Grenzgänger

Grenzgänger

Märchen V

Ein König lebte im Osten, der ein Reich besaß, dessen Ländereien reichten vom Aufgang der Sonne, bis zu deren Untergang. Sein Reich war so groß, dass er es nicht umlaufen, nicht umreiten oder umfahren konnte. Er konnte es nicht einmal erdenken.

Es war so groß, dass er nicht hinaus gelangen konnte. Und schlimmer noch: es konnte auch keinem gelingen, hinein zu kommen.

Und so saß er da, auf seinem Thron inmitten des Reiches, das so groß war, dass niemand zu ihm finden konnte.

Allein war und einsam. Und nichts und niemand waren imstande, die Weiten des Reiches zu überwinden und ihm in der Einsamkeit beizustehen!

Nichts aus Fleisch und Blut. Nur etwas, das ganz leicht und schwerelos, zart und fein war. Beinahe nicht von dieser Welt. Und so machte sich ein Gedanke auf, überwand die Grenzen des Reiches und glitt durch Ebenen und Täler, über mächtige Bergrücken und Felsgrate, überwand Moore und Heiden und durchstreifte Wüsten, Steppen und Savannen, durchquerte gewaltige Wälder, Sümpfe und Flußauen, überwand Seen, Flüsse und ein Meer, glitt durch dorniges Gestrüpp und über felsigen Boden, bis er endlich den König erreichte.

Dort angekommen, drang er in ihn ein. Da wich ein alter Gedanke aus dem König, der hieß „Ich kann nicht!“ Der neue Gedanke aber hieß: „Ich will!“ Und so erhob der König sich von seinem Thron und ging hinaus in die Welt.


 
Grenzgänger

Gedanken gleich sind wir, wir gleiten durch Zeit und Raum, geschickt, getrieben, geleitet, getragen von dem was in uns ist.

Die meisten von uns können nicht fliegen. Und dennoch gelingt es uns, den Weg stets zu finden, der uns aufgegeben wurde.

Immer und immer wieder, im Laufen, im Ritt, in der Fahrt; die Berge hinab, vom Tale empor, weiter wie im Flug.

In die Tiefen großer Reiche, an die Rand der der Zivilisation, ja bis an den Rand der Welt sogar, führen unsere Wege.

Wir fließen und wir sind. Ungefangene Funken im Strom der Universen. Mikroorganismen im großen Überall.
 
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Grenzgänger

Manchmal schieben
die Wächter der Nacht
die Wolken beiseite,
befreien den Blick
auf die Gestirne
und lassen uns ahnen,
wohin wir reisen.

Doch das Ziel zu wissen
ist uns're Sache nicht!
 
Grenzgänger

Da sagen doch manche, sie hätten den Gral
und sie seien bereit, ihn auszuschütten
zu aller Wohl. Doch wir lächeln nur mild und
wenden uns ab. Zu viele kannten wir von diesen.

Denn es ist nicht unsere Sache zu folgen
wie auch nicht zu führen. Wir gehen den Weg,
den ganz eigenen. Eingebettet im Ganzen.
In Bruderschaft mit dem Seienden.

Ideen sind schön. Gut ist es, mit ihnen
zu handeln. Und wenn da die wortgewaltigen
Sprecher meinen sie hätten die Quinta Essentia,
denn sollen sie ihr Glück damit finden.

So wie jeder, der denkt, fühlt und ist. Und
graust es auch den Führern, so bleiben wir uns treu
und dem Ruf. Denn so sind wir und wir gehen,
mitunter zögernd, doch mutig diesen eigenen Weg.

 
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