Schreib-Ecke

Der Herr denkt nach​


Am 24. Dezember ging der Herr in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Draußen schneite es und im Kamin prasselte ein gemütliches Feuer. Er sprach zu seinem Sekretär: „Es ist urkomisch, was die Menschen dauernd für einen Aufstand machen. Heute feiern sie wieder meinen 'Geburtstag'. – Oder vielmehr den Geburtstag “, und der Herr dehnte die folgenden Worte in die Länge, ‚meines Sohnes’!“
Er schüttelte den Kopf: „Wo sie das nur wieder herhaben? – Damit wollen sie mir mal wieder so ein Prädikat aufdrücken. So etwas wie GUT, LIEB oder GNÄDIG! – Dabei bin ich doch wertfrei!“
Ein Leuchten huschte über das Gesicht des Herrn: „Das war eine gute These! Seien Sie bitte so gut und notieren sie diesen Satz für meine Memoiren: GOTT IST WERTFREI!“

Er blieb für einen Moment neben seinem Sekretär stehen, der eifrig schrieb und sinnierte weiter: „Vielleicht habe ich das nicht ganz richtig ausgedrückt. ‚Wertfrei’ bin ich wohl nicht, was meinen sie?“ und ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: „Nein, ich bin nicht wertfrei. Ich bin vielmehr voller verschiedener subjektiver Werte. Ich kann sehr nett und umgänglich sein, aber auch ganz schön gehässig. Sie kennen mich ja!“ Der Schreiber sah von seiner Arbeit auf und lächelte, wissend und nachsichtig.

Der Herr ging wieder ein paar Schritte und hielt dann inne: „Nein, was ich meine ist, dass ich für die Menschen wertfrei bin. Oder vielmehr…“, er lächelte verschmitzt: „…wertlos, weil wir nichts miteinander zu tun haben! Sie ahnen meine Existenz und entwickeln bei dem Versuch, mich für sie bildhaft erfassbar zu machen, oft eine erstaunliche Phantasie – zum Beispiel, wenn sie mich Vater nennen oder Mutter, Natur oder Heiliger Geist.“ Er blickte hinunter auf seine Schuhspitzen: „Wenn sie sich als ‚Geschöpfe Gottes’ bezeichnen, überkommt mich sogar eine Art von Rührung!“

„Ja, sind denn die Menschen nicht Ihre Geschöpfe?“ fragte der Sekretär interessiert, blickte den Herrn gespannt an und ließ die Hand mit dem Schreibzeug für einen Moment sinken.

„Nun…,“ der Herr kräuselte nachdenklich die Stirn und drehte sich langsam zu seinem Gegenüber um. „viele Menschen behaupten es, … aber ich kann mich beim besten willen nicht daran erinnern! Möglich ist es schon. Aber wenn ich sie wirklich erschaffen hab, dann muss das schon sehr lange her sein!“ Er hielt inne, zögerte einen Moment und sah dabei seinem Sekretär direkt in die Augen: „ Manchmal habe ich aber eher das Gefühl, dass es umgekehrt ist: dass ich von den Menschen erschaffen worden bin!“

„Ein sehr interessantes philosophisches Problem!“ stellte der Sekretär fest und griff nach dem Schreibwerkzeug. „Wir sollten eine Abhandlung darüber verfassen!“

„Ein anders Mal!“ seufzte der Herr, gähnte und ging zur Tür. „Lassen Sie uns für heute Schluss machen und Skifahren gehen!“


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Herzliche Grüße von

Leòn
 
Zuletzt bearbeitet:
Fremdes Land (1)

"Die Tage werden länger", mit diesem banalem Gedanken schlief er doch noch ein. Machte das Alles noch Sinn?

Grünspecht setzte wieder zu. "Sie parken meine Einfahrt zu, meine Frau, der Notfall . . ." Ja. Er parkte erstmalig die Einfahrt zur Garage des Vermieters zu. Ließ sich erahnen, dass ausgerechnet in dieser Nacht die Frau ins Krankenhaus musste?

Wenn die Tage länger werden, sieht man mehr. Selbst längst Vergangenes taucht auf, vermischt sich mit dem Jetzt, fordert quälend und beißt sich fest.

Sein Leben verlief ohne Sensationen. Das kurze Glück einer vollkommenen Kindheit war Anker und Speicher zu gleich, an dem er festhielt und von dem er sich nährte.

"Wenn das nochmal passiert, kommt die Polizei, schleppt ab . . ." Ja, dies soll so sein. Ein Hindernis muss verrückt werden. Es wird beseitigt, entsorgt, zu Recht.

Hindernisse. Steine im Weg. Polizei. Abschleppwagen. Einfach umzusetzen. Sauber und effizient.

Und wie war es um die Hindernisse, die Steine, in seiner ereignislosen Welt bestellt? Wo war jetzt die Polizei, der Abschleppwagen?

Der Urlaub machte es nicht einfacher. Freizeit. Freie Zeit zum Nachdenken. Unfreiwillig. Aufgezwungen. Unausweichlich.

Die Nächte werden kürzer, wenn die Tage länger werden. Die Nächte. Die Träume, gnadenlose Regisseure eigener Hilflosigkeit. Initiatoren der Verletzbarkeit. Indikatoren der Sehnsucht.
 
Hi Bodo,

was anderes sollte ich dazu sagen als "großartig"?

Herzliche Grüße von

Leòn
 
:klatschen Supi!

Bist du sicher, dass du die Geschichte so öffentlich weiter schreiben möchtest?
Falls du mal so etwas als Buch herausbringen würdest, dürfte es (u.a.) noch nicht im I-net gestanden haben.

anmerkende Grüße:wave:
 
Hallo ADo,

ich danke Dir ganz herzlich für Deine Anregung! Du hast Recht, es ist besser so!

Und ich danke hiermit Sema, die die entsprechenden Beiträge prompt gelöscht hat.
Wer Interesse daran hat, zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht, kann von mir die folgenden Kapitel gerne per P.N. oder E-mail zugeschickt bekommen!

Sagt bitte Bescheid!

Ich bitte um Euer aller Verständnis,
herzlichen Dank von

Leòn
 
An den Katie - Fan - Club :D (Präsidentin und einziges Mitglied) :)))

Hallo ADo,

ich habe verstanden!

Herzliche Grüße von
Leòn:)
 
Das Lied des Elbenkönigs in der Mittsommernacht I.

Vor vielen, vielen Jahren lebte, in Norwegen, nahe der heutigen Stadt Trondheim, eine große Sippe von Trollen. Sie hatten es sich in den Hügeln, nahe dem großen Fjord, gemütlich gemacht, und wohnten dort in Höhlen, Erdwällen und unter Büschen. Das Wort TROLL benutzten sie selbst gar nicht, sie mochten es kein bißchen. Lieber hatten sie es, wenn man vom HÜGELVOLK sprach. Sie selbst nannten sich die THUSSER .

Jork, der Sippenälteste, schimpfte oft über die christlichen Priester, die in letzter Zeit immer häufiger in die Gegend kamen, um die Menschen, die mit den Thussern in friedlicher Nachbarschaft zusammenlebten, zu missionieren. Diese Priester nämlich sprachen schlecht von den Thussern, und brachten auch den Begriff Troll mit. Sie behaupteten, Trolle seien böse und hinterlistig, würden die Menschen betrügen und das Vieh vergiften.
,,Sie mißtrauen uns, weil sie uns nicht kennen,“ erklärte Jork, eines Tages seinem Sohn Tyrad, als sie nach beginnender Dämmerung in ihrer Schmiede mit der Arbeit begonnen. ,,Die Menschen der Umgebung schätzen uns, vielleicht weil sie uns mögen, vor allem aber, weil wir in der Schmiedekunst allen anderen weit voraus sind, auch weil wir in der Lage sind, Kühe heranzuziehen, die besonders fette Milch geben, und weil sie von uns Hunde kaufen können, die äußerst
gut gezüchtet und erzogen sind! “ Er hob ein glühendes Eisen aus der Esse, ,,Aber diese Priester und Mönche, die stellen sich gegen uns, und versuchen uns zu bekämpfen!“
,, Nur weil wir anders sind, weil wir in Zwielicht, Nacht und Morgendämmerung leben?“ fragte Tyrad, Jork’s Sohn.
,,Sie fürchten die Nacht, und lieben den Tag!“, antwortete Jork, und sie wissen auch, daß wir im Tageslicht verderben müssen!“
Denn die Angehörigen des Hügelvolkes können zu Stein werden, wenn sie ein Sonnenstrahl trifft. Im günstigsten Fall wird die blaßblaue Haut grau, faltig und trocken, sollte sie mit dem Sonnenschein in Berührung kommen.
,,Aber sie neiden uns auch unsere Künste, und daß wir sie nicht brauchen – sie nicht, und nicht ihren Gott!“, fügte Jork noch hinzu.,

Um Mitternacht verließ Jork die Schmiede, um die Ratsversammlung des Hügelvolkes, der er vorzusitzen hatte, aufzusuchen. Tyrad arbeitete weiter in der Schmiede des Vaters. Er galt als ein noch sehr junger Thusser, da er weniger als hundert Jahre zählte, aber das Handwerk des Vaters hatte er gelernt, und stand Jork an Kunstfertigkeit kaum nach. Durch die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Thusser, gelang es ihm, in kurzer Zeit drei Schwerter zu schmieden!
Nun doch ein wenig erschöpft, verließ er, eine Stunde vor dem Morgengrauen, die Schmiedewerkstatt, und begab sich in die Wohnhöhle, wo seine Mutter Gydris gerade dabei war, Bier für das, in der übernächsten Nacht bevorstehende Mittsommernachtsfest, zu brauen. Aus dem steinernen Backofen kam der köstliche Duft von Brot, und Tyrad begann, Hunger zu verspüren. Gydris schalt ihren Sohn liebevoll, als er sich daran machte, die Ofenklappe zu öffnen, um vom beinahe fertigen Brot zu naschen: ,,Warte gefälligst, bis das Brot gar ist, und abgekühlt. Sonst bekommst du Bauschmerzen! –
Aber tu mir einen Gefallen, Sohn, und sieh nach Deiner Schwester Feja, sie ist vor Stunden mit ihren Freundinnen aufgebrochen, um in der nähe des Menschen – Dorfes Kräuter für das morgige Festessen zu suchen. Sie müßten längst zurück sein, und ich mache mir langsam Sorgen!“.
Murrend machte sich Tyrad auf den Weg, um seine Schwester zu suchen. >Was soll das Theater,< dachte er mürrisch, >Feja ist eine junge Thusser – Frau, sogar etwas älter als ich! Die kann doch gut auf sich selbst aufpassen!<. Aber weil er wußte, daß ein Disput mit seiner Mutter länger dauern würde, als die Suche nach Feja, beeilte er sich, um so schnell wie möglich zu dem frisch gebackenen Brot zurückkehren zu können.
Er bewegte sich in westlicher Richtung, auf das Dorf der Menschen zu, und traf eine Gruppe von jungen Thusser – Frauen auf halbem Wege. Es waren die Freundinnen Feja’s, mit denen sie losgegangen war, um Kräuter zu suchen. ,,Warum ist Feja nicht bei euch?“ fragte Tyrad verwundert. Die jungen Frauen kicherten und zierten sich ein wenig, sodaß er beinahe schon ärgerlich wurde, da erzählten sie ihm, daß Feja die Gruppe in der Nähe des Dorfes verlassen habe, um sich – mehr oder minder heimlich – mit Jan Thorbenson zu treffen. Unwillkürlich mußte Tyrad grinsen. Er hätte es merken müssen ... zu oft hat sich Jan, der Sohn des Bauern Thorben, in letzter Zeit in der Schmiede blicken lassen. Mal war hier ein Pflugschar kaputt, dort eine Axt schartig, mußte ein neuer Dolch gefertigt werden ... .
Aber dann verfinsterte sich sein Gesicht, und er fuhr die Frauen an: ,,Wie konntet ihr sie nur alleine gehen lassen?“
,,Sorge dich nicht, Tyrad!“ erwiderte eine der Frauen, ,,Sie ist doch alt genug, und Feja hat uns versprochen, rechtzeitig nachhause zurückzukehren. Bestimmt ist sie längst dort, und außerdem hat sie ja auch euren Hund Wusel mitgenommen!“
,,Ach was!“ brummte Tyrad, ,,Sie ist eben noch nicht Zuhause, und was soll ihr schon ein kleiner Hund wie Wusel nützen, wenn sie ernsthaft in Gefahr ist?“.
,,Komm‘ mit uns,“ riefen die Frauen, ,,die Morgendämmerung bricht an!“, und sie setzten ihren Weg fort. Der junge Thusser zögerte einen Moment, dann lief er schnell weiter auf das Dorf zu. Immer wieder warf er mißtrauische Blicke umher, denn der Himmel wurde tatsächlich zusehends heller.

