James

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Hallo,


angeregt durch die Informationen im Thread https://www.symptome.ch/vbboard/bue...112158-uberlebt-infiziert-superkeim-mrsa.html möchte ich hier eine Diskussion zu Patientenerfahrungen während einer längeren intensiv-medizinischen Behandlung anregen.

Ich selbst war im Jahr 2003 für 5 Wochen im künstlichen Koma auf einer Intensivstation und konnte das Krankenhaus erst nach fast einem halben Jahr verlassen. Die Zeit während des künstlichen Komas gehört bei mir zu den düstersten Kapiteln meines Lebens, obwohl die anschließende Zeit der Rehabilitation bis man selbst wieder Atmen, Schlucken, Sehen, Essen, Schmecken oder später sich Aufrichten, Sprechen, im Rollstuhl Bewegen, letztlich wieder Stehen, Verdauen und eine Toilette aufsuchen kann. Ein harter und langer Weg, der bei mir etwa 1 Jahr benötigte.

Kaum jemand ist bewusst was da abläuft und besonders während eines künstlichen Koma an Grenzerfahrungen vom Patienten erlebt wird. In den meisten Fällen (so wie bisher auch bei mir) schiebt man diese in den Bereich des Vergessens und unterdrückt jede Erinnerung. Deshalb gibt es bisher nur wenig Berichte, zumeist nur über Nahtoderfahrungen. Es wäre aber nicht nur für das medizinische Personal sondern auch für jeden von uns wichtig, dass man sich zumindest über die Zusammenhänge informiert.

Mein größtes Problem war, dass ich vieles während des künstlichen Koma hören konnte. So auch Gespräche der Ärzte, eine OP "live" erlebte, den Schichtwechsel und die Frage, ob ich morgen in den Keller geschoben werden kann, wie sich meine Familie auf Rat der Ärzte von mir "verabschiedete", weil ich vermutlich den nächsten Tag nicht mehr erleben würde....
Heute nehme ich an, dass die kalte Wut auf den "Fatzke" (so betitelte ich damals den Arzt in Gedanken - sprechen ging ja nicht- am Bett), der nicht über den Zeitpunkt meines Todes zu bestimmen hatte meine letzten Reserven mobilisierte und es kam nicht zu dem prognostizierten multiplen Organversagen. Einige Tage später wurde ich langsam zurück geholt, erstickte dann beinahe, weil die künstliche Beatmung abgestellt, der Tubus gezogen aber meine Atemmuskulatur kaum die Aufgabe erledigen konnte. Man befürchtet, dass man vor Erschöpfung einschlafen könnte und trotz Sauerstoffschlauch in der Nase erstickt.

Kaum jemand, der solche Erfahrungen nicht zu erleiden hatte kann sich vorstellen wie schnell sich nicht benutzte Muskeln abbauen und wie mühsam und langwierig die Reha sein wird. Ich bin leicht adipös mit 85 kg in die Klinik eingeliefert worden und hatte zum Zeitpunkt als ich schon den Rollstuhl benutzen konnte und zugenommen hatte 51 kg Körpergewicht, sodass ich weniger als 50 kg am Ende der Intensivbehandlung wog. Jetzt halte ich mein Gewicht bewusst konstant bei 65 kg.

Soweit erst mal für heute, ich hoffe, dass hier weitere Betroffene berichten.
 
Hallo, lieber James!

Ich kann zwar zu diesem Thema nichts beitragen, möchte dir aber sagen, dass ich die Idee zu diesem Thread großartig finde. Wie sollte man jemals etwas ändern können, wenn nicht genügend Informationen zusammenkommen? Durch die lebendige Beschreibung dessen, was dir passiert ist, stehe ich allein vom Lesen mit auf den Barrikaden. So etwas gehört hinausgeschrien!

Viele liebe Grüße :wave:
Sonora
 
Liebe Sonora,

so geht es aber einer Vielzahl von Intensivpatienten!

