Konstantin Wecker

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Seit fast vierzig Jahren steht er nun schon auf der Bühne. Ich bin von seinen Liedern, Gedichten, von der Leidenschaft, mit der er spricht, spielt und singt, seit Ende der 70er Jahre fasziniert.

1981 war es so weit. Er trat in der Stadthalle von Kassel auf und wir, rund zehn Leute aus meiner FOS - 12 Klasse in Göttingen, besorgten uns Karten und fuhren hin.

Ich weiß nicht, wie viele tausend Zuschauer die Stadthalle fasste. Wir waren jedenfalls nicht mehr als 200 Leute im Publikum, als er um 20.00 Uhr begann, "in die Tasten zu hauen". Bereits nach den ersten Liedern forderte er uns, die wir in der riesigen Halle ziemlich verstreut auf unseren Plätzen saßen auf, zusammenzurücken. Und so hockten wir bald am Rande der Bühne und Konstantin Wecker spielte. Er spielte die Pause durch. Das Programm wäre um 22. 00 Uhr zuende gewesen. Er endete, wie hätte es damals anders sein können, mit "Willy".

Dann meinte er, und er war schon klatschnass, wir sollte jetzt mal nicht nach Zugaben rufen, er würde jetzt einfach weitermachen, solange er noch Lust hätte. Wir waren begeistert. Und er spielte ohne Unterbrechung noch bis 23.30 Uhr!

Wahnsinn!

Herzliche Grüße von
Leòn

www.wecker.de/cgi-bin/cgi_lieder1

Willy

Mei, Willy, jetz wo i di so doliegn sich, so weit weg hinter dera Glasscheibn, genau oa Lebn zweit weg, da denk i ma doch, es hat wohl so kumma müaßn, i glaub oiwei, du hast as so wolln, Willy.

Ogfanga hat des ja alles 68, woaßt as no: Alle zwoa san ma mitglaffa für die Freiheit und fürn Friedn, mit große Augn, und plärrt habn ma: Bürger laßt das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein! Und du warst halt immer oan Dreh weiter wia mir, immer a bisserl wuider und a bisserl ehrlicher.

Mia habns eana zoagn wolln, Willy, und du hast ma damals scho gsagt: Freiheit, Wecker, Freiheit hoaßt koa Angst habn, vor neamands, aber san ma doch ehrlich, a bisserl a laus Gfühl habn ma doch damals scho ghabt, wega de ganzen Glätzen, die einfach mitglaffa san, weils aufgeht, wega de Sonntagnachmittagrevoluzzer: d´Freindin fotzen, wenns an andern oschaugt, aber über de bürgerliche Moral herziagn! Die gleichn, Willy, die jetzt ganz brav as Mei haltn, weils eana sonst naß nei geht! Und du hast damals scho gsagt, lang halt des ned, da is zvui Mode dabei, wenn scho die Schickeria ihrn Porsche gegan 2 CV umtauscht, dann muaß was faul sei an der großen Revolution, mitlaffa ohne Denken ko heut nia guat sei, aa ned für a guate Sach.

Gestern habns an Willy daschlogn,
und heit, und heit, und heit werd a begrobn.

Dann hast plötzlich mim Schlucka ogfanga, und i glaub, a bisserl aufgebn hast damals scho. I versteh di, des is ja koa Wunder, wenn man bedenkt, was alles wordn is aus de großen Kämpfer. Heit denkas ja scho mit 17 an ihr Rente, und de Madln schütteln weise an Kopf, wenn d´Muater iam Mo as Zeig hischmeißt und sagt, mach doch dein Krampf alloa, i möcht lebn, trotzdem, Willy, ma muaß weiterkämpfen, kämpfen bis zum Umfalln, a wenn die ganze Welt an Arsch offen hat, oder grad deswegn.