Er konnte schon die Umrisse des Dorfes deutlich erkennen, und den Fischbach, der es umfloß, da sah er, wie ein kleines weißes Fellknäuel auf ihn zustürzte, und freudig bellend an ihm hochsprang!“.
,,Wusel? du bist allein? Wo ist nur Feja geblieben?“ fragte Tyrad mit immer größer werdender Sorge, während er sich niederbeugte, um den kleinen Hund zu streicheln.

Am Himmel zeigten sich beständig heller werdende Streifen. Tyrad wußte sich keinen anderen Rat: Wollte er seine Schwester finden, was immer ihr geschehen war, so mußte er vor den drohenden Sonnenstrahlen fliehen... . Nachhause war es jetzt zu weit, und im Menschendorf kannte er keinen Ort, der ihm dunkel genug erschien,
um ihn tagsüber zu beherbergen. Aber nahe der Stelle, an der er sich befand, direkt am diesseitigen Ufer des Fischbaches, stand ein alter Räucherschuppen, der nicht mehr benutzt wurde, aber nach Tyrads Wissen noch heil und vor allem mit Pech abgedichtet, und für das Sonnenlicht gänzlich verschlossen war.
Dorthin eilte Tyrad, und der kleine Hund lief ihm voran. Von der Tür des Schuppens aus hatte er einen guten Blick über den Fischbach, auf den östlichen Eingang des Dorfes, aber die Sicht wurde, mit dem Fortschreiten der Morgendämmerung immer schlechter für den jungen Thusser! Er wollte sich gerade in das Innere des kleinen Holzbaues zurückziehen, als er einen kleinen Trupp von Menschen aus dem Dorf kommen sah.
 
Das Lied des Elbenkönigs in der Mittsommernacht II.

Tyrad strengte seine Augen an, und gewahrte zwei Männer in Priesterkleidung, die voranschritten, und zwei Bewaffnete, die eine weitere Gestalt hinter sich herzogen ... .

Mit Entsetzen stellte Tyrad fest, daß es sich dabei um Feja handelte!
Diese fremden Männer taten seiner Schwester Gewalt an! Tyrad wollte losstürzen, und ihr Zuhilfe eilen, da erhellte sich der Himmel, das Morgenrot färbte den Horizont, und der erste Sonnenstrahl drohte
durchzubrechen. Verzweifelt suchte Tyrad Schutz im Räucher-
schuppen. Er zog den kleinen Hund hinter sich her, verschloß die Tür und warf sich, mit Tränen in den Augen, auf den kahlen Boden.
Aus der Ferne hörte Tyrad den schrecklichen Schrei seiner Schwester, als der erste Sonnenstrahl die Unglückliche traf.

Reglos vor Trauer, Wut und Verzweiflung, kauerte der Thusser am Boden der Hütte, kurz darauf hörte er von draußen noch wütende Schreie, dann Anzeichen von Kampf. Dann sank er, getrieben vom ohnmächtigen Schmerz, in sich zusammen.

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Gleich zu Beginn der Abenddämmerung erwachte Tyrad, weil ihm Wusel, leise jaulend das Gesicht abschleckte.
Tyrad sprang wütend auf, beherrscht von Rachegedanken. Trotzdem öffnete er behutsam sie Tür, und stellte fest, daß die Dämmerung draußen ausreichend weit fortgeschritten war. Er trat hinaus, und nahm sofort eine Gruppe von Männern wahr, die, vom Dorf kommend, den Fischbach an einer Furt überquerten. Sie führten ein Pferd mit einem Wagen mit sich. Tyrad besann sich nicht lange. Weil er keine andere Waffe, außer einem Thusser – Dolch dabei hatte,
nahm er den in die eine Hand, griff mit der anderen einen dicken Knüppel, der auf dem Boden herumlag und stürzte mit einem lauten Thusser – Kampfschrei zum Fischbach!
Die Menschen hatten mit ihrem Gespann gerade das Ufer erreicht. Tyrad nahm wahr, daß der Bauer Thorben und sein Sohn Jan die Gruppe anführten. Alle Männer sahen sehr unglücklich aus.

,,Halte ein, junger Hügelmann!“, hob der alte Thorben seine Stimme, ,,Du weißt, daß unsere Völker lange befreundet sind, und wir kommen in Frieden, um Deine Schwester heimzubringen! – Wir alle bedauern
zutiefst was geschehen ist, aber wir haben die Verbrecher schon zur Verantwortung gezogen!“
,,Ich trauere um Feja, so wie du – nicht wie ein Bruder, sondern wie ein Geliebter!“, ergriff Jan das Wort, ,,Und ich sage Dir, Tyrad, kein Bewohner des Dorfes hat ihren Tod verschuldet!“.
Die Wut des Thussers wich mit einem Schlage von ihm, und er ließ die Waffen sinken. Thorben führte ihn um das Gespann herum, und zog das wollene Tuch zurück, das die Ladefläche bedeckte. Er gewahrte seine Schwester, die bleich und kalt, zu Stein geworden, vor ihm lag.
Zu ihren Füßen hatten die Dorfbewohner die Leichen ihrer Mörder, der zwei Priester und der beiden Bewaffneten, gelegt.

Tyrad drehte sich um und ging wortlos ein paar Schritte vom Karren weg. Jan trat zu ihm sprach: ,,Wir mußten es selbst tun, es ist besser so! Niemals sollte ein Hügelmann den Tod eines Menschen verursachen, und niemals umgekehrt!“. Dann erzählte er, was geschehen war: Jan und Feja hatten sich in der letzten Nacht am Fischbach getroffen, und Feja war mit ihm in das Dorf gegangen.
Sie hatten sich auf dem Anger aufgehalten, und Jan wollte das Thusser – Mädchen gerade aus dem Dorf geleiten, da wurden sie von den Priestern entdeckt. ,,Es handelt sich um zwei Missionare, die vor ein paar Tagen hier ankamen, um zu predigen und zu taufen!“ erzählte Jan, ,,Sie haben viel über das Hügelvolk geschimpft, und sie wollten uns den Umgang mit Euch verbieten!“.
Jedenfalls hatten sie Feja sofort als ,,Trollweib“ erkannt, sie wetterten und drohten, behaupteten wieder einmal, daß ,,Trolle“ böse seien, und sie riefen ihre Bewaffneten. Da wurde das halbe Dorf geweckt, viele stellten sich gegen die Priester und ihre Wachen.
,,Nun war es aber zu spät für Feja, um noch rechtzeitig heimzugelangen! Da hatte mein Vater Thorben den Gedanken, daß Feja im ausgetrockneten Schacht des alten Dorfbrunnens sicher vor dem Sonnenlicht wäre, wenn wir einen Hölzernen Deckel darüber legten!“ berichtete Jan, ,,Und weil Feja das Angebot dankbar angenommen hatte, brachten wir sie dort wie geplant unter!“. Jan senkte traurig den Kopf: ,,Ich mache mir große Vorwürfe, daß es den Bewaffneten gelungen war, die Wache, die wir am Brunnen aufgestellt hatten, zu überwältigen! – Den Rest kennst du !“.

Damit endete Jan’ s Bericht, und nachdem die Leichen wieder zugedeckt worden waren, zogen die Männer hügelaufwärts, in die Nacht hinein, der Heimat der Thusser entgegen.


Als die Gruppe mit dem Pferdegespann die Hügel erreichte, kam ihnen ein großer Trupp Thusser, die Hügel herab, entgegen. Es war ein Suchtrupp, unter Jork’s Führung.
Tyrad berichtete kurz seinem Vater, was geschehen war. Jork ließ sich seinen Schmerz vor den Menschen nicht anmerken. Würdevoll bedankte er sich bei Jan, Thorben und den anderen Männern, und bat sie, nachhause zurückzukehren. Die Thusser machten sich auf den Weg, zurück in die Hügel.

Es war nicht mehr weit, und bald erreichte der traurige Zug die Siedlung des Hügelvolks.
Feja wurde auf dem Ratsplatz aufgebahrt, Gydris hatte sich über ihre versteinerte Tochter geworfen, und sie mit ihren heißen Tränen benetzt. Jork schickte einen Thusser zu Bolgorm, dem Weisen, der kurze Zeit danach eintraf.
Mit wehendem, weißen Mantel schritt er auf Feja zu. Sein weißer Bart schimmerte im Licht der Sterne. Er stellte sich vor die Bahre, legte den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel hinein. Dann griff er in seine Gürteltasche und entnahm ihr einen Beutel. Aus dem Beutel verstreute er ein wenig helles Pulver in der Luft, das wie leuchtender Schnee zu boden fiel.
,,Jork, ältester dieser Sippe“, begann Bolgorm, ,,übelmeinende Menschen haben deiner Tochter schlimmes angetan, und die Götter haben es nicht verhindert! – Aber sie haben es auch nicht gewollt! Soeben befragte ich sie. Es gibt eine Möglichkeit, deine Tochter ins Leben zurückzurufen! Es gilt einen ganz besonderen Zauber zu vollbringen, und die Zeit dafür ist günstig: solch ein Zauber gedeiht am besten in der Mittsommernacht, wenn beim Fest der Thusser das Lied des Elbenkönigs gespielt wird. Durchführen muß ich ihn, weil ich allein nur ihn beherrsche. Aber es muß ein Mann oder eine Frau von Feja’s Blute sein, der die Dinge, die es dafür braucht, herstellt oder holt!“.
,,Also meine Frau, mein Sohn oder ich!“, stellte Jork fest, der neben Gydris und Tyrad, am Kopfende seiner Tochter stand.
,,Es bedarf dreier Gegenstände, die im Feuer gemacht wurden!“ fuhr
Bolgorm fort, ,,Und sie dürfen nicht älter als drei Tage sein!“.
,,Ich habe in der letzten Nacht drei Schwerter geschmiedet!“ rief Tyrad aufgeregt. Der weise Bolgorm wandte sich ruhig an ihn:
,,Gut, junger Tyrad, dann wirst du die Aufgaben erfüllen müssen!
Du mußt hinabsteigen zum Fjord, das ist ein weiter Weg, und du mußt eine Meerfrau dazu bewegen, dir von der tiefsten Stelle des drei Flaschen Wasser heraufzubringen! Dann mußt du in den großen Wald, jenseits der Hügel, und einen Baumelb dazu bewegen, dir drei Handvoll von dem Erdreich zu überlassen, in das er gerade seine Wurzeln schlägt! Schließlich mußt du das Ellefolk aufsuchen, im Ellemoor, diesseits des großen Waldes, und von ihnen drei Stücke gefrorene Luft mitbringen.
Mit alledem mußt du in der Mittsommernacht, vor Mitternacht, wieder hier sein. Sollte dir das nicht gelingen, oder fehlte nur eines der nötigen Dinge, die ich dir genannt habe, so wäre es um deine Schwester geschehen, und sie müßte auf ewig ein kalter Stein bleiben!“. Damit endete Bolgorm. Anschließend reichte er Tyrad einen funkelnden Diamantenring,, einen fußlangen, angespitzten Eibenstab, und einen großen Holzring, der mit sechs Saiten, wie eine Laute, versehen war. Zu jedem der Gegenstände gab Bolgorm dem jungen Thusser ein paar Erläuterungen und Hinweise, und er fügte noch wichtige Ratschläge, für die Wanderung hinzu.
,,Nun mache dich auf den Weg, Tyrad! Die Zeit verrinnt, wie der Sand durch das Stundenglas!“ damit zog Bolgorm sich zurück, und Tyrad beeilte sich, die Flaschen, einen Lederbeutel für die Erde, und einen für die gefrorene Luft, beizubringen. Mit seinem Gepäck machte er sich dann auf den beschwerlichen Abstieg, hinunter zum Fjord. Gydris, Jork und ein Teil der Sippe begleiteten ihn bis zum Abgrund. Seine Mutter, in größter Sorge, glaubte sie ihr erstes Kind doch bereits verloren, hatte sich weinend an Tyrad geklammert. Wusel sprang kläffend an ihm hoch. Die eine wollte ihn kaum gehen lassen, der andere wollte ihn unbedingt begleiten! Tyrad löste sich kurz von Gydris, bückte sich nach dem Hund, und drückte ihr das Tier, das wenig Einverständnis für seine Handlung zeigte, in die Hand.: ,,Hier, Mutter! Kümmere dich um Wusel, solange ich weg bin!“, dann nahm er schnell sein Gepäck auf und begann hastig, den schmalen Pfad hinabzusteigen.
Da erschien, plötzlich und unvermittelt, von einem Blitzstrahl begleitet, der Weise Bolgorm, oben am Rande des Abgrundes. Er blickte Tyrad mit todernster Mine ins Gesicht: ,,Tyrad! Die Götter sprachen vor diesem Augenblick zu mir! Es droht Dir schrecklichste Gefahr! Dein Weg wird sich mit dem des Fenriswolfes kreuzen! Gib acht! Und vergiß die Worte, die ich Dir vorhin sagte, nicht!“
Damit verschwand der Weise, und eher verwundert als verängstigt, stieg Tyrad weiter hinunter. Sicher hatte er von dem schrecklichen Fenriswolf, auch Fenrir genannt, gehört! Aber nach seinem Wissen hatten die Götter ihn doch in Gewahrsam genommen, und es hieß, sie hielten ihn in Asgard fest!
In Wahrheit war der Fenriswolf den Göttern entkommen, indem es ihm gelungen war, die zweite Fessel, die sie ihm anzulegen versucht hatten, zu sprengen.
Tyrad konnte das nicht wissen, und er mochte sich nicht mit den Geschichten um den Fenriswolf beschäftigen. Beim Abstieg dachte er nur an seine Schwester Feja, und daran, daß es es zu einem großen Teil an ihm liegen würde, ob sie gerettet werden konnte!
 