Es ist durchaus nicht so, wie bei einer Vollnarkose. Die Tiefe dürfte bei jedem Patienten unterschiedlich sein, jedoch behaupte ich zu sagen, dass ein Teil des "ich" eben da ist.

Ich verlor im künstlichen Koma jede Vorstellung von Zeit. Teilweise konnte ich nicht nur hören sondern auch sehen. Die Seheindrücke sind nicht nur unscharf (bin Brillenträger), sondern da die Augen unbeweglich sind und nicht gerichtet werden könne sah ich 2 unterschiedliche Bilder meist die Tür und ein Teil der Wand.
Bedingt durch gleichzeitig stattfindene Halluzinationen sah ich nicht nur Fehlfarben, sondern es vermischte sich Wirklichkeit und Fantasie. Meine Frau hatte einmal plötzlich Katzenaugen und flammend rote brennende Haare. So stelle ich mir Drogentrips vor und es ist ja im Prinzip auch so. An ein solches Erlebnis erinnere ich mich oft: Einer der Pfleger hatte besonders laut knarrende Schuhe. Man erkannte das schon, wenn er über den Flur zum Zimmer kam. Mit einem Auge sah ich die Tür. Sie ging auf und der Pfleger hing..weil ganz klein.. an der Klinke und schwang sich so in das Zimmer. Mit jedem Schritt auf mein Bett zu wurde er größer. Er wuchs gewaltig bis er an die Zimmerdecke stieß. Von oben herab kamen dann seine Hände wie Greifarme eines Baggers. Jeder Finger ein medizinisches Instrument! Eines davon war jedoch nur ein Schwämmchen. Wie war ich froh, als er dieses benutzte um mir die Lippen zu befeuchten...
 
Ich habe mal ne zeitlang mit jemandem gechattet, der lag auch 3 Monate im Koma nach einem Autounfall. Der hatte sehr ähnliche Erlebnisse im Koma wie James. Er traute sich nicht, dass Personen zu erzählen ,die er im Reallife kannte.

Gleich nach dem Unfall untersuchte er sich mit " seinen Fingern" im Körper selbst und er bekam mit, wie die Sanitäter und Ärtze um sein Leben kämpften und wusste auch sofort, dass er sich das Rückrat gebrochen hatte. Ein einziger Pfleger erkannte, dass er Sachen mitbekam und hat ihn von daher auch dementsprechend behandelt.

Alles Gute.
 
Hallo, ihr Lieben!

Ich habe versucht, mich in diese Situation hineinzuversetzen, und ich muss sagen, ich bin zurückgezuckt, als hätte ich mich verbrannt. Das ist ja eine dermaßen traumatische Situation – wie verkraftet man das?

@ James: Konntest du alles hinter dir lassen oder wachst du noch manchmal schweißgebadet auf?

Liebe Grüße :wave:
Sonora
 
Lieber James,

Dein Bericht erinnert mich an die Zeit, in der mein Mann auf Intensiv lag. Er ist ein sehr stark auf die Familie fixierter Mensch und macht sich, ohne viel zu reden nicht nur Sorgen, er tut auch was dagegen wenn es Not tut, aber halt nur, wenn er gesund ist.

Damals war es die Hölle für ihn, wenn er die Menschen durcheinander reden hörte, was an sein Ohr drang wie Rauschen mit Buchstaben. Die Internsivstation war ca 100 Meter lang und nur durch Vorhänge unterteilt, sodaß man alles mitbekam.

Eines Tages ist er "verbal geplatzt". Er beschwerte sich, daß im Nebenraum seine Nichte dauernd von ihrer Scheidung erzählen würde und er wolle das nicht mehr hören. Seine Nichte war aber gar nicht anwesend.

In Wahrheit war es so. Zu Hause bei seiner Schwester ca.6 km entfernt von der Station wo mein Mann lag, wurde zu eben dieser Zeit ein Telefongespräch mit der Tochter in Singapur geführt, in dem von der Scheidung einer Freundin erzählt wurde.

