jedenfalls bin ich ein hardcore-drogenabhängiger und bekomme nichts auf die reihe.
mein hobby ist motoren zu warten und zu reparieren und zu überarbeiten. ohja.. das macht spaß.
Bist Du zwei Bomben :idee:
Auch ich gebe es zu:
Ich bin süchtig.
Ja, ich bin süchtig: Auf Virtuelle Realität (ich gebrauche bewusst den altertümlichen Ausdruck).
Ist das ein Wunder? Nein! Wie soll man sonst das Leben aushalten? Ich habe Geschichte und Volkswirtschaft studiert. Ich verstehe wie unsere Gesellschaft und wie unsere Wirtschaft funktionieren.
Unsere Produktionsmittel sind so weit entwickelt, dass wir mit Leichtigkeit viel mehr Produkte herstellen können als wir verbrauchen, und das unter nahezu perfekter Wahrung des natürlichen Gleichgewichts der Erde: Wir haben unser System auf einen stabilen Zustand eingeschwungen. Künstliche Intelligenzen kontrollieren das gesamte System bis zum letzten Nanocompiler und zum letzten Chirurgie-Roboter hinunter. Oder ist es eine einzige Intelligenz die sich in verschiedener Art offenbart? Das wissen wir nicht. Jedenfalls: Die Künstliche Intelligenz ist unserer eigenen so weit überlegen, dass wir nirgendwo in die Prozesse der Wertschöpfung eingreifen dürfen. So bleiben uns Menschen als Berufsfelder nur die Kunst, die Religion und die Rechtspflege: Bereiche, die sich weitgehend der Logik entziehen und daher für die Künstliche Intelligenz schwer handhabbar sind.
Das System behaust und ernährt alle Menschen ausreichend. Jeder, absolut jeder, erhält nach dem Robert-Theobald-Prinzip eine auskömmliche Rente. Wer mehr haben will, muss eben Künstler, Geistlicher oder Rechtspfleger werden. Für alle anderen, also auch für mich, besteht ebenfalls eine lebenslange Möglichkeit zu arbeiten. Das System teilt uns eine Arbeit zu, und es macht das recht geschickt, unter Berücksichtigung individueller Neigungen. Aber ich weiß was (fast) jeder weiß: Unsere Arbeit ist sinnlos. Was wir heute errichten wird morgen wieder abgebrochen. Ein Beispiel: Seit hundert Jahren arbeiten Heerscharen von Menschen an einem gewaltigen Raumfahrzeug das irgendwann die Erde verlassen und eine Kolonie im Weltraum gründen soll. Aber ich weiß es: das Raumschiff wird die Erde nie verlassen. Nie.
Da ich Geschichte studiert habe kann es nicht überraschen dass ich Virtuelle Realität zunächst für Spaziergänge in die Historie genutzt habe (Das soll auch eine der ältesten Anwendungen sein.) Es ist wunderbar sich den Kopplerhelm aufzusetzen, die Laufzeit einzustellen, sich bequem im Sessel zurückzulehnen, den Startknopf zu drücken – und augenblicklich ist man im Alten Rom und läuft mit in Caesars Triumphzug; oder man steht mit Napoleon vor den Pyramiden und hört ihn ausrufen: "Vier Jahrtausende schauen auf Euch herab!"; oder man reitet mit in Dschingis Khans Horden; oder entdeckt mit Columbus die Neue Welt; oder beobachtet Hitler und seine Kumpane beim Selbstmord; oder begleitet Mao auf dem Langen Marsch; oder oder oder! Besonders gut ist es, ein Abenteuer in Fortsetzungen zu erleben: Jeden Tag ein paar Stunden zum Beispiel als Marco Polos Begleiter. So lebt man nicht nur sein eigenes langweiliges Leben, sondern viele verschiedene aufregende Leben parallel!