Das Lied des Elbenkönigs in der Mittsommernacht III.


Er kämpfte sich durch Brombeersträucher und Farndickicht, stolperte in einem knöchelhohen Moltebeergestrüpp, und glitt einen rutschigen Abhang hinab: Es gelang ihm gerade noch, mit den Händen den Stamm einer Thors – Eiche zu umfassen, um den Sturz aufzuhalten, aber die scharfen Blattränder schnitten ihm in’s Gesicht. Gerade versuchte Tyrad, sich wieder aufzurappeln, als er aus nächster Nähe einen knurrenden Laut hörte:
,Der Fenriswolf,‘ dachte er noch, als sich das vermeintliche Ungetüm auf ihn stürzte..
Tyrad wehrte sich, und brüllte: ,,Wusel, du dummer Hund, was soll das?“. Schnell hatte er den kleinen Hund, der sich von Gydris befreit hatte, und ihm nachgelaufen war, erkannt.
Wusel freute sich unbändig darüber, Tyrad gefunden zu haben, und versuchte, ihn abzuschlecken.. Verärgert stand Tyrad auf: ,,Du hast mich sehr erschreckt, du frecher Hund! ” Er nahm sein heruntergefallenes Reisegepäck vom Boden auf, und stapfte ein Stück auf einer Ebne geradeaus, nicht ohne daß er über die Schulter zurückrief: ,,Und ich rate dir, kehre schleunigst um! Das hier ist nichts für kleine Hunde!“.
Aber Wusel scherte sich nicht um die unfreundlichen Worte seines Herren. er folgte ihm und lief, mal vor, mal hinter mal neben ihm, den Pfad hinunter zum Fjord.

Bald danach gewahrte Tyrad unter sich – er befand sich auf einem kleinen Felsvorsprung – eine Wasserfläche.
Er ruhte sich für einen Moment aus, Wusel kuschelte sich an ihn, dann stieß der kleine Hund einen leisen Heullaut aus. Tyrad, der seine Augen für einen Moment geschlossen hatte, blickte hinunter, und sah im Licht der Sterne an der glänzenden Oberfläche des Fjords, eine Meerfrau schwimmen.
Jene Meerfrau, die du als erste siehst, wird diejenige sein, die dir weiterhelfen kann!‘, erinnerte sich Tyrad an Bolgorms Worte.
Gemeinsam mit dem kleinen Hund lief er den Rest des Weges, zum Ufer des Fjordes hinunter. Dabei hörte er ein liebliches Lied., das ihn beinahe den eigentlichen Grund seines Hierseins, hätte vergessen lassen.
Als Tyrad das Ufer erreichte, hatte die Meerfrau das Wasser verlassen. Sie saß auf einem Felsblock, der nahe dem Ufer aus dem Wasser ragte, betrachtete sich in einem Handspiegel und kämmte dabei ihr goldblondes, lang über die Schultern wallendes Haar. Dabei sang sie so wunderschön, daß der Thusser am liebsten noch ein wenig zugehört hätte. Aber er wußte, wie knapp seine Zeit bemessen war, also sprach er die Meerfrau an, wie Bolgorm es ihm geraten hatte:
,,Tyrad vom Volk der Thusser grüßt die schönste aller Meerfrauen!“.
Sie wandte sich zu ihm um und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
,,Das hast du hübsch gesagt,“ antwortete sie, ,,willst du nicht zu mir kommen? Ich kann auch die Gestalt einer Thusser – Frau annehmen, dann könnten wir beiden in meinem Wasserpalast viel Spaß zusammen haben!“. Tyrad entgegnete höflich, daß er ihr Angebot nur gerne annehmen würde, daß er aber in einer wichtigen Mission unterwegs sei. Er erzählte, was geschehen war, und weshalb er die Meerfrau aufgesucht hatte. Dann zog er, ehe sie antworten konnte den Diamantring aus seinem Beutel und hielt ihn hoch: ,,Hier habe ich
etwas, was dich in deiner Schönheit noch schöner machen könnte!“
Von Bolgorm wußte Tyrad, wie versessen Meerfrauen auf glänzenden Schmuck waren, und daß sie Truhen voll davon in ihren Meerespalästen horteten, aber nie genug davon bekamen.
Auch diese Meerfrau erwies sich als begierig, den schönen, im Mondlicht glänzenden Ring zu bekommen, so nahm sie gerne die Arbeit auf sich, und füllte die drei Flaschen, mit Wasser von der tiefsten Stelle des Fjordes. Als sie wieder auftauchte, empfing sie den Ring aus Tyrads Hand, und reichte ihm die drei gefüllten Flaschen.
Sie verabschiedete sich und verschwand sofort, überglücklich, in den Wellen des Fjordes. Er rief ihr lachend seinen Dank nach, dann hielt er Ausschau nach Wusel, der am Ufer entlang tollte, und rief ihn. Dann folgte er dem Weg, der am Ufer nach Osten führte, und hielt sich eine Weile am Fjord, bis er weit genug gelangt war, um auf der Höhe des großen Waldes zu sein. Er scheuchte Wusel voran und stieg den Berg hinauf.

Der große Wald begann gleich am Abgrund, so daß Tyrad sich sofort von dichtem Baumbestand umgeben sah. ,,Hm, sprach er halb zu sich, halb zu Wusel, der neugierig auf dem Waldboden herumschnüffelte, ,,Bolgorm hat mir geraten, einen Eichenbaumelb zu suchen! Also muß ich erst einmal Eichen finden!“ dann begann er, dicht gefolgt von Wusel, den Wald zu durchstreifen. Er fand etliche Eichbäume, sprach sie dann jeweils höflich an, wie Bolgorm es ihm erklärt hatte. Bisher hatte er aber noch keine Antwort erhalten.
Wusel lief jetzt vor und führte Tyrad zu einer Lichtung, in deren Mitte eine einzelne, knorrige und uralte Eiche stand. Wusel schnüffelte an ihrem rauhen Stamm, und zuckte erschrocken zurück, als der Baum ihn anherrschte: ,,Was erlaubst du dir, du nichtsnutzes Hundevieh? Am Ende wirst du noch dein Bein heben!“
Tyrad mußte lachen. ,,Sei ihm nicht böse, Herr Baumelb! Wusel wollte mir doch nur bei der Suche nach dir helfen!“
,,Was?“ schnarrte der Baumelb unfreundlich, ,,Warum sollte mich einer suchen?“.
Tyrad erzählte dem knorrigen Gesellen, was ihn hierher geführt hatte. Der Baumelb hörte sich die Geschichte schweigend an, antwortete dann aber trotzig: ,,Nein, nein! Das gibt es nicht! Drei Handvoll Erde
von der, in der ich wurzele! Dann müßte ich mich ja bewegen!“.
Eine Weile versuchte es Tyrad noch mit Überredung, der Baumelb aber stellte sich stur. Dann seufzte der Thusser und holte den angespitzten Eibenholzstab aus dem Gepäck. Er sah den wenig hilfsbereiten Burschen an und meinte: ,,Gut, dann hilft nur rohe Gewalt!“
,Sollte der Baumelb dir seine Hilfe verweigern,‘ so hatte Bolgorm ihm geraten, ,,dann nimm‘ den Eibenstab und berühre damit seine Rinde!
Nichts haßt ein Eichenbaumelb so sehr wie das Holz der Eibe. Bleibe beharrlich, dann wird er die Erde, in der er wächst, schon frei geben!‘.
Das befolgte Tyrad jetzt und trat nahe zu ihm hin.
,,Was wird das denn jetzt?“ knarrte er, und Tyrad berührte mit dem spitzen Eibenholz die rissige Rinde.

,,Hihihi! Neiiiin!“ kreischte der Baumelb in höchsten Tönen, ,,Das kitzelt!“. Tyrad drang weiter mit dem Stab auf ihn ein, und der sture Geselle schüttelte sich vor Lachen.
Ein drittes Mal ging Tyrad mit dem Eibenstock auf ihn los, bedeckte dieses Mal eine große Fläche des Stammes mit kleinen, kitzelnden Stichen. Da schüttelte sich der Elb noch einmal ganz heftig, kreischte laut und machte einen gewaltigen Satz zur Seite.

Tyrad lachte triumphierend auf, und sammelte schnell drei Hände voll Erde an der Stelle ein, wo der Baumelb seine Wurzeln ins Erdreich geschlagen hatte. Der stand abseits, grummelte und schimpfte fürchterlich, getraute sich aber ganz offensichtlich nicht, dem eibenstabbewehrten Tyrad zu nahe zu kommen.
Der beendete seine Arbeit, lachte dem wütenden Elben einen Gruß zu, und rief nach Wusel, der sich die ganze Zeit über in sicherer Entfernung von dem ungastlichen Wesen aufgehalten hatte. Dann hievte Tyrad sich das Gepäck auf den Rücken, und sie machten sich auf den Weg.


Tyrad und sein Hund Wusel durchquerten den Wald, auf dem Pfad durch das Dickicht, der sie nach Westen, in Richtung des Ellemoors führen würde. Wusel war ganz gefangen von den vielen Bäumen. Aber so oft er sich einem näherte, äugte er nach allen Seiten, ob ihn nicht ein aufgebrachter Baumelben erschrecken könnte. Mitternacht war vorüber, und Tyrad verspürte erste Zeichen von Müdigkeit. Auch hatte er den Eindruck, vom Weg abgekommen zu sein. Sie erreichten eine Weggabelung. Tyrad nahm an, daß der linke Weg nach Westen, zum Ellermoor weisen würde, und wollte ihn gerade einschlagen, als er plötzlich das entsetzte Geheul des kleinen Hundes vernahm. Er fuhr herum, und sah, wie etwas, das sich offenbar neben einer Kiefernwurzel im Moos versteckt hatte, von der Größe eines Pilzes, in Windeseile auf die eines drei Fuß großen – ja, was war es? - bärtigen Wesens mit breitem Hut auf dem Kopfe, heranwuchs.
Wusel raste schnell auf Tyrad zu und sprang ihm in die Arme.
,,Meine Güte!“ kicherte der Zwerg, ,,was hat diese Kreatur für schwache Nerven!“.
,,Wer bist du?“ fragte Tyrad ärgerlich, ,,Mußtest du Wusel unbedingt erschrecken?“.
Wieder kicherte der kleine Dicke amüsiert: ,,Hihi! Auf den Namen ,,Wusel“ hört dieses ,,Musterexemplar“ von Hund? – Nun, ich heiße Kallesanstrom, vom Volk der Skogsra, oder ... “, er schniefte geringschätzig, ,,wie die Menschen sagen, der ,,Waldtrolle“! – Aber, “ und er starrte Tyrad herausfordernd an, ,, für dich bin ich ein Skogsra! Klar?“
,,Was habe ich schon mit dir zu schaffen? Meinetwegen bist du ein Skogsra! Ich dachte allerdings, daß Ihr eher in Schweden lebt!“
,,Nun, das ist allerdings richtig, dort ist meine Heimat! Aber ein Auftrag besonderer Art führt mich zu dir, Tyrad der Thusser!“
,,Zu mir?“ fragte er, in höchstem Maße erstaunt. ,,Warum?“.
Kallesanstrom hockte sich lachend auf einen niedrigen Baumstumpf, ,,Natürlich, weil gewisse ,,Hohe Herren“ ein Auge auf dich geworfen haben!“
Der Thusser verstand ihn nicht: ,,Welche ,,Hohen Herren“?“
Der Skogsra lachte lauthals, war aber offensichtlich selbst irritiert: ,,Wie, welche hohen Herren? Natürlich die, deren Ratspruch die Geschicke der Welt lenken! “.
,,Die Götter, meinst du?“ fragte Tyrad erstaunt..
,,Ja, genau die!“ rief der Skogsra, und sah ihn offen an, ,,Im Auftrage Tyr’s bin ich hier! Und im Namen Odin’s, Thor’s und aller Götter!“
,,Und warum?“ fragte Tyrad.

