Geschichten aus dem Leben

Themenstarter
Beitritt
17.11.14
Beiträge
33
Hallo zusammen, :wave:

in meinen Geschichten versuche ich Erlebnisse zu verarbeiten.
Oft handeln sie vom Schmerz oder von Trauer.
Aber immer öfter erfahren meine Protagonisten am Schluss jetzt zunehmend eine positive Wandlung.
Das Schreiben tut der Seele einfach gut.
In unregelmäßigen Abständen, so wie die Geschichten entstehen, würde ich gerne hier einige einstellen.


Liebe Grüße,
Selene :hexe:
 
Eine ziehende Wolke

Eine ziehende Wolke

Als Jenny das Schild „Krankenhaus“ entdeckte, schluckte sie den Kloß in ihrem Hals herunter. Wann habe ich Horst das letzte Mal besucht?, fragte sie sich, doch sie wollte die Wochen nicht zählen. Zu schnell war die Zeit vergangen, seit sie Thomas kennen gelernt hatte. Sie lenkte ihr Motorrad unter den Kastanienbaum, dessen Äste bis über den Parkplatz reichten. Seine stachligen Früchte färbten sich braun. Bei dem nächsten Sturm würden sie fallen. Eine Erinnerung an ihre Kindheit kam ihr in den Sinn - zwei Kastanienmännchen auf dem Nachttisch.
Ihre Hand zitterte, als sie den Zündschlüssel auf Null drehte. Der Motor verstummte, Stille breitete sich aus. Wie im Trance wuchtete sie ihre Maschine auf den Ständer, zog sich den Helm vom Kopf und schloss ihn mit der Kette ans Hinterrad. Als Jenny aufstand fiel ihr Blick in den Rückspiegel. Sie versuchte ein Lächeln und schüttelte den Kopf. Blonde Locken fielen ihr ins Gesicht. Sie nahm den Geruch ihres Haares wahr und warf es zurück. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie es binden sollte, aber Horst hatte es stets gemocht, wenn sie es offen trug. Thomas findet es so auch hübscher, fiel ihr unerwartet ein.
Als Jenny das weiße Gebäude betrat, stach ihr gleich der Geruch von Krankheit in die Nase. Ihr Atem wurde flach, als wolle er den Eintritt in ihrem Körper verbieten.
Zahllose Menschen kamen ihr entgegen, sie bewegten sich schnaufend vorwärts und klammerten sich an Gehwagen.
Der Fahrstuhl blinkte und öffnete sich, nahm sie auf und mit nach oben.
Dritter Stock, Zimmer 336, das wusste Jenny noch genau. Vor dem Raum stockte sie. Sie sah auf das Schild neben der Tür, überflog die Namensliste, doch Horst Name fand sie nicht. Kopfschüttelnd drückte sie die Klinke und lugte in den Raum. Einzig fremde Männer blickten ihr entgegen. Vor Verlegenheit schoss Jenny das Blut in den Kopf. Zaghaft entschuldigte sie sich und zog mit einem klickenden Geräusch die Tür ins Schloss.
„Kann ich ihnen helfen oder suchen sie jemanden?“, fragte eine Stimme. Sie gehörte einer Frau im weißen Kittel.
„Mir? Oh ja, natürlich!“, stammelte Jenny. „Kennen sie, hier auf dieser Station, einen Herrn Winzer?“
„Otto Winzer?“
„Nein, Horst Winzer. Er ist ein Freund von mir“, antwortete Jenny.
Einen Augenblick sah die Schwester sie verwundert an. Schließlich wies sie den Gang hinunter.
„Er ist nur im Zimmer 348. Wir mussten ihn verlegen“, sagte sie. Daraufhin schob sie ihren Tablettenwagen an der jungen Besucherin vorbei.
Bald stand Jenny vor dem angegebenen Zimmer. Auch den Namen fand sie gleich. Trotzdem zögerte sie. Sollte sie wirklich mit ihm hier Schluss machen und ihre Beziehung beenden, oder damit warten, bis das er gesund wäre? Konnte sie ihm solange noch Liebe vorlügen?
Sie klopfte, doch niemand antwortete. Als sie eintrat, erschauerte Jenny erneut.
Sie suchte die Gesichter der schlafenden Männer nach einem ihr vertrautem Lächeln ab und forschte vergeblich nach den Augen, in denen stets der Schalk geblitzt hatte.
Eine Frau am Fenster redete mit einem der Liegenden. Mit dem Einzigen, der nicht schlief. Jenny kannte sie nicht, genau so wenig den alten Mann im Bett.
Bloß raus hier!, schrie der Gedanke in ihrem Kopf.
Gerade als sie rückwärts durch die Tür schleichen wollte, rief die Frau sie.
Der Kranke im Bett winkte ihr zu.
Als Jenny mit steifen Schritten ans Fenster ging, erkannte sie ihn wieder. Die fremde Frau lächelte gepresst. Dann verabschiedete sie sich und ging.
„Horst!“, sagte Jenny. Sein Name stand wie eine Frage zwischen ihnen.
„Ja, hier unten. Schön das du gekommen bist“, raunte er.
Jenny nickte, setzte sich auf eine Ecke und griff nach seiner Hand. Sie war leblos und kalt. So bläulich wie seine Lippen.
Sie konnte ihn nicht küssen, wusste nichts zu sagen. Erst vor wenigen Monaten hatten sie sich zum letztes Mal geliebt. Er war nur zwanzig Jahre älter als sie. Doch jetzt?
Horst sah hinüber zur Tür. Über dem gekreuzigten Jesus hing eine Uhr. Sie tickte in unbarmherzigen Schlägen.
„Gleich werde ich geholt“, flüsterte er. Seine Stimme kam aus der Ferne.
„Von wem?“, fragte Jenny.
„Von der Strahlengöttin“, versuchte Horst einen Witz.
Jenny nickte. Sie wollte ihm die Sache mit Thomas beichten. „Hast du Schmerzen?“, fragte sie stattdessen.
Horst Stimme klang brüchig: „Nein, wenigstens dagegen haben sie ein Mittel.“
Es klopfte kurz und eine Schwester betrat den Raum. Sie bat Jenny zurückzutreten und löste die Sperre der Räder. Mit Leichtigkeit fuhr sie Horst hinaus. Bevor sie ihn in die Strahlenkammer am Ende des Ganges rollte blieb sie noch einmal stehen.
Horst hatte sie darum gebeten. Er drehte sich zu Jenny um.
„Sehen wir uns bald wieder?“ In seinen Augen flackerte Hoffnung oder vielleicht auch Angst.
„Ja“, antwortete Jenny. „Schon bald!“, fügte sie hastig hinzu, als sich das Bett wieder in Bewegung setzte. Sie hob ihre Hand zum Gruß, doch er sah sie nicht. Die Türe fiel hinter ihm ins Schloss.
Betäubt stolperte Jenny zum Ausgang. Sie fühlte sich alt wie er, der vor Monaten noch vor Kraft strotzend gewesen war. Verdammter Krebs!
Als Jenny ihr Motorrad erreichte, löste sie die schwere Kette und zog den Helm auf. Mit der Hand schlug sie das Visier zu. Tränen sammelten sich in ihren Augen, als sie den Motor startete.
Über dem Krankenhaus zog eine Rauchwolke zum Himmel, verschmolz mit den ziehenden Wolken und reiste mit ihnen fort. Eine erste Kastanie fiel neben Jennys Fuß, sie achtete nicht darauf. Stattdessen fuhr sie und schrie beim Fahren Trauer und Wut heraus.
Drei Wochen später stand sie ausgeweint und stumm am offenem Grab von Horst. Als Jenny tief in den Schlund der Erde blickte, hielt Thomas ihre klamme Hand. Er hörte wie sie sagte: „Bis bald mal, Horst.“