Oder Reisen – früher musste man reisen um die Naturwunder der Erde zu sehen. Dann kamen (lehrt uns die Geschichtswissenschaft) Kino und Fernsehen. Und dann kam die Virtuelle Realität! Es kostet nur ein paar Kommandoworte und den Druck auf den Startknopf, und wir steigen zur Akropolis hinauf; tauchen von einer schwimmenden Plattform hinunter zu den versunkenen Touristenhotels der Malediven; klettern auf den Gipfel des Kilimandscharo (auf alten Fotos sieht man dort noch Schnee liegen – Schnee!); besichtigen die gigantischen Denkmäler längst verwehter Träume am Cap Canaveral.
Meine Güte, ich halte Deinem Poesiealbum ja Vorträge! Na, macht auch nichts ......
Virtuelle Realität erlaubt uns Welten zu besuchen die nur in unserer Vorstellung bestehen: Welten voller böser Zauberer, guter Feen, liebreizender Prinzessinnen; Welten, in denen wir gegen ungute Geister, Vampire, monströse Drachen kämpfen. Oder wir können Raumstationen besuchen, wie sie alte Geschichtenerzähler sie sich erträumt haben und wie sie für ein paar Jahre wirklich existierten – wie lange liegt die "Internationale Raumstation" zurück? Nach ihrem Ende durch einen religiös – fanatischen Selbstmordattentäter gab es keine Raumfahrt mehr ....
Virtuelle Realität erlaubt uns in die Haut ganz anderer Lebewesen zu schlüpfen. Die Welt aus der Perspektive einer Fliege: Über dem Frühstückstisch kreisen, vorsichtig auf einem Stück Käse landen, der zuschlagenden Fliegenklatsche ausweichen ... Einmal hing ich stundenlang in einem Spinnennetz fest, bis die Zeitschaltuhr mich in mein gewöhnliches Leben zurückholte – einen wirklich perversen Humor muss der Programmierer gehabt haben – eine künstliche Intelligenz, ganz sicher! Oder als Falke um den Turm des Ulmer Münsters kreisen, bald im Sturzflug hinabschießend, bald im Aufwind wieder hinaufkreisend .... Oder die Faröer einmal anders: als Fisch durch die Zaubergärten der Korallen gleiten, immer auf der Hut vor dem Hai der von oben kommt, der lauernden Muräne unten; sich erschrecken vor der Hand die sich plötzlich nach Dir ausstreckt – vielleicht ein Bekannter der gerade heute einen Tauchurlaub erleben will?!
Das größte Erlebnis aber ist als Löwe durch die Savanne zu streifen – Herr der Tiere! Lässig den heißen Mittag verträumen. Warten bis die Löwinnen ihre Beute bringen. Die Zähne in das noch warme Fleisch der Gazelle schlagen, ihr Blut schlürfen...
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Heute habe ich wieder ein paar Stunden als Löwe gelebt. Als ich im Schatten einer Schirmakazie ruhte kam eine Fotosafari zu Fuß vorbei. Ich erhob mich und ließ mein Brüllen hören. Wie schnell die Typen verschwunden waren! Am liebsten wäre ich hinter ihnen hergejagt um mir einen zu schnappen, nur so zum Spaß. Aber es gibt Dinge die gehen in Virtueller Realität nicht, da ist die Programmierung dagegen. Zum Teufel diese Künstliche Intelligenz – muss sie auch noch unsere Träume kontrollieren?!
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Ich lebe jetzt jeden Tag die längst mögliche Zeit als Löwe, so wie es die Zeitschaltuhr erlaubt. Irgendein gebildeter Chinese schrieb einmal: "Heute Nacht träumte ich ein Schmetterling zu sein. Dann erwachte ich und war ein Mensch. Oder – bin ich ein Schmetterling der träumt ein Mensch zu sein?" Ich selber – bin ich ein Löwe der träumt ein Mensch zu sein?
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Was ist ein König der seine Macht nicht zeigen darf? Was ist ein Löwe der seine Zähne nicht in zuckendes Fleisch schlagen darf, das er selbst gejagt hat? Irgendwie muss ich die Virtuelle Realität überlisten die mich daran hindert selbst zu töten!
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Es geht nicht – ich kann die Virtuelle Realität nicht austricksen!
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Ich habe bei dem Betreiber des VR-Servers gefragt, ob man das Programm nicht abändern kann, ich würde auch gerne dafür bezahlen. Nein hieß es, da gebe es strenge Gesetze ..... die Künstliche Intelligenz wisse wohl warum!