Und irgendwann hast dann ogfanga, die echten Leit zum suacha, de wo ned dauernd "Ja Herr Lehrer!" sagn, hinten in dene Kneipn am Viktualienmarkt und am Bahnhofseck. Echter san de scho, Willy, aber i hab di gwarnt, aufpassen muaßt bei dene, weil des san Gschlagene, und wer dauernd treten werd, der tritt halt aa amoi zruck, aber du hast koa Angst ghabt, i kenn di doch, mia duad koana was, mei, Willy, du dummer Hund du, jetzt sickst as ja, wia da koana was duad.

Gestern habns an Willy daschlogn,
und heit, und heit, und heit werd a begrobn.

Sakrament, Willy! Warst gestern bloß aufm Mond gwesen oder aufm Amazonas in am Einbaum oder ganz alloa aufm Gipfel, drei Schritt vom Himme weg, überall, bloß ned in dera unselign Boazn!

I hab in da Früah no gsagt, fahrn ma raus, as Wetter is so glasig, die Berg san so nah, schwänz ma a paar Tag, wia damals in da Herrnschui, an Schlafsack und die Welt in der Taschn, aber du hast scho wiederamoi oan sitzn ghabt in aller Früah, und am Abnd hast as dann wiedar amoi zoagn müaßn, daßd doch no oana bist.

Am Anfang wars ja no ganz gmüatlich. Und natürlich habn ma den alten Schmarrn wieder aufgwärmt, wieder amoi umanandgstritten, wer jetz eigentlich mim Lehrer Huber seiner Frau poussiert hat am Faschingsball, sentimental san ma gwordn, so richtig schee wars, bis der Depp an unsern Tisch kumma is mit seim Dreikantschlüsselkopf, kloa, schwammig und braun. Und dann hat a uns gfragt, ob ma beim Bund gwesen san, na ja, des habn ma ja noch ganz lustig gfunden, und daß a so froh wär, daß jetzt wieder Ordnung kummt in die rote Staatssauce, und die Jugend werd ja aa wieder ganz vernünftig, und die Bayern wissens as eh scho lang, wos lang geht politisch, Willy, i hab gnau gwußt, des haltst du ned lang aus, und dann hat a plötzlich as Singa ogfanga, so was vom Horst Wessel. Hinten an de andern Tisch habns scho leise mitgsummt, und dei Birn is ogschwolln, und plötzlich springst auf und plärrst:

Halts Mei, Faschist!

Stad wars, knistert hats. Die Luft war wiara Wand. Zum Festhalten. Da hätt ma no geh kenna, Willy, aber na, i verstehs ja, du hast bleibn muäßn, und dann is losganga an de andern Tisch: Geh doch in d´Sowjetunion, Kommunist! Freili, Willy, da muaß ma narrisch werdn, wenns scho wieder soweit is, aber trotzdem, laßn geh, hab i gsagt, der schad doch neamands mehr, der oide Depp, nix, hast gsagt, alle schadens, de oiden und de junga Deppen, und dann hat der am Nebentisch plötzlich sei Glasl daschlogn, ganz ruhig, und is aufgstanden, Willy, du dumme Sau, i hab di bei da Joppen packt und wollt di rausziagn, obwohl i´s scho nimmer glaubt hab, und du hast di losgrissen: Freiheit, des hoaßt koa Angst habn vor neamands, und bist auf ean zua und nacha hat a halt auszogn... Willy, Willy, warn ma bloß weggfahrn in da Früah, i hätt di doch no braucht, wir alle brauchen doch solche, wia du oana bist!

Gestern habns an Willy daschlogn,
und heit, und heit, und heit werd a begrobn.


EV: Genug ist nicht genug (1977)
www.wecker.de/cgi-bin/cgi_lieder1?id=71&ok
 
Vor 10 Jahren habe ich Konstantin Wecker einmal in einer Lesung ganz unpolitisch erlebt. Es war sehr angenehm, irgendwie beruhigend.

Hier mein Lieblingsgedicht von ihm:

An den Freund

Kann ich vereinzelt eine neue Regung
ein Ungewohntes deines Wollens nicht verstehen
dann bleibt mir nur, diese Bewegung
in mir zu suchen und mit dir zu gehen.