,,Hm“, antwortete Kallesanstrom, ,,Laut einer alten Prophezeiung der Asen, soll ein Thusser, der auf den Namen Tyrad hört, den Göttern eines Tages entscheidend dabei behilflich sein, den Fenriswolf gefangenzunehmen. Darum wurde ich von Schweden herbeordert, um dafür zu sorgen, daß die Prophezeiung eintrifft....“ Er beschäftigte sich einen Augenblick lang mit seinen überlangen Fingernägeln, und setzte hinzu: ,,eine Art Vorsichtsmaßnahme, gegen die Widrigkeiten des Schicksals, gegen die, wie wir wissen, ja auch die Götter machtlos sind!“.
Tyrad wäre beinahe eine Bemerkung wie ,Und warum schicken sie dann gerade einen Wurzelzwerg wie dich?‘ machen, als der Skogsra
scheinbar seine Gedanken erraten hatte und sprach: ,,Und unterschätze meine Fähigkeiten nicht, Tyrad der Thusser! Du selbst bist vielleicht mächtiger als ich, und weißt es nur noch nicht! Aber auch ich habe ein paar durchaus bemerkenswerte Fähigkeiten ... die, mit der ich deinen Wusel – Hund vorhin erschreckt hab, ist nur eine davon!“ Kaum hatte er es ausgesprochen, da war er schon verschwunden, und erschien im gleichen Augenblick wieder hinter Tyrad, der sich erschrocken und erneut verärgert umwandte. Wusel verkroch sich in einem nahegelegenen Gebüsch. ,,Was soll das, du dahergelaufener Skogsra?“, herrschte er ihn an. ,,Oh,“ meinte der, ,,ist der ‘Herr‘ Tyrad noch nicht zufrieden? Ich kann noch etwas besseres!“, und er verschwand wieder vor Tyrads Augen und tauchte im selben Moment auf der anderen Seite, mit einem gewaltigen Krachen und Knallen, wieder auf! Tyrad zuckte zusammen, und Wusel jaulte im Gebüsch. ,,Zufrieden?“ fragte Kallesanstrom mit einem ironischen Grinsen.
,,Laß endlich den Unsinn!“ schimpfte Tyrad, ,,Ich habe keine Zeit! Sage mir lieber endlich, was du genau von mir willst!“
,,Na gut!“ meinte der Skogsra, und spielte ein wenig den Beleidigten, ,,Wenn der ,Herr Tyrad‘ nicht mehr sehen will, dann will ich auch nicht mehr zeigen! Und das beste hebe ich mir für später auf! – Und,“ fuhr er nach einer kleinen Pause fort, ,,was ich von dir will, werde ich dir sagen, junger Thusser! Ich beobachte dich schon eine ganze Weile. Und du warst gerade dabei, den Pfad nach Westen einzuschlagen! Wie mir meine Freunde, die Waldeulen anvertrauten, führt der Weg geradewegs in den Sumpf des Vergessens ! Giftige Dämpfe sollen dort überm Wasser liegen, und jedem, der sie atmet, das Gedächtnis nehmen, egal ob Mensch oder Elb!“.
Tyrad war bleich geworden: ,,Dann danke ich dir, Kallesanstrom, für die Warnung!“
,,Gut, gut!“ antwortete der, jetzt mit einem regelrecht gutmütigen Tonfall, ,,Dann laß mich nun voran gehen, und dir den rechten Weg weisen!“
 
Das Lied des Elbenkönigs in der Mittsommernacht IV.

Wusel hatte sein Versteck inzwischen verlassen, und sich eilends zu Tyrad geflüchtet. Zwar knurrte der kleine Hund zunächst immer noch, wenn ihm der Skogsra zu nahe kam, aber je mehr Tyrad zu dem wundersamen, dicken Männchen Vertrauen faßte, desto mehr verlor auch Wusel seine Angst.
Kallesanstrom ging voran – er hatte einen eigenartig watschelnden Gang, stellte Tyrad amüsiert fest - und schwatzte dabei unaufhörlich über das Abenteuer seiner langen Reise von Schweden hierher.
Mit einem Male, sie waren noch nicht weit gekommen, hielt er inne, Wusel jaulte auf und verschwand wieder in einem Gebüsch. Auch Tyrad erschrak. Von ferne hörten sie ein schauderhaftes langgezogenes Heulen, wie von einem Wolf. Der Ton wurde lauter und kam überraschend schnell näher!
Kallesanstrom fuhr herum: ,,Das ist er! Die Jagd hat begonnen!“, rief er. Krachen war im Wald zu hören, und sie gewahrten Tiere, die vor dem drohenden Unheil flüchteten. Sie hörten Bäume splittern und umstürzen, immer näher heran kam der schrecklich bedrohliche Lärm.
,,Was meinst du mit ,,Das ist er!“,“ überschrie Tyrad laut die immer stärker werdenden Geräusche, ,,Doch nicht etwa Fenrir – der Fenriswolf?“. ,,Na, was wohl!“ brüllte der Skogsra zurück, ,,Ein durchgegangenes Elbenpferd wird es wohl kaum sein!“.
Fenrir schien immer näher zu kommen, sie sahen bereits Bäume umstürzen, Splitter wirbelten durch die Luft. Tyrad wollte gerade hinter einem Baum in Deckung gehen, als der Skogsra ihn anherrschte: ,,Bleibe auf deinem Platz, Thusser, verstell ihm den Weg!“.
Es war blanker Wahnsinn, das wußte er. Der monströse Tier - Dämon würde ihn zertrampeln, oder bei lebendigem Leib fressen, Aber hinter einem Baum war er auch nicht besser aufgehoben ....... . Tyrad tat, wie ihm geheißen. Er trat auf den Weg. Stämme flogen, Holz splitterte, Waldboden stob empor! Dann sah er den Fenriswolf, wie er durch den Wald jagte. Mit den mächtigen Schultern seiner Vorderbeine stieß er einfach alles zur Seite, was links oder rechts im Wege war. Er war dreimal so groß wie die Wohnhöhle, in der Tyrad mit seiner Familie wohnte. ,Familie?‘ es durchfuhr ihn heiß. Wenn dieses Ungetüm ihn jetzt töten würde – dann wäre Feja für immer verloren! ,,Das darf nicht sein!“ brüllte er, warf all sein Gepäck an den Wegrand und hob die Fäuste, schrie dem Fenriswolf entgegen, er solle ja stehen bleiben! Aber er erkannte schnell, daß ihm das nichts helfen würde, er sah den Wolf kommen und sein eigenes Ende nahen. Tyrad ließ die Fäuste sinken, er blickte zu Boden. Es war aus.

Da sprang der kleine, dicke Skogsra in den Weg, unmittelbar, bevor Fenrir den Thusser erreicht hatte. Und so wie er vor kurzem aus dem Wurzelwerk zu seiner Zwergengröße emporgewachsen war, so fuhr er jetzt auf und stand dem Dämon als riesenhafter Skogsra im Weg!
Der Fenriswolf scheute und blieb stehen. Tyrad konnte seine Gestalt jetzt gut erkennen, ja, er spürte sogar die Hitze der feurigen Flammen, die aus Fenrirs blutrotem Maule züngelten. Seine gelben Augen blitzten vor Wut. Aber er wagte keinen Schritt vorwärts, so sehr hatte ihn der Anblick des ,Riesen‘ erschreckt.
Vielleicht hätte er sich sogar zurückgezogen. Darauf hatte Tyrad gehofft. Aber die Kraft des Skogsra, eine solche Körpergröße einzunehmen, reichte nicht allzu lange. Kallesanstrom . schrumpfte schnell danach auf sein normales Maß zurück. Die Lefzen des Dämon’s verzogen sich, wie zu einem hämischen Grinsen, dann setzte er zum Sprung an.
Tyrad sprang vor, riß den kleinen Skogsra, der erschöpft am Boden hockte, zur Seite, und stand gleich darauf dem Ungetüm Aug‘ in Auge gegenüber. Es stieß ein unerhört drohendes Knurren aus und bewegte sich, langsam und siegessicher, auf den Thusser zu.

Von weitem waren Geräusche zu hören, mächtige Stimmen klangen auf im Wald. Für die Dauer eines Atemzuges horchte der Fenriswolf auf, dann begann er, sein gieriges Maul nach Tyrad auszustrecken.

Ein kläffendes Bellen war zu hören, als Wusel aus dem Gebüsch schoß, um Tyrad zu Hilfe zu eilen.
Der Dämon blieb erneut, verblüfft stehen. Wusel bellte und knurrte, sprang vor dem Ungeheuer hin und her. Das erholte sich aber schnell von der Überraschung, und hob eine der mächtigen Pfoten, um den kleinen Widersacher zu zertreten.

Da waren die Stimmen heran.
Tyrad erschauerte. Solch große Wesen hatte er noch nie gesehen. Ein besonders Großgewachsener, mit Helm und Plattenrüsung, stellte sich schnell zwischen Tyrad und dem Ungetüm.
,,Halte ein, Fenrir, Sohn des Gottes Loki und der Riesin Angrboda, halte ein und gib auf!“ rief der gerüstete Mann.
Ein Hohngelächter war die Antwort, und mit tiefer, donnernder Stimme, antwortete der Fenriswolf: ,,Ha, Tyr! Gott des Krieges! Warum sollte ich das? Ihr Asen seid mir nicht gewachsen, das weiß ich! Schon zweimal habe ich es geschafft, euren Fesseln zu entkommen! Ich bin euch überlegen!“.
,,Jaja,“ beeilte sich Tyr zu sagen, ,,sicher bist du das!“, während Tyrad den kleinen Hund nahm, und mit ihm schnell zu Kallesanstrom schlich, der benommen am Wegesrand hockte. Tyr fuhr fort: ,,Aber ich möchte, daß du wieder nachhause kommst!“
,,Hm,“ brummte Fenrir, ,,damit ihr mir wieder eine Kette anlegt?“

,,Nicht doch, Fenrir!“ und er zog ein schmales Bändchen aus dem Gürtel, ,,Deine Kraft hat jedes Eisen zerstört. wir haben hier ein zartes Seidenband, das könnte Dich niemals halten!“.

Kallesanstrom war inzwischen zu sich gekommen. Tyrad half ihm, sich aufzurichten. ,,Das ist die Kette Gleipnir, sie wurde von den Zwergen aus Schwarzelbenheim gefertigt. Sie sieht zwar aus wie ein dünnes Stückchen Stoff, gilt aber als unzerreißbar!“ flüsterte der Skogsra, ,,Und siehst du, was die anderen Götter da hinter ihren Rücken verbergen? Sie halten die Kette Gelgja, die ebenfalls von den Zwergen geschmiedet wurde, und die auch unzerstörbar ist.“ Dann wies er auf Tyr und Fenrir: ,,Sieh, was geschieht!“.

,,Tyr!“ donnerte die Stimme des Fenriswolfes gerade, ,,Du willst mich überlisten! Aber das soll dir diesmal nicht gelingen!“, dann schnappte er nach dem Gott. Tyr sprang zur Seite und versuchte, dem Untier das Band überzustreifen. Dabei glitt er aus und krachte donnernd auf den Waldboden. Der Wolfsdämon ließ ein schauriges, Geheul hören, und machte Anstalten, sich auf ihn zu stürzen. Am Boden liegend reckte Tyr den Arm hoch, und streckte Daumen, Zeige- und Mittelfinger seiner Hand empor. Er deutete damit auf den heranstürmenden Fenriswolf, und bewegte die Hand ein wenig im Kreis, dabei schloß er die drei Finger und bildete eine Faust. Fenrir hielt im Sprung inne, heulte auf, und wurde von der unsichtbaren Kraft des Gottes Zuboden geworfen!
Tyr winkte die anderen Götter heran, die Gelgja, die Kette, bereithielten; er selbst versuchte, dem Wolfsdämon das Band Gleipnir überzustreifen. ,,Halt ein, Tyr! Mächtiger Gott!“ winselte Fenrir. ,,Du hast mich besiegt!“.
,,Also läßt du dir die Fessel anlegen?“ fragte der Gott.
Der Dämon in Wolfsgestalt japste. ,,Nein, lieber sterbe ich!“ ,,Ich kann dich nicht töten!“ entgegnete Tyr düster, aufmunternd fügte er dann hinzu: ,,Sieh, Fenrir! Dies kleine Bändchen kann doch solch einen großen Kerl wie Dich nicht halten! Probiere es einfach einmal, du
wirst sehen, wie leicht du es zerreißen kannst!“.
Zögernd ließ sich der Fenriswolf darauf ein, gebot aber Tyr, die Schwerthand in sein Maul zu legen, als Pfand für Fenrirs Freiheit.