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Ich muss töten! Jeden Tag wenn ich in der Virtuellen Realität als Löwe durch die Savanne streife und die Touristen wieder sehe oder eines dieser Negerweiber am Wasserloch, dann denkt es in mir "Ich will töten! Ich muss töten! Ich werde töten!" Aber es misslingt mir stets. Ich kann nicht einmal eine Gazelle schlagen, meine Löwinnen müssen es besorgen. Das dampfende Blut kann ich dann trinken!
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Das Programm der Virtuellen Realität ist wirklich raffiniert. Ich habe etwas entdeckt und systematisch ausprobiert: Wenn ich im Sitzen auf den Startknopf drücke, dann starte ich in der Virtuellen Realität sitzend. Wenn ich im Stehen den Knopf drücke, dann stehe ich am Beginn der Virtuellen Realität. Wenn ich kauend oder schluckend den Startknopf drücke, dann starte ich auch in der Virtuellen Realität kauend oder schluckend!
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Das ist die Lösung: Wenn ich als Löwe nicht töten kann, dann muss ich es als Mensch tun. Das warme Blut kann ich dann als Löwe trinken!
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Meine Zähne stammen ohnehin alle aus der Nanomanufaktur. Ich habe sie heute scharf geschliffen. Es war mühsam und unangenehm. Jetzt muss ich Acht geben dass ich mir nicht auf die Zunge beiße!
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Wie gut dass ich einst, aus reiner Langeweile, mir eine kleine Heimwerkerausrüstung zugelegt habe. Die ledernen Arbeitshandschuhe lagen noch herum. Ich habe die Finger mit Stahlkrallen versehen.
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Ich kenne ein einsames Dünengebiet, ganz ungepflegt, Knüppelholz vom nahen Wäldchen liegt da herum, dort werde ich jagen gehen. Gibt es dort Wild?
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Ja es gibt Wild! Immer wieder liegen dort Menschen in der Sonne, meist Pärchen. Oder in Gruppen. Manchmal auch alleine! Ich werde meine Ausrüstung in eine große Tasche packen und mir eine Beute suchen.
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Heute gehe ich auf die Jagd. Heute will ich der wahre König der Tiere sein. Ich werde mein Gedankentagebuch dabei weiterführen: nichts soll verloren gehen! ...... Ich betrete jetzt das Revier. Es ist ein wunderbarer Tag, kein Wölkchen am Himmel. Gewiss wird es Sonnenanbeter geben. ..... Ich gehe den Trampelpfad an der Dünenkette entlang. Wenn sich ein neues Dünental öffnet, spähe ich erst ganz vorsichtig .... Meist sind es Pärchen .... Jetzt? .... Wieder nichts – zwei Kerle in der Umarmung. Mit zweien kann ich es nicht aufnehmen ..... solange ich Mensch sein muss ....
Jetzt! Da! Im Dünental eine Frau. Allein. Nicht alt, nicht jung. Ein wenig fett. Macht nichts! Jetzt oder nie! Ich setze den Kopplerhelm auf, prüfe alle Voreinstellungen – eine bescheidene halbe Stunde will ich als Löwe meine Beute genießen .... die Handschuhe ..... und jetzt!
Lange ...Sätze ... die Frau will sich aufrichten .... ich bin schon über ihr .... schlage meine Krallen in ihr Fleisch ... meine Zähne finden ihren Hals ... ihr Schrei bricht ab ... Blut! Blut! ....schnell den Startknopf!
Und ich trank das Blut der selbsterlegten Beute und zerriss ihr Fleisch mit ihren Zähnen und brüllte meinen Triumph hinaus!
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Ja, es ist wahr, mein Triumph war nur kurz. Die beiden Schwulen haben wohl meinen Schrei gehört. Nach der Beule an meinem Kopf müssen sie mir mit einem Holzknüppel den Koppelhelm zerschlagen haben.
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Und ich starre hinaus durch die Stäbe meines Käfigs und träume von der Savanne ...
*** frei kopiert nach Jules Verne ***