Denn was ich von dir weiß, ist niemals mehr
als ich von meinem Wesen will und kenne
und alles, was ich an dir ungefähr
oder gar falsch und unbewiesen nenne

ist nur ein Dunkelsein in mir. Ich spüre
wie sich dein Bild mit mir beständig formt
nur in dem Maß, wie ich mich jeweils sehe.

Ob ich dich finde, ob ich dich verliere -
du bleibst mir nur nach dieser Form genormt:
die ich bestimme und mit der ich überstehe.

Konstantin Wecker
 
Ich bin ebenfalls von der Erscheinung Weckers fasziniert und zu Sagen hat und
hatte er viel. Interessanter Weise vereint dieser rauschhafte Künstler gleich
mehrere Aspekte in seinem Wesen, die auch im Forum thematisiert werden.

Wecker ist manisch, war drogenabhängig, ist politischer Poet und Liedermacher.

Ich verfolge ihn schon seit vielen Jahren, berührt hat er mich immer.
Auch wenn ich nicht mit Allem, was er hinausposaunte, einverstanden war.

Seitdem Wecker nicht mehr Kokain "frisst" (er hat über seine Abhängigkeit ein
Buch verfasst, in dem er schildert, wie nahe er dem Tod war) haben seine
manischen Ausbrüche an Gefährdung verloren.

Seitdem er sein ausuferndes Gefühlsleben durch Abstinenz und die Geburt
seiner Tochter bändigen konnte, fühlt er sich wie neu geboren und verklärt
nicht die wilden Jahren. Auch hier ist er authentisch.

Leider ist es ein wenig still um ihn geworden. Das lässt den Verdacht zu, dass
das, was wir als große Kunst wahrnehmen, oftmals Produkt einer durch Drogen
forcierten Performance ist.

Dies entwertet weder Künstler noch Produkt, erwähnenswert ist es allemal.
In diesem Zusammenhang denke ich an eine aktuelle Reihe im ZDF, die das
Leben großer Musiker beleuchtet. Die Jazzlegenden waren in den USA beinahe
durch die Bank Alkoholiker. Hasch war normal und Heroin weit verbreitet.
Viele zerbrachen an ihren Süchten. Luis Armstrong war dabei der "Bescheidenste",
er trank nur und haschte vor jedem Auftritt.

Bodo
 
Richtigstellung - 2 Korrekturen - Dank an Flowerpower!

Seitdem er sein ausuferndes Gefühlsleben durch Abstinenz und die Geburt
seiner Tochter bändigen konnte, fühlt er sich wie neu geboren und verklärt
nicht die wilden Jahren. Auch hier ist er authentisch.


Das hatte ich falsch erinnert."Am 3. Februar 1996 heiratete Wecker die 27
Jahre jüngere Annik Berlin aus Bassum bei Bremen, die er auf einem seiner
Konzerte kennen lernte. 1997 und 1999 werden die Söhne Valentin und Tamino geboren.
"
Konstantin Wecker - Wikipedia

Leider ist es ein wenig still um ihn geworden. Das lässt den Verdacht zu, dass
das, was wir als große Kunst wahrnehmen, oftmals Produkt einer durch Drogen
forcierten Performance ist.

Seine Webseite lässt erkennen, dass er auch weiterhin umtriebig ist. Da er
jedoch weit weniger im Fernsehen erschien als früher, entstand meine
Vermutung, dass er insgesamt kürzer getreten sei.
 
Letzte Tage, ich meine, dass es Freitag, den 07.09. gewesen sein muss, habe ihn im Bayern Rundfunk gesehen. Ein Geburtstag stand an. Viele seiner Freunde kamen und ergriffen sich das Mikrophone.
Er selbst spielte z.T. klavier und hin und wieder sang er auch, aber eigentlich bestand seine Aufgabe im Genießen und Konsumieren.

Er machte einen sehr fitten Eindruck. Wir saßen vor der Flimmerkiste und waren erstaunt über sein gutes (im Sinne von "gesundes") Aussehen. Also seine "verschneite" Vergangenheit bemerkt man sicher nicht.
 
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