Tyr folgte seinem Willen, und die anderen Götter brachten Gelgja herbei, um das Untier an die Kette zu legen. Da bäumte sich Fenrir auf, er versuchte, Gleipnir zu sprengen. Als er sah, daß es mißlang, biß er zu, und Tyr verlor seine Hand.
Während Tyr sich schmerzerfüllt am Boden wand, stellte sich Fenrir zähnefletschend gegen die übrigen Götter.

,,Tyrad, wende den Griff Tyr’s an, du kannst es, das wissen wir!“ rief einer der Götter.

,,Was ich?“ fragte Tyrad erstaunt. ,,Nein, niemals!“.
,,Geh schon!“ fuhr ihn Kallesanstrom an, ,,Nach einer Prophezeiung wird Tyrad der Thusser, der Tyrs Gabe in sich trägt, den Fenriswolf überwinden!“. Er schubste Tyrad aus dem Gebüsch: ,,Tu einfach, was du bei Tyr gesehen hast und stell‘ dir vor, du bis stark genug, um Fenrir mit bloßen Händen umzuwerfen!“.

Tyrad trat auf den Weg. besah zweifelnd seine rechte Hand, während die Götter zur Seite traten. Dann hob der Thusser den Arm, und der Fenriswolf wollte sich mit gewaltigem Knurren auf ihn stürzen. Tyrad stellte sich vor, er würde das Untier mit der Hand packen und niederschmettern, er konzentrierte sich vollkommen auf diesen Gedanken. Dabei machte er die selbe Geste, die er vorhin bei Tyr beobachtet hatte. Fenrir war beinahe heran, da wurde er, wie von unsichtbaren Händen in die Luft gehoben, und mit einem gewaltigen Krachen nieder gestürzt! Jaulend lag er am Boden. Tyrad gelang es, ihn mit dem unsichtbaren Griff weiter an der Erde zu halten. Die Götter sprangen auf den Fenriswolf zu und legten ihm schnell die Kette an. Tyrad ließ ihn los, und einige der Götter führten ihn, ihn mit Schwertern und langen Spießen antreibend, fort.

Ein paar andere hatten sich um den verletzten Tyr gekümmert, der jetzt, mit verbundenem Armstumpf vor Tyrad stand. Tyr lächelte freundlich auf ihn herunter, und sprach: ,,Nun, Tyrad! Ich bedauere es nicht, Dir diese Gabe heimlich in die Wiege gelegt zu haben! Wie wir sahen, war es eine gute Entscheidung! – Nun, da du sie kennst: wende sie klug und nur für gute Zwecke an! Jetzt habe Dank und lebe Wohl!“ Damit wandten sich Tyr und die anderen ab, und folgten denen, die bereits mit Fenrir aufgebrochen waren.

Tyrad blickte ihnen kopfschüttelnd nach, und starrte auf seine Hand: ,,Ich glaube es nicht ....!“.
Da kam Kallesanstrom aus dem Gebüsch und lachte: ,,Was soll das, Thusser, das ist auch nur eine Fähigkeit wie jede andere! – So, jetzt mache ich mich wieder auf den Heimweg!“.
,,Ja, aber beschreibe mir zunächst den Weg zum Ellemoor!“ meinte Tyrad.
,,Ooch, das ist ganz einfach,“ antwortete der Skogsra, ,,da gehst du einfach auf dem Weg zurück, bis zu der Kreuzung, an der wir rechts abgebogen sind, und hältst dich nur geradeaus, dann bist du auf dem rechten Wege!“
,,Aber da geht es doch in den Sumpf des Vergessens!“ rief Tyrad.
,,Na...,“ erwiderte Kallesanstrom zögernd, ,, ... das ... ja,“ dann grinste er breit, ,,das war nur eine kleine Notlüge, damit ich dich in Fenrirs Richtung locken kann!“.

,,Du niederträchtiger, kleiner, widerwärtiger, verlogener ....“, rief Tyrad, und wollte Kallesanstrom packen. Der wich kichernd zur Seite aus und rief:
,,Sei mir nicht böse, Tyrad der Thusser! Aber ich verschwinde jetzt besser!“ und kichernd fuhr er in sich zusammen, bis er nicht mehr zu sehen war.

Tyrad seufzte. ,, Nun gut, wie dem auch sei ... wir müssen uns beeilen, Wusel! .... Wusel?“ er sah sich nach dem kleinen Hund um, ,, ...Wusel, wo steckst du?“. Da kam das kleine Pelzknäuel wohlbehalten aus dem Gebüsch gesprungen, und lief bellend um Tyrad herum..
Er nahm sein Gepäck wieder auf, scheuchte Wusel auf den Weg, und begab sich, zu Beginn der Morgendämmerung, auf den Weg zum Ellemoor.
Sie brauchten nicht lange, bis sie den Wald hinter sich gelassen hatten. Nicht weit entfernt, Richtung Osten, konnte Tyrad bereits das Ellemoor sehen. Der Weg dorthin führte durch eine magere, mit wenig Baumbestand gesegnete Heide. Je näher sie dem Ellemoor kamen, desto deutlicher konnte Tyrad einen Glanz erkennen, der über dem Moor lag – und um so klaren vernahm er das wunderbare Singen von allerlieblichsten Stimmen. Die Thusser waren allesamt auch sehr gute Sängerinnen und Sänger, aber was er da hörte, stellte den schönsten Gesang des Hügelvolkes in den Schatten. Begeistert rannte Wusel dem Gesang nach, so daß Tyrad sich beeilen mußte, ihm zu folgen. Und besorgt rief er ihm nach: ,,Wusel, paß auf! Das Moor kann gefährlich sein!“. Da sah er, über einer größeren Wasserfläche, mitten im Moor, ein wundersames Schauspiel: eine Menge Ellefolk schwebte, als sanft schimmernde Lichtgestalten, über dem Wasser.,
und sie sangen dazu auf das schönste, Lichtelbenlieder, die Tyrad nicht kannte. Er stand still und verharrte, um dem Ellefolk zuzuhören, da hörte er vor sich ein kurzes Kläffen und ein lautes ,,Platsch“. Dann sah er Wusel, fröhlich paddelnd, durch den See, auf das Ellefolk zu schwimmen.
,,Wusel, du dummes Tier!“ rief Tyrad, und warf sein Gepäck auf den Boden, ,,Komm sofort zurück, du störst!“. Aber da war es schon zu spät. Die Stimmen brachen ab, die Lichtgestalten verschwanden, und einen winzigen Augenblick darauf standen die Elben am Ufer des Moorsee’s, Tyrad gegenüber.
Sie hatten allesamt wunderschöne Gestalten, Männer wie Frauen, und Tyrad schaute sie bewundernd und ehrfurchtsvoll an. Einer der Lichtelben trat einen Schritt vor und sah Tyrad scharf an. Dann fragte er, mit strenger aber glockenklarer Stimme: ,,Wer bist du, daß du es wagst, uns bei unserem Tanz und dem Gesang zu stören?“
,,Nun, äh....“ stammelte Tyrad verlegen, ,,ich bin Tyrad vom Volk der Thusser!“ Schnell wollte er noch hinzufügen, was ihn zum Ellemoor führte, als der Ellefolk – Mann plötzlich strahlend lächelte, und ihn dann unterbrach: ,,Tyrad bist du? du meinst Tyrad der Held? Der Bezwinger des Fenriswolfes?“
,,Ach.,....“, der junge Thusser errötete und blickte zu Boden, ,,das ... ja, .... .“
,,Na, ich jedenfalls bin Sigian, Oberhaupt des Ellefolk’s, und ich bin froh, dich bei uns begrüßen zu können!“. Damit trat Sigian vor und schüttelte herzlich Tyrad’s Hand. Der lächelte verlegen, und fühlte sich insgeheim stolz und überglücklich. Die übrigen Ellefolk – Männer und – Frauen taten laut ihren Beifall kund, und sie umringten ihn in Windeseile. ,,Wie konntet ihr das nur so schnell erfahren?“ fragte Tyrad, wie benommen. ,,Vor kurzer Zeit war ein kleiner, dicker Skogsra hier!“, antwortete Sigian. ,,Eine Person von äußerst schlechtem Benehmen! Aber er berichtete uns glaubhaft von deiner Tat, und er bat uns, dir Hilfe zu leisten, wenn du uns darum bittest!“.
 
Das Lied des Elbenkönigs in der Mittsommernacht V.

,,Oh, was für ein entzückender Hund!“ rief eine wunderschöne, groß gewachsene Ellefolkfrau aus, deren lichtblaues Kleid in der fortschreitenden Dämmerung schimmerte. Tyrad sah auf und erblickte den triefenden Wusel, der gerade wieder dem Wasser entstiegen war, und auf sie zugelaufen kam.
,,Oh, darf ich dich mit meiner Gemahlin, Sandrigga, bekannt machen....“, sprach Sigian, und wies auf seine Frau, aber die hatte nur Augen für den kleinen, völlig durchnäßten Hund, der dann auch ganz zielstrebig auf sie zugelaufen kam. Sandrigga beugte sich nieder und jauchzte, als er bei ihr angekommen war, und ihr in die Arme sprang. Sie erhob sich und ließ das Tier sich an sie schmiegen. Ganz augenscheinlich machte ihr der durchnäßte Zustand Wusels überhaupt nichts aus.

,,Hm,“ Sigian, nun seinerseits verlegen, zuckte schließlich die Achseln, ,,ja, wie gesagt, wir würden dir nur zu gerne helfen!“
Da berichtete Tyrad, was geschehen war. Sigian und die anderen Angehörigen des Ellefolkes hörten aufmerksam zu, während sich Sandrigga, Wusel auf dem Arm, mit dem Hund beschäftigte.

,,Nun,“ brachte Sigian die Schilderungen des Thussers auf den Punkt,
,,du benötigst also drei Stücke gefrorener Luft von uns!“.
,,Ja,“ antworteteTyrad, ,,alle anderen Gegenstände, die Bolgorm für den Zauber benötigt, habe ich!“.

,,Nichts ist für das Ellefolk einfacher, als Luft gefrieren zu lassen!“, antwortete Sigian, ,,Aber sage mir, wie willst du die Stücke zu Bolgorm bringen?“.
,,Nun, dafür habe ich einen Lederbeutel aus Kuhhaut mitbekommen!“, sagte Tyrad.
Sigian verzog das Gesicht: ,,Das wird nicht reichen,“ entgegnete er, und wies dann einige des Ellefolkes an, sich um die Erstellung eines, aus warmer Luft gewebten Kästchens zu bemühen. ,,In diesem Kästchen,“ wandte er sich an den Thusser, ,,kannst du die gefrorene Luft völlig sicher bis nachhause bringen. Die dafür ausersehenen Elben begaben sich an die Arbeit.

,,Und wie laßt ihr die Luft gefrieren?“ fragte Tyrad Sigian.
,,Oh,“ erklärte Sigian mit einer weit ausholenden Geste, ,,das ist ganz einfach!“, er ging mit Tyrad ein Stück am Ufer des Moorsees entlang, und fuhr fort: ,,Dafür hat das Ellefolk ein bestimmtes Lied, das zu einem besonderen Ritus gesungen werden muß. Und – zack – ganz schnell, haben wir die benötigte Menge an gefrorener Luft!“. Er lachte und setzte hinzu: ,,Darin ist das Ellefolk, als Volk der Lichtelben, den Thussern ein bißchen voraus! Dafür beherrscht ihr aber Dinge, von denen wir wenig ahnen! Wie zum Beispiel die Bearbeitung von Metall, das Herstellen von Werkzeug, Bildern, Skulpturen, und so weiter!“.
Er führte Tyrad zu einem Ellefolk – Mann, der sich die meiste zeit abseits gehalten hatte. Auch war er Tyrad aufgefallen, weil er ein wenig kleiner war als die anderen, längere Haare trug und von beleibtem Äußeren war. ,,Dies ist Gild Ohorn, einer der besten unserer Skalden! Ich denke, daß wir i h n bitten werden, das Lied des Luftgefrierens darzubringen!“.

Sigian rief den größten Teil des Ellefolkes, das sich nicht mit dem Herstellen des Luftkästleins beschäftigte, zu dem Ritual zusammen..
Auch seine Frau, Sandrigga, erschien dazu, den inzwischen erschöpft schlafenden Wusel auf dem Arm.

Mit einer glasklaren Stimme begann der Skalde Gild Ohorn zu singen, und das Ellefolk drehte sich dazu in vielerlei Tanzbewegungen, die Tyrad nicht verstand. Dann setzte ein Chor des Ellefolkes ein. Sandrigga, immer noch den schlafenden Hund auf dem Arm, hielt die Hand empor, und als Gild Ohorn erneut zu singen begann, fielen drei Stücke eisiger Luft in ihre Hand.