Jetzt denke ich, daß mein Mann in seinem körperlich geschwächten Zustand seine geistigen Kräfte weit ausgespannt hat um die wichtigsten Dinge um seine Familie mit zu bekommen. Mein Mann war nie Esoteriker, aber seither ist er zumindest auf dem Gebiet nicht mehr ganz taub.

Außerdem klagte er dauernd darüber, daß in den Vorhängen und an den Wänden schreckliche Gesichter auf und ab spielten, die ihn sehr stören würden. Als ich mal in einer therapeutenfreien Minute in dem Patientenblatt blätterte zählte ich 23 verschiedene Medikamente, die mein Mann zur gleichen Zeit verabreicht bekam. Darunter befand sich auch ein "Halo-Medikament".

Die andere Sache war, daß er am selben Tag nach der OP noch trinken sollte. Da aber niemand den Pflegern sagen konnte, daß der Schlucknerv noch nicht funktioniert, weil die Leute dauernd gewechselt haben und die Nachrichten einfach liegen gelassen wurden. Der Erfolg war, daß er eine Lungenentzündung bekam die ihn 7 Wochen länger ans Bett fesselte, als nötig gewesen war nach der OP.
Übrigens ist diese Tatsache mit der Lungenentzündung nicht im Entlassungspapier enthalten gewesen, also hätten wir auch keine Möglichkeit gehabt uns zu beklagen. Die Zeit des langsamen wieder -Essen- lernens hat mich sehr belastet, weil ich nicht wußte, ob er seinen Beutel je wieder vom Bauch weg bekommen würde. Er selber war da zuversichtlich, wie immer, wenn er über etwas nicht nachdenken will.

Liebe Grüße
Rota
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber James,

als ich deinen Beitrag las bekam ich Gänsehaut und meine Erinnerungen nehmen mich gefangen.
Mein jüngster Sohn lag zweimal im künstlichen Koma.
Das erste mal mit zwei Jahren und dann noch einmal als er 18 Jahre alt war.
Er entwickelte sich ganz anders als mein ältester Sohn.Er war sehr menschenscheu,hing sehr an mir und ließ kaum jemanden an sich heran.Er hatte panische Angst vor Krankenhäusern und Ärzte,was sich legte,aber nicht ganz weg ist.
Mit 18 wurde er nach einer OP wieder in ein künstliches Koma gelegt und immer wieder erzählt er mir,dass er täglich auf meine Schritte im Flur gewartet hatte und glücklich war sie zu hören.
Auch er bekam vieles um sich herum mit.
Nun ist er ein selbstbewusster junger Mann geworden,der nicht mehr verschlossen ist und aktiv sein Leben gestaltet.
Das Erlebte imachte ihn sehr sensibel für die Nöte anderer.

Liebe Grüße von Wildaster
 
@bestnews
es ist auch bei mir so gewesen, dass ich erlebte Grenzerfahrungen nicht weiter geben konnte und schwieg. Sicher ist das anfänglich eine Art Selbstschutz, da man diese Erlebnisse verdrängen möchte.
Ich teilte jedoch später noch in der Klinik mit, dass ich vieles hören konnte. Das zuerst mitleidige Lächeln verschwand ganz schnell als ich ein Gespräch zwischen den Ärzten über Fußballergebnisse während meiner OP wieder gab.
@Sonora
Es dauerte schon mehrere Monate, aber man kann es verdrängen. Man ist nach so einer Geschichte stark auf Reha und Zukunft orientiert, da fällt es relativ leicht.
@Rota
Bei mir waren es statt Gesichter Roboter und Maschinen, die ständig störten. Ich glaubte auch statt im Krankenhaus in einer Tiefgarage zu liegen....schon irre!
Die Umstellung von künstlicher auf natürliche Nahrung ist wirklich problematisch, war bei mir aber ganz dringend, da ich die künstliche nicht vertrug. Ich kann mich noch lebhaft an die erste Stulle (mit Leberwurst) erinnern und wie mich dabei der Ekel packte. Jeder Bissen wurde zur Qual, denn es wurde im Mund immer mehr und ging einfach nicht runter. Dazu der Geschmack von altem Motorenöl....widerlich.
Ja, das mit den Behandlungsfehlern ist so eine Sache, besonders weil die Beweise in der Hand der Verursacher liegen. Bei mir war das Wort MRSA auch nicht in den Papieren zu finden, man schrieb dafür einfach "Wundheilungsstörung"!
 
