkeit, mit der sich das moderne Bäckertum an diesem alten Kultgebäck vergreift, betrachtet.

Champagner-Ballen, Schoko-Berliner, Eierlikör-Pfannkuchen, Nugat-Berliner und so weiter und so fort, sprießen mit bunten Streuseln und Glasuren in den silvesterlich ausgerüsteten Backregalen, wie die Früchtevielfalt auf einer Streuobstwiese.

Gibt es ein dringlicheres Alarmzeichen für die Dekadenz einer Gesellschaft, als ihr Umgang mit alterwürdigem Traditionsgebäck?

Mit großer Sorge um das kulturelle Erbe des Abendlandes, begibt sich der Unterzeichnende nun zum Einkauf in die letzte, im Ort verbliebene Bäckerei, in der der Berliner noch Berliner sein darf: innen Obstpürree, außen Zucker!

Herzliche Grüße von
Leòn:D
 
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Meine Grossmutter hat "Kreppel" zur Fastnacht gebacken. Sie sahen komplett anders aus als die, die man heutzutage kennt.

Sie waren rechteckig, ungefüllt, hatten in der Mitte einen Schlitz und wurden in ganz normalem Zucker gewälzt. Ihre Konsistenz war auch viel fester als die der heutigen "Berliner"/"Kreppel".

Liebe Grüsse,
uma
 
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