Andere brachten das, aus warmer Luft gewebte Kästchen, und Sandrigga legte die drei Stücke hinein.
Sigian entnahm es den Händen seiner Gemahlin und reichte es Tyrad, der dem Ganzen staunend zugesehen hatte.
,,Hier hast du das letzte Element, das du noch brauchtest!“ , mit diesen Worten aus Sigian‘ s Mund, nahm der Thusser es an sich, und verstaute es in dem dafür vorgesehenen Lederbeutel..

Das Ritual war beendet, und das Ellefolk sang sang laut und triumphierend, ein wunderschönes, Tyrad unbekanntes Lied.

Da schrak er auf: ,,Gleich ist die Dämmerung zuende, und die Sonne geht auf!“ rief er, ,,Ich kann es unmöglich bis zu unseren Hügeln schaffen!“.
,,Sorge dich nicht!“ riet ihm Sigian, ,,Wir werden dir ein Quartier für den Tag schaffen, das dich schützt und dir Ruhe gewährt!“, dann holte er aus: ,,Wir als Lichtelben kennen diese Gefahr, die vom Sonnenlicht dir droht, nicht. Wir sind Wesen des Tages, die genauso gut zur Nacht und in der Dämmerung sein können! Das Ellefolk ist von den Tageszeiten besonders unabhängig! Wir können da sein, wann immer wir wollen. – Doch wird für dich gesorgt werden, Freund Tyrad, vom Volke der Thusser!“.

Dann eilte das Ellefolk, eine tiefe Grube im Torf des Moores auszuheben, das dunkel genug war, um Tyrad während des hellen Tages, vor der Sonne zu verbergen. Wusel schlief dabei, im Lager von Sigian‘s und Sandrigga‘s einen langen und erholsamen Schlaf.
Zu Beginn der Abenddämmerung erwachte Tyrad. Er fühlte sich frisch und gestärkt, wie selten nach einem Schlaf. Er befreite sich aus seiner Moorgrube und fand draußen Wusel, der verliebt knurrend in Sandrigga’s Armen kauerte, Sigian und andere Angehörige des Ellefolkes.
,,Wir wollten dich gerade wecken, Tyrad!“ rief Sigian munter, und hielt Tyrad’s Gepäck hoch, ,,es ist zwar nicht weit von hier, bis zur Heimat des Hügelvolkes, aber du solltest dich zeitig aufmachen, man weiß nie genau, welchen Widrigkeiten man begegnet, und sicher hat Euer weiser Bolgorm noch Vorbereitungen zu treffen!“ Tyrad bedankte sich beim Ellefolk für die Hilfe, und bat Sigian um eine Beschreibung des rechten und schnellsten Weges, zu den Wohnstätten der Thusser.

Schweren Herzens, und sehnsuchtsvoll jaulend, ließ sich Wusel von der schönen Ellefolk – Frau Sandrigga trennen, und von Tyrad Richtung Heimat schleppen.
Das freundliche Ellefolk winkte Tyrad zu, und sie riefen ihm zahllose
Glückwünsche nach, bevor sie in einen zauberhaften Gesang verfielen, der Tyrad half, seine Schritte noch zu beschleunigen, und den kleinen, zappligen Hund, zur Ruhe brachte.

Er folgte dem von Sigian beschriebenen Weg, durch das Ellemoor, zunächst nach Süden, so konnte er die schwierigsten und gefährlichsten Stellen im Moor umgehen. ,du erreichst dann bald die Frigga – Brücke!‘, hatte Sigian ihm erklärt, und geraten: ,Auf dem Geländer wird ein Falke sitzen; senke zuvor den Kopf und gehe ruhig, ohne zu sprechen, darüber. Auf der anderen Seite angekommen, sollst du dich umdrehen, den Falken ansehen, und laut ausrufen: ,Frigg, Muttergöttin, gelobt und geehrt seist du!‘, dann wird der Vogel sich in die Luft erheben und in der Dämmerung verschwinden!
Frigg wird all denen, die sie ehren und gebührend behandeln, helfen, das wird vor allem bei der Heilung deiner Schwester Feja von Nutzen sein!‘.

Tyrad erreichte die Brücke nach kurzer Zeit, und er handelte genauso, wie Sigian ihm geraten hatte. Als der Falke in die Dämmerung eingetaucht war, setzte Tyrad seinen Weg nach Nordwesten fort. ,du verläßt dann bald das Ellemoor,‘ hatte der Ellefolk – Mann ihm gesagt. ,Dann hälst du dich nach Westen, und wirst nach einigen Augenblicken wirst du eine Höhle sehen, aus der ein für dich unwiderstehlicher Glanz kommt. Vor der Höhle liegt ein schlafender Gott! Dagr ist sein Name, der Gott des Tages! An ihm mußt du vorübergehen, so weit wie möglich! Denn solltest du ihn wecken, dann holte er sofort seinen Hengst Skinfaxi aus der Höhle! Skinfaxi heißt: ,Leuchtmähne‘. Mit diesem Götterpferd reitet Dagr durch das All und erhellt die Erde! Solltest du ihn also wecken, vor der Zeit, jetzt im Verlaufe der Abenddämmerung, dann würde der Tag beginnen! Das Tageslicht würde dich vernichten, und dann heilloses Wirrwarr bei allen Wesen anrichten!‘ .

Tyrad gewahrte nach kurzer Zeit den schlafenden Dagr, und hinter ihm die leuchtende Höhle. Behutsam trug er Wusel, aus Angst, der kleine Hund könne einen Laut von sich geben. Er strebte die Ebene an, die bald darauf in das Hügelland der Thusser übergehen würde. Aber je mehr er sich bemühte, von der Höhle fortzukommen, desto mehr strebte er darauf zu. Das Licht von ,Leuchtmähne‘, dem Pferd des Tages, zog ihn in den Bann. ,,Ob Feja wohl auch so gefühlt hatte, unmittelbar bevor das Tageslicht sie zu Stein werden ließ?“ fragte er sich, während er – jetzt direkt - auf die Höhle zu ging.

Wusel hatte inzwischen wohl genug davon, von Tyrad getragen zu werden. Vielleicht hatte der auch in seiner Trance zu fest zugedrückt. Jedenfalls konnte sich der kleine Hund nun nicht anders wehren, als daß er seinem Herren in die Hand biß!
Tyrann konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken, wandte sich leise mit dem Tier schimpfend, von der Höhle ab, und eilte strikt nach Westen davon.

Als sie Dar ausreichend weit hinter sich gelassen hatten, sprang Wusel mit einem kräftigen Satz aus Tirade Armen und lief bellend voraus.

,In einer Erdspalte, nahe eurer Hügel,‘ so hatte Sigian ihm erklärt, ,halten sich zur Zeit die Nornen auf, die Schicksalsgöttinnen!“ Von ihnen war Tyrad viel erzählt worden, vor allem von Gydris und von Bolgorm, und er fürchtete sich vor ihnen. ,Solltest du ihnen begegnen, Tyrad der Thusser,‘ hatte Sigian mit tiefem Ernst gesagt, ,so ist dir nicht zu raten, nicht zu helfen! Ihnen mußt du folgen, wie es jeder zu tun hat, sei er nun Mensch, Elb oder Gott!‘.

,,Wusel! Wo steckst du nun schon wieder?“ rief er nach dem Hund, der in kürzester Zeit aus seiner Sichtweite geraten war.
Dann hörte Tyrad ein klägliches Heulen, tief unter ihm.
Er blickte hinunter, und sah, einige Fuß unter sich, drei schwarz-gekleidete Frauengestalten, von denen eine den kleinen Hund auf dem Arm hielt.

,,Tyrad!“ riefen sie mit nachhallenden Stimmen im Chor, ,,Tyrad, erkennst du uns?“.
,,Ja,“, rief der, mit zitternder Stimme, ,,wer kennt Euch nicht! Ihr seid die Nornen, die Göttinnen des Schicksals!“.
,,Weißt du unsere Namen, und deren Bedeutung?“ riefen die drei Stimmen, aus der Erdspalte.
Tyrad beugte sich vorsichtig über die Spalte, und rief: ,,Ihr seid Urd,
Werdandi und Skuld! — Urd – das Schicksal, Werdandi – das Werden, Skuld – die Schuld !“.
,,Sind wir die einzigen Göttinnen des Schicksals?“ fragten die Nornen weiter, und Tyrad antwortete: ,,Nein! Aber jeder denkt, wenn er die Nornen nennt, an euch!“.
,,Fürchtest du uns, Tyrad?“ hörte er die Stimmen abermals. Er brauchte nicht lange nachzudenken, um zu antworten: ,,Ja! Mehr als den Fenriswolf! Aber anders als er, seid ihr keine Geschöpfe der Bosheit, sondern der Gerechtigkeit!“.

Er bemerkte in der Erdspalte unter sich, eine Bewegung, und schrak zurück. Ehe er sich versah, landete unmittelbar neben ihm Wusel, mit einem erschrockenen Quietschen. Die Nornen hatten ihn zu Tyrad hinauf geworfen.

,,Tyrad der Thusser! Wisse, daß alle uns fürchten: Menschen, Elben, sogar die Götter!“ riefen die Stimmen der Nornen herauf, ,,Wisse auch, daß wir hier nur auf dich gewartet haben!“
,,Auf mich?“ fragte er erstaunt, ,,Und warum?“.
,,In den letzten Tagen bist du zu einem großen Held geworden, Tyrad!“ hörte er die Stimmen aus der , ,,du hast dich vielen neuen Aufgaben gestellt, hast dein Heim verlassen, der Liebe zu deiner Schwester wegen. du folgtest dem Auftrag des Weisen Bolgorm, hast dich sogar gegen den Fenriswolf gestellt Schon jetzt giltst du unter den Göttern als ein Besonderer, unter allen Elben als ein Großer! – Wir wollen dir, Tyrad, Held der Thusser, nur eines sagen: Vergiß die Liebe nicht!“
In diesem Augenblick erloschen die Stimmen, und als er in die Erdspalte hinab sah, konnte er die drei Nornen nicht mehr entdecken.


Tyrad sprach dem vollkommen erschrockenen und verwirrten Hund gut zu, und ging ihm voran, den nun nicht mehr weiten Weg, auf die Hügel zu.
 
Das Lied des Elbenkönigs in der Mittsommernacht VI

Er hörte Schreie, das Schnauben von Pferden und Waffengeklirr, nachdem sie bereits die ersten Hügel erklommen hatten. Tyrad blickte von einem Hügelkamm, nicht mehr weit entfernt von der elterlichen Wohnhöhle, hinunter in eine Senke, und gewahrte zwei kleine Trupps, die mit vielen Fackeln, die inzwischen hereingebrochene Nacht, erhellten.

Er erkannte viele Bewohner des Menschendorfes. Auf der anderen Seite schien ein braungewandeter Priester und ein, mit Plattenpanzer bewehrter Bewaffneter, der einen silbern glänzenden Helm trug, einen Haufen fremder Krieger anzuführen.

,,Ich sehe Jan und Thorben! Und viele Dorfbewohner!“, flüsterte Tyrad dem kleinen Hund, der sich zwischenzeitlich auf seinen Arm gesprungen war, zu. Tyrad hockte auf dem Hügelkamm und starrte gebannt hinunter.

,,Wir lassen keine Vertreter des Bischofs mehr in die Nähe unseres Dorfes!“, hörte er die Stimme des alten Thorben. ,,Nur deshalb sind wir euch so weit entgegen gezogen, weil wir euch rechtzeitig abfangen und zurückschicken wollen!“

,,Wir lassen uns aber nicht zurückschicken!“ ereiferte sich der Priester laut, und er setzte angriffslustig hinzu: ,,Wir haben erfahren, daß zwei meiner Glaubensbrüder und ihre Diener, von den Trollen ermordet worden sind! Dafür wird Rache genommen!“

,,Das ist aber eine Lüge!“, hörte Tyrad Jan’s Stimme zurückrufen, ,,Diese vier Männer waren Verbrecher, und haben ein Thusser – Mädchen getötet. Dafür wurden sie bestraft. Und nicht das Hügelvolk hat eure ,lieben‘ Brüder gerichtet, sondern wir!“.

,,Dann werden wir auch an euch Rache nehmen!“ geiferte der Geistliche.
Ein Ruck ging durch den Haufen der Dorfbewohner, und sie hoben ihre Waffen. Tyrad sah Stöcke, Sicheln und Heugabeln.
Die Bewaffneten, auf der anderen Seite, hatten Schwerter, Spieße, Bögen, sie trugen Schilde, und viele von ihnen waren zu Pferde.
,, Es widerstrebt mir, meine Leute gegen eine Schar von Bauern anzuführen,“ erhob jetzt der Bewaffnete mit dem silbrigen Helm das Wort, ,,deren Bewaffnung aus Feldgerät besteht. – Aber wenn ihr euch der Gerechtigkeit widersetzt, werde ich keinen Augenblick zögern!“. Sein Haufen erhob mit einem Mal die Waffen.