Copyright by Selene OK
 
Das Schreiben tut der Seele einfach gut.

Liebe Selena OK:),
ich freue mich auf weitere Geschichte von dir.
Ich finde es sehr gut,dass du durch das Schreiben deinen Schmerz und deine Trauer besser verarbeiten kannst und ich bewundere dich dafür:),denn ich vergrub immer alles tief in mir.
Erst hier im Forum öffnete ich mich und der Austausch tat und tut auch meiner Seele gut und ich hoffe,dass es dir ähnlich ergeht mit deinen Geschichten aus deinem Leben und viele mitlesen.

Liebe Grüße von
Wildaster
 
Liebe Wildaster,

ich danke dir für deine lieben Worte.
Ja, die Seele sucht ein Ventil, um sich Luft zu machen oder um sich überhaupt mitzuteilen. Manchmal schreibe ich einfach drauflos und weiß selber nicht, wohin mich die neue Geschichte führen wird.

Gut, dass du dich hier im Forum öffnen kannst.
Jeder braucht eine solche Möglichkeit und nicht alle nutzen die möglichen Hilfen.

Momentan schreibe ich an einer weiteren Geschichte, die in den nächsten Tagen fertig sein wird. Dann stelle ich sie gerne ein. "Freue mich auf ein Wiederlesen!"

Liebe Grüße an dich,
und an alle die hier reinlesen,

Selene :hexe:
 
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