Bei Verfassungsänderungen, also Vertragsänderungen, ist das Europäische Parlament auch schon im sogenannten "ordentlichen Verfahren" außen vor. Der sogenannte "Konvent" wird nicht etwa demokratisch gewählt, sondern seine Mitglieder werden autoritär vom Ratspräsident berufen!
Artikel 48 [Vertrag Europäische Union]
(ex-Artikel 48 EUV)
(1) Die Verträge können gemäß dem ordentlichen Änderungsverfahren geändert werden. Sie
können ebenfalls nach vereinfachten Änderungsverfahren geändert werden.
Ordentliches Änderungsverfahren
(2) Die Regierung jedes Mitgliedstaats, das Europäische Parlament oder die Kommission kann
dem Rat Entwürfe zur Änderung der Verträge vorlegen. Diese Entwürfe können unter anderem eine
Ausdehnung oder Verringerung der der Union in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten zum
Ziel haben. Diese Entwürfe werden vom Rat dem Europäischen Rat übermittelt und den nationalen
Parlamenten zur Kenntnis gebracht.
(3) Beschließt der Europäische Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kom-
mission mit einfacher Mehrheit die Prüfung der vorgeschlagenen Änderungen, so beruft der Präsi-
dent des Europäischen Rates einen Konvent von Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats-
und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission ein.
Bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich wird auch die Europäische Zentralbank
gehört. Der Konvent prüft die Änderungsentwürfe und nimmt im Konsensverfahren eine Empfeh-
lung an, die an eine Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten nach Absatz 4
gerichtet ist.
Der Europäische Rat kann mit einfacher Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments
beschließen, keinen Konvent einzuberufen, wenn seine Einberufung aufgrund des Umfangs der
geplanten Änderungen nicht gerechtfertigt ist. In diesem Fall legt der Europäische Rat das Mandat
für eine Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten fest.
(4) Eine Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten wird vom Präsidenten des
Rates einberufen, um die an den Verträgen vorzunehmenden Änderungen zu vereinbaren.
Die Änderungen treten in Kraft, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer ver-
fassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind.
(5) Haben nach Ablauf von zwei Jahren nach der Unterzeichnung eines Vertrags zur Änderung
der Verträge vier Fünftel der Mitgliedstaaten den genannten Vertrag ratifiziert und sind in einem
Mitgliedstaat oder mehreren Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bei der Ratifikation aufgetreten, so
befasst sich der Europäische Rat mit der Frage.
Es kommt aber noch besser. Verfassungs-, also Vertragsänderungen, die ja Verfassungscharakter haben, sind auch im sogenannten "einfachen Verfahren" möglich, solange der formale Zuständigkeitsrahmen gegenüber den Mitgliedstaaten unverändert bleibt.
Vereinfachte Änderungsverfahren
(6) Die Regierung jedes Mitgliedstaats, das Europäische Parlament oder die Kommission kann
dem Europäischen Rat Entwürfe zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten
Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union über die internen Politikbereiche
der Union vorlegen.
Der Europäische Rat kann einen Beschluss zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen
des Dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erlassen. Der Euro-
päische Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommis-
sion sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich, der Europäischen Zentralbank.
Dieser Beschluss tritt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen
verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.
Der Beschluss nach Unterabsatz 2 darf nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der
Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen.
(7) In Fällen, in denen der Rat nach Maßgabe des Vertrags über die Arbeitsweise der Euro-
päischen Union oder des Titels V dieses Vertrags in einem Bereich oder in einem bestimmten Fall
einstimmig beschließt, kann der Europäische Rat einen Beschluss erlassen, wonach der Rat in
diesem Bereich oder in diesem Fall mit qualifizierter Mehrheit beschließen kann. Dieser Unter-
absatz gilt nicht für Beschlüsse mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen.
Jede vom Europäischen Rat auf der Grundlage von Unterabsatz 1 oder Unterabsatz 2 ergriffene
Initiative wird den nationalen Parlamenten übermittelt. Wird dieser Vorschlag innerhalb von sechs
Monaten nach der Übermittlung von einem nationalen Parlament abgelehnt, so wird der Beschluss
nach Unterabsatz 1 oder Unterabsatz 2 nicht erlassen. Wird die Initiative nicht abgelehnt, so kann
der Europäische Rat den Beschluss erlassen.
Der Europäische Rat erlässt die Beschlüsse nach den Unterabsätzen 1 oder 2 einstimmig nach
Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt.
Diese komplizierten Regelungen bedeuten, dass sogar Gesetzgebung mit Vertrags-, d.h. verfassungsänderndem Charakter prinzipiell ohne Befassung der nationalen Parlamente möglich wird und in den Fällen von Absatz (7) vom Europäischen Rat, das sind die Regierungschefs Europas, alleine durchgezogen werden kann, wenn das Europäische Parlament keine Mehrheit dagegen zusammenbringt. Jedoch sagt Abs. (6), dass nach Anhörung von Europäischem Parlament und Kommission sogar alleine entschieden werden kann! Es ist dieser Punkt, der die böse Debatte über das EU-"Ermächtigungsgesetz" ausgelöst hat. Denn in jenem Gesetz hieß es:
Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (Ermächtigungsgesetz) vom 23.3.1933
1. Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85 II und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.
2. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.
3. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. Die Artikel 68 bis 77 der Reichsverfassung finden auf die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze keine Anwendung.
4. Verträge des Reiches mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen für die Dauer der Geltung dieser Gesetze nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erläßt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften.
5. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft, es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.
Reichsgesetzblatt T. I. (1933), Nr. 25, S. 141