Jetzt hatte Tyrad genug gehört. Er setzte Wusel auf den Boden und lief in die Senke hinunter, und rief:
,,Was heißt hier Gerechtigkeit? War es gerecht, daß die Priester meine Schwester dem Sonnenlicht aussetzten, so daß sie zu Stein wurde?“

,,Ein Troll!“ schrie der Priester, ,,Ergreift und tötet ihn!“.
,,Sei kein Narr!“, herrschte ihn der Anführer der Bewaffneten an, ,,Der Hügelvolk – Mann ist unbewaffnet!“ . Und als Tyrad bei ihnen angekommen war, sprach der Anführer zu ihm: ,,Auch wenn es stimmt, was du sagst, so hatte niemand das Recht, die Priester und die Bewaffneten zu töten!“.

,,Die Bewaffnung der Dorfbewohner ist untauglich, das weißt du!“ drang Tyrad in ihn. Ein Kampf mit ihnen wäre ungleich und ungerecht!“ Da kam Wusel den Berg herunter gelaufen, rannte auf Tyrad zu und knurrte dabei den Trupp der Bewaffneten drohend an. Als er merkte, daß vorerst keine Gefahr bestand, schnüffelte er neugierig an dem Anführer herum, der sich das gefallen ließ, und ruhig auf Tyrad antwortete: ,,Hügelvolk – Mann, das weiß ich! Mir ist nicht wohl dabei!“.

,,Höre auf zu schwatzen und gib das Signal zum Angriff!“, keifte der Priester daneben, ,,ihr seid überlegen, und das gilt es auszunutzen! – Im Namen des Herrn!“. Interessiert wandte sich Wusel jetzt den Beinen des Priesters zu.
In diesem Augenblick sah man von den nahen Hügeln eine gewaltig große Schar, mit leuchtenden Fackeln und im Licht des aufgehenden Mondes blitzenden Schwertern bewehrt, herabströmen.
,,Das Hügelvolk rückt an!“ brüllte ein Schrei durch den Trupp der Bewaffneten, und die Dorfbewohner machten sich bereit, die Schar des Bischofs anzugreifen.

,,Halt!“, rief Tyrad, und stellte sich vor den Haufen, während die bewaffneten Thusser zwischen den Parteien Aufstellung nahmen,
,,Wartet!“., forderte er die Leute des Bischofs, die Dorfbewohner und die Thusser gleichermaßen auf. ,,Meine Schwester wurde versteinert, durch die Schuld zweier Priester und ihrer Wachen. Sie wurden gerichtet. Dabei muß es bleiben! Laßt uns nicht noch mehr Leben zerstören!“.

,,Hügelvolk – Mann! Wenn du wüßtest, wie gerne ...“, antwortete ihm der Anführer der Bewaffneten, und wurde von Thorben unterbrochen, der rief: ,,Wir wollen kein weiteres Blutvergießen, nur Frieden! Aber sie müssen .... !“.
,,Sehr richtig, Tyrad!“ Bolgorm trat aus dem Heer der Thusser hervor, und ging mit weiten Schritten auf den jungen Thusser zu. ,,Es ist genug schlimmes passiert! Genug wurde gelitten!“, fuhr er mit lauter, tiefer Stimme fort.

,,Was soll das denn jetzt?“ krähte der Priester, ,,Laß die Bogenschützen antreten und diesen anmaßenden Troll nieder mähen!“ Doch dann kreischte er plötzlich: ,,Iiiihhh! Das Hundevieh hat sein Wasser an mir abgeschlagen!“. Der Anführer verzog die Lippen, alle anderen brüllten vor Lachen, während Wusel mit fröhlichem Gebell von dem Priester weg sprang.

,,Um dem Haß ein Ende zu bereiten,“ sprach Bolgorm weiter und gesellte sich zu Tyrad, dabei sah er dem Anführer der Bewaffneten direkt in die Augen, ,, will ich euch anbieten, daß mit dem selben Zauber, der Feja erlösen kann, die schuldigen Menschen zum Leben erweckt werden sollen. Mögen sie danach auf einem besseren Pfade gehen!“.

,,Nun laß ihn schon nieder machen!“ zeterte der Priester, ,,Wer weiß ...“.
,,Jetzt halt doch mal das Maul!“ schnauzte der Anführer der Truppe des Bischofs ihn an, und drängte ihn zurück. ,,Laß uns hören, was der Mann zu sagen hat!“.

,,Ich habe euch zu sagen,“ gab der weise Thusser zurück, ,,daß ich bereit bin, den Zauber für Feja – so Tyrad mir das gesuchte Zubehör bringt, auch für euere Freunde zu zelebrieren!“.

,,Glaub‘ ihm kein Wort!“ zischte der Priester von hinten, aber er fand keine Beachtung..

,,Ich bin mir nicht so sicher, ob das meine Freunde sind!“ antwortete der Anführer der Schar, ,,Aber nach dem, was ich bisher vernommen habe, scheint es mir ein sehr großmütiges Angebot zu sein!“.

,,Nun, wenn ich dein Einverständnis habe, so bitte ich dich, drei deiner Leute, und vier Vertreter der Dorfbewohner, in einer Stunde, nämlich zur Mitternacht, zum Thing – Platz der Thusser zu kommen!“
Bolgorm wandte sich zu Tyrad und lächelte ihn an: ,,Wir werden sehen, was sich tun läßt!“.

Die Menschen wählten aus ihren Reihen viere aus und schickten sie mit den Thussern zum Thing – Platz des Hügelvolkes. Bolgorm schritt kräftig aus und führte sie an. Tyrad trug den kleinen Hund Wusel auf dem Arm und lief neben ihm her. ,,Was hast du vor, Bolgorm?"“ fragte er.
,,Hast du alles mitgebracht, was wir brauchen?“ fragte der Weise, statt einer Antwort.
,,Ja, das Wasser von der tiefsten Stelle des großen Fjordes habe ich, drei Hand voll Erde aus dem Erdreich eines Baumelben und drei Stücke gefrorener Luft vom Ellefolk, bringe ich auch mit!“ gab Tyrad.
zurück.
,,Und die drei Schwerter liegen noch in der Schmiede!“ damit seufzte Bolgorm befriedigt und fuhr fort: ,,Ich habe nichts anderes vor, als deine Schwester zu erlösen, und ihr das Leben zurückzugeben, das ihr gebührt!“.

,,Du willst die vier Verbrecher nicht wirklich in ’ s Leben zurückrufen?“ fragte Tyrad, und kraulte Wusel dabei hinter den Ohren.
,,Hm!“ grübelte Bolgorm, ,,Die Macht dazu habe ich, aber warum sollte ich es wirklich tun?“.
,,Ich weiß es auch nicht!“ antwortete der junge Thusser. ,,Aber bevor ich auf die Menschen, gerade eben traf, begegnete ich, bei einer Erdspalte, in die Wusel hinein gefallen war, den Nornen!“
Bolgorm horchte auf: ,,Du hast die Nornen getroffen?“.

,,Ja!“, sagte Tyrad, ,,Und das letzte, was sie zu mir sagten war: ,Vergiß´die Liebe nicht!‘
Bolgorm lachte laut auf und rief: ,,Die Gnade! Die sonst so unerbittlichen Schicksalsgöttinnen meinten die Gnade!“. Sie gingen voran, und Bolgorm kicherte. ,,Was der inzwischen handamputierte Tyr wohl dazu sagen würde? Liebe – Gnade!?“.

,,Gnade kann so schlimm nicht sein!“ fiel Tyrad plötzlich ein, ,,Ich erinnere mich daran,. wie du ,gnädig‘ mit mir verfahren bist, als ich vor Jahren bei dir Schüler war, und du mir die Strafe hast erlassen, als ich die Runen nicht gelernt hatte, die du mir aufgegeben hattest!“..

Wieder mußte Bolgorm lachen. ,,Egal, was du meinst, Tyrad, oder was ich denke!“ und er wurde mit einem Schlage ernst. ,,Die Nornen wollen Gnade! Also werde ich Gnade walten lassen.!“.

Sie erreichten den Thing – Platz, eine ebene, von Büschen umstandene Fläche, auf einer Anhöhe, nahe der Thusser – Siedlung.
Fast alle Thusser waren bereits dort, wie es zum Mittsommerfest brauch war, nur daß sich wohl niemand in rechter Feststimmung befand.
Ein paar der Fiedelspieler unter den Thussern, brachten traurige Melodien zu Gehöhr, ein Skalde sang schwermütige Lieder zur Leier.

Die Nacht war so hell, wie eine Mittsommernacht in Norwegen nur sein kann. Der Mond schien blaß, und kaum ein Stern war am Himmel zu erkennen.

Bolgorm trat in die Mitte des inneren Thing – Kreises. Die große Steinplatte in dessen Zentrum, die sonst bei Thing – Versammlungen dem Rat als Tisch diente, war nun als Altar ausgestattet. Auf den Wink des Weisen hin, brachten ein paar Thusser die zwei erschlagenen Priester und deren toten Begleiter. Sie wurden auf den Boden, neben den Tisch gelegt.

Inzwischen war der Anführer der Truppe des Bischofs mit drei Ausgewählten seiner Bewaffneten angelangt. Sie hatten Helme, Waffen und Rüstungen im Lager zurückgelassen. Aufatmend erkannte Bolgorm, daß sie es ehrlich meinten. Er bat sie, ihren Platz neben dem Altar einzunehmen, und gruppierte Thorben, Jan und zwei weitere Dorfbewohner auf die gegenüberliegende Seite.
Gydris, Jork, Tyrad und einen Bruder der Gydris, ließ er am Kopfende Feja’s Aufstellung nehmen.
Ein noch ganz junger Thusser brachte dem Weisen die Gegenstände, die er für die Zeremonie brauchen würde: Tyrad’ s Schwerter, die Flaschen mit dem Fjordwasser, den Beutel mit der Baumelbenerde und das aus warmer Luft gewebte Kästchen, mit den drei Stücken gefrorener Luft, vom Ellefolk. Außerdem brachte er noch einige andere Fläschchen und Beutel herbei.

Die Angehörigen des Hügelvolkes bildeten, auf Bolgorms Geheiß, einen großen Kreis um den Altar.
Plötzlich hörte man ein Bellen, und Wusel durchbrach den Ring, lief auf den Altar zu und sprang auf den Tisch, kauerte sich zu den Füßen Feja‘ s nieder.

Bolgorm bat die Fiedler und den Skalden, sie mögen in den Kreis treten, und ihre Instrumente bereit machen. Dann hob er, mit ernstem Gesicht, die Arme zu einer großen, umfassenden Geste und sprach, mit lauter, tiefer Stimme: ,,Thusser, Dorfbewohner, Männer des Bischofs! Böses ist geschehen, von Mensch zu Thusser und von Mensch zu Mensch! Ich kann darüber nicht urteilen, nicht richten!
Es geht nun darum, Feja, die unschuldige, junge Thusser – Frau, aus dem Fluch des Lichtes und ihrer Versteinerung zu befreien! Mögen die Götter uns helfen ...“. Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da schoß ein Falke, im schnellen Bogen, vom Himmel herab, beschrieb einen Halbkreis, über dem Altar, und ließ sich dann auf dem Tisch, an Feja‘ s Kopfende, nieder.

Der Weise strahlte. ,,Frigg!“ flüsterte Tyrad leise, und der kleine Wusel grunzte zufrieden.
,,Und,“ fuhr Bolgorm fort, ,,Es geht geht auch darum, die gerichteten Menschen zum Leben zurück zu holen! Mag es dem Willen der Götter entsprechen!“.
Da erhob sich ein gewaltiger Lärm, Fußtrampeln wie von Riesen, und dröhnende Stimmen, rund um den Thing – Platz.
,,Tyr und die anderen Götter!“ entfuhr es Tyrad. Die riesenhaften Gestalten bildeten einen großen Kreis, rund um den Platz, und verharrten in aufmerksamen Schweigen.

,,Nun, da sich die Götter zu uns gesellen, will ich mit dem Zauber beginnen!“ redete Bolgorm, nach einem kurzen Schreckmoment, weiter.
Er zog mit einem Stock einen Kreis um den Altar, und um die vier Erschlagenen. Die Umstehenden bat er, ein wenig weiter zurück zu treten. Dann nahm er die Flaschen mit dem Fjordwasser, und besprenkelte den Innenraum des Kreises so lange damit, bis sie leer waren.
Daraufhin verteilte Bolgorm die Erde, dann legte er die drei, von Tyrad geschmiedeten Schwerter, im Dreieck, um den Altar.
Der Weise trat aus dem Kreis, nahm einige der Beutel und Fläschchen zur Hand und verteilte deren Inhalt, Pulver und Tinkturen, am Rande.
Die Schwerter begannen zu glühen, die Erde dampfte und das Fjordwasser fing an zu brodeln, während die Flüssigkeiten und die Pulver, an der Peripherie des Kreises, Rauchschwaden entwickelten, und alles darin befindliche, in eine schwarze Wolke einhüllte.

,,Um die Aufgabe zu erfüllen, versteinertes Leben in die alte, lebendige Form zurückzubringen, und kaltes Fleisch neu zu erwecken, bedarf es eines besonderen Zaubers!“, rief Bolgorm und forderte die Musiker auf, mit dem ,,Lied des Elbenkönigs“ zu beginnen, dann wandte er sich wieder an die Umstehenden, die wie gebannt auf die tiefschwarzen Rauchwolken starrten, die mit bizarren Bewegungen, den von Bolgorm gemalten Kreis umgaben. Die Fiedelspieler hoben ihre Instrumente und die Bögen. Die ersten Töne des alten Liedes erklangen, und Bolgorm führte seine Rede fort: ,,Als die Erde von den Göttern geboren ward, schied sie sich gleich von den Sternen. ab, und Leben entstand auf ihr: Pflanzen, Tiere, Elben und Menschen!“, die Musik klang lauter und zog die Thusser langsam in ihren Bann, die schwarzen Rauchwolken bewegten sich in ihrem Rhythmus. Bolgorm‘ s Stimme erhob sich weiter: ,,Die Götter,“ so rief er, ,,sorgten dafür, daß das Leben gedieh, und daß es der Erde gut ging! Um Wunden zu heilen, die ihr von den Lebewesen zugefügt wurden, schufen sie einen mächtigen Zauber. Dieser Zauber heilt die Schäden der Erde gleichermaßen, wie die an Pflanzen, Tieren, Elb und Mensch! – Nur wenn die Götter es wollen, dürfen wenige, dazu Ausersehene, diesen Zauber durchzuführen, um erlittene Verwundungen zu heilen, auch um Leben dem vorzeitigen Tod zu entreißen!“.
Die Thusser fingen an, sich zu der Musik zu bewegen, die aus der dicken Rauchwolke hervor drang, sie tanzten mal schneller, mal langsamer, zu dem wechselnden Rhythmus ihrer Melodie. Jetzt begann der Skalde, das Lied des Elbenkönigs zu singen, und Bolgorm murmelte dazu unverständliche Worte. Dann nahm er das Kästchen vom Ellefolk in die Hand, öffnete es und warf die drei Stücke gefrorener Luft, durch den undurchdringlichen Rauch, hinein in das innere des Kreises.
Die Musik und die Stimme des Sängers erhoben sich laut, und der Rauch bewegte sich stärker, wechselte die Farben, von schwarz über grau, bis weiß. Seltsame Klänge fielen in die Musik der Thusser ein, es war, als kämen sie aus weiter Ferne. Mal erschien es, als kämen sie vom Himmel her, dann wieder wirkte es, als drängen sie aus den Tiefen der Erde herauf.

Tyrad sah sich in völlige Finsternis gehüllt. Eine Dunkelheit umgab ihn, die selbst Thusser – Augen nicht durchdringen konnten.
Von ferne nahm er die Klänge des Liedes des Elbenkönigs wahr, und die seltsamen Töne einer zauberhaften Begleitmusik.

Mit einem Schlage fühlte er sich emporgehoben, die Musik wurde lauter und lauter, drang in ihn ein, und es war ihm, als wirbele sie ihn, in schnellen Rhythmen, hinaus ins All.
Blitze fuhren um ihn herum, die Musik rauschte in wunderbaren Klängen an ihm vorbei – und ein neues, gleißendes Licht blendete ihn.Tyrad schloß die Augen, und wurde von Licht und Musik fortgetragen. Von weitem hörte er den Schrei eines Falken. Licht und Farben wirbelten in endlosen Fontänen um ihn herum, die Musik brandete auf, und dann schwebte er, wie von unsichtbaren Schwingen getragen, in einer sternklaren Nacht, unter einem samtschwarz glänzenden Himmel.
Die Sterne leuchteten sanft und freundlich. auf ihn herab, und leise, sanfte Stimmen klangen ihm wie Sternenmusik. In der Ferne sah er die Gesichter von Jork und Gydris vorüberschweben, auch Feja’s, sie wirkte lebendig und lachte. Dann verdunkelte sich der Himmel plötzlich, und Tyrad spürte dumpfe Vibrationen, wie von heran rollendem Donner. Er merkte, wie er den Halt verlor, und hilflos in die Tiefe stürzte.
Tyrad sah im Hinabfallen, wie Feja vor das Dorf geführt, und dem Sonnenlicht ausgesetzt wurde. Er erkannte Thorben, Jan und Bolgorm;
sah, die Meerfrau, den Baumelben, Kallesanstrom, den Fenriswolf, die Götter, das Ellefolk und die Nornen, an sich vorüber gleiten.

Dann fiel wieder alles um ihn herum in schwarze Finsternis. Er hörte Bolgorm’s Stimme laut und kraftvoll durch die Dunkelheit klingen: ,,Einer der mächtigsten aller Zauber ist der STERNENZAUBER !“
Da explodierte Licht in der Dunkelheit. Tausende von Farben platzten aus der schwarzen Nacht hervor. Unzählige Sterne blühten glühend auf wie leuchtende Rosen und verstrahlten ihren vielfarbigen Schein am Himmel.

Tyrad taumelte durch das Licht, er folgte einer Musik, die dem Lied des Elbenkönigs glich. Klänge lockten ihn von Farbe zu Farbe. Das Licht war Musik, die Musik war Licht.
Vor ihm öffnete sich ein Tor, worin er die Nornen erkannte. Sie grüßten und entschwanden in eine ferne, zauberhafte Landschaft, wo sie sich in schimmernde Lichtgestalten verwandelten.

Langsam verebbte die Musik, und die Farben erloschen.
Tyrad stand bei seinen Eltern, am Kopfende des Steintisches.
Er hörte ein freudiges Gebell, blickte auf, und sah, daß seine Schwester Feja sich auf dem Tische aufgerichtet hatte, und den aufgeregten kleinen Hund herzlich an sich drückte.

Am Boden regten sich die beiden Priester und die Bewaffneten. Während Jork und Gydris sich auf ihre Tochter stürzten, um die wieder in’s Leben zurückgekehrte glücklich zu umarmen, halfen die Männer des Bischofs, den am Boden liegenden auf die Beine.

Der Falke erhob sich und verschwand am Himmel., und die Götter, am Rande des Thing – Platzes, entfernten sich mit freundlichem Gebrummel.

Die Wand aus Rauch war verschwunden, Bolgorm trat in den inneren Kreis und strahlte vor Freude. Die Thusser jubelten laut, und die Musiker spielten begeistert eine fröhliche Melodie.

Die wiederbelebten Männer standen inzwischen da, und blickten sich verwirrt um, ganz offensichtlich wußten sie überhaupt nicht, was ihnen geschehen war.
Tyrad trat zu Bolgorm und fragte ihn, was mit ihnen geschehen sei. Der lächelte leise, und seine Augen blitzten listig: ,,Nun, Tyrad,“ antwortete er, ,,ich habe den Zaubermitteln eine geheime Substanz zugefügt, die nur auf Menschen wirkt! Sieh selbst ....!“.
Er deutete auf Wusel, der inzwischen vom Tisch gesprungen war, und mißtrauisch knurrend um die vier Männer herum schlich.
,,Aber was hast du, lieber Bruder Hund!“ sprach einer der beiden Priester mit liebevoller Stimme und beugte sich zu Wusel hinab. ,,Sieh nur, wie schön alles ist auf der Welt!“. Wusel, nun seinerseits verwirrt, ging langsam, mit gesträubtem Nackenfell rückwärts,.

Tyrad sah Bolgorm verblüfft an, während einer der ehemals erschlagenen Bewaffneten auf die anderen Thusser zuging, mit strahlendem Lächeln und weit ausgebreiteten Armen rief: ,,Liebe und Frieden, meine lieben Hügelvolk – Freunde! Liebe und Frieden!“. ,,Ja, rief der andere und eilte ihm nach: ,,Liebe und Frieden! Nie wieder Krieg!“.
Die Thusser brüllten vor lachen, aber sie nahmen die beiden gutmütig in ihre Mitte, und tanzten mit ihnen zu der heiteren Elbenmusik.

Die beiden, ehemals gestrengen Geistlichen, hüpften ihnen fröhlich hinterher und jubelten ausgelassen: ,,Friede auf Erden!“.

Nun trat der Anführer der Bewaffneten des Bischof‘‘s, auf Bolgorm und Tyrad zu. Lachend reichte er beiden die Hand und wandte sich mit einem verschmitzten Lächeln an den Weisen: ,,Sag, weiser Bolgorm! Meinst du nicht, daß du da ein wenig übertrieben hast?“. ,,Das ärgste wird sich mit der Zeit legen! Aber alle vier werden künftig auf freundlicheren Pfaden wandeln!“, gab der zurück.

Der Anführer bedankte sich, hieß seine drei Männer die anderen einsammeln, und zog mit ihnen ab.

Nachdem Tyrad seine Schwester begrüßt und herzlich umarmt hatte, gingen Feja und ihre Eltern, mit Jan, Thorben und den anderen Dorfbewohnern, zu den feiernden Thussern.

Bolgorm legte Tyrad die Hand auf die Schulter und nahm ihn beiseite. ,,Nun, junger Tyrad,“ sprach er ihn an, ,,das waren gewiß harte Tage für dich!“ Tyrad nickte: ,,Ich habe viel gesehen, viel erlebt, mehr als jemals zuvor in meinem Leben. Und ich habe manches gelernt!“.
,,Ja,“ antwortete der Weise, und senkte die Stimme, ,,und es wird noch nicht alles gewesen sein!“. Tyrad fragte, wie er das meine, aber Bolgorm antwortete nur: ,,Laß uns auf die Zeichen warten!“.
Sie gingen eine Weile schweigend über den Thing – Platz, und hielten sich abseits der Menge.
,,Ich muß dich noch etwas fragen, Bolgorm!“, sagte Tyrad, und fuhr fort: ,,Vorhin, während des Zaubers, habe ich die Nornen gesehen, wie sie sich durch ein Tor in eine bezaubernde Landschaft begaben!“
Der Weise horchte auf: ,,Ja?“, fragte er nach, und Tyrad setzte hinzu:
,,Dieses Land, wo liegt es.? Und kann ich jemals dorthin gelangen?“.
,,Du hast die Gärten des Schicksals gesehen!“, antwortete Bolgorm,
,,Sollte das schon das Zeichen sein?“. Er schwieg nachdenklich, dann sagte er mit fester Stimme: ,,Nein, laß uns noch warten!“.

Sie begaben sich jetzt zu den anderen, und die Musiker spielten wieder das Lied des Elbenkönigs.

--- Ende ---
 
Zuletzt bearbeitet:
Moin Leon,
danke für diese Wunderschöne Geschichte :)

das einzige was mir nicht daran gefallen hat war:
--- Ende ---

Liebe Grüße,
Cailly *die in den letzten Tagen jeden Abend auf die Fortsetzung gewartet hat*
 
Hallo Cailly,

ich danke Dir für Deine nette Rückmeldung!:)

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Hallo Leòn,
ich habe deine Geschichte auch mit Begeisterung gelesen:klatschen

Äh... wann kommt die Nächste?:D

Liebe Grüße
 
Hallo ADo,

ich danke Dir auch für Deine nette Wertschätzung. :)
Diese Geschichte habe ich vor ein paar Jahren im Rahmen einer Wette mit einer Freundin geschrieben. Sie gab mir 7 Stichworte und ich bastelte eine Geschichte daraus!

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Hallo Leòn,
so ähnlich gings mir auch mal:) .
Meine Freundin und ich hatte mal wieder mit meinen damals noch kleinen Kindern gemalt. Hinterher stellte sie mir ihr Märchen-Bild auf den Schreibtisch und verlangte, dass ich eine Geschichte daraus mache.
Tja, hat geklappt. War auch für mich echt spannend, weil einiges an Recherchen dazu gehörte. Leider fehlt mir für solche Exkurse heute leider Zeit und Kraft, obwohl sie mich sicherlich "innerlich" stärken würden *seufz*.

Liebe Grüße
 
Hallo ADo,

okay, fühl dich nicht unter Druck gesetzt. :) Aber vielleicht hast Du ja irgendwann mal die Zeit und die Ruhe, die Geschichte aufzuschreiben ;) ?

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Oooch, aufgeschrieben ist sie ja schon lange. Irgendwie hat sich mein Leben aber anders entwickelt und nun liegt alles in der Warteschleife statt in Buchhandlungen;)
Falls ich aber doch noch mal weiterschreiben sollte, darf die Geschichte nicht vorher veröffentlicht sein, auch nicht im Net (schrieb ich ja schon mal bei anderer Gelegenheit).
Deshalb werde ich sie hier nicht reinstellen.
Sorry.

Liebe Grüße
 
Oben