@Wildaster
unsere Postings haben sich überschnitten...
Ich glaube auch, dass solche Erfahrungen den Charakter eines Menschen prägen und das man zugänglicher für Sorgen und Nöte anderer Menschen macht. Schön, dass Dein Sohn das alles so gut verkraftet hat.
 
Hallo James,

vielen Dank für die Eröffnung dieses Threads. Als nichtbetroffene/r kann man halt immer nur Vermutungen anstellen in wie weit Menschen im künstlichen Koma ihre Umwelt wahr nehmen können. Zwar liest man auch in Zeitschriften immer wieder mal, dass die Patienten "vermutlich" viel mitbekommen, aber in diesen Artikeln werden überwiegend eben auch nur Vermutungen ausgesprochen.

Durch die Erlebnisberichte hier im Thread wird klar, wie achtsam man am Krankenbett eines Komapatienten sein sollte.

Meinen tiefen Dank allen die den Mut hatten von ihren Erfahrungen hier zu berichten.

Grüssle
Freesie
 
Hallo zusammen,

Zum Phänomen Intensivstation kann ich auch einiges erzählen, denn davon handelt schliesslich die Hälfte meines Buches. Es gibt auch ein sehr interessantes Buch zu diesem Thema, das eine langjährige Intensivkrankenschwester geschrieben hat. Ich hatte das Buch gelesen, um selber besser zu verstehen, was da eigentlich abgegangen ist. Es hat tatsächlich einige der seltsamen Emotionen erklärt. Das Buch heisst: „Willkommen auf der Intensivstation“, Autorin: Birgit Berfeld, ISBN978-3-902903-27-3 und ist im Goldegg Verlag erschienen.

Doch nun zu meinen Erfahrungen. Meiner Meinung nach kommen die meisten dieser Phänomene und Wahrnehmungsstörungen durch die Medikamente und deren Nebenwirkungen zustande, denn einige dieser Medikamente sind psychoaktiv. Zudem erhält man intravenös meist zehn oder mehr Medikamente gleichzeitig, so dass es zu zusätzlichen Interaktionen kommen kann. Nach dem Absetzen einzelner Medis kommt es zudem zu Entzugserscheinungen. Im Grunde genommen ist man wochenlang auf einem richtigen Drogentrip.

Ich lag ca. 6 Wochen im künstlichen Koma. Dies wurde durch Propofol erzeugt, einem starken Narkotikum. Je nach Dosierung kann es sein, dass man trotzdem einiges der Umgebung mitbekommt, z.B. Stimmen, darauf reagieren kann man jedoch nicht. Eigentlich müsste die Sedierung immer so tief sein, dass der Patient nichts mehr merkt, aber die Tendenz ist, den Patienten nicht zu stark zu sedieren. Propofol erzeugt als Nebenwirkung wilde Träume, die jedoch so real sind, dass man nicht merkt, dass man nur träumt. Da diese so realistisch sind, nimmt es einem emotional auch entsprechend mit. Die Träume waren zum Teil unangenehm bis beängstigend und fanden immer in meinem Umfeld und mit den Personen, die ich aus meinem Umkreis kannte statt. Trotz der Sedierung nimmt man zum Teil gewisse Dinge wahr wie z.B. Stimmen und Bewegungen (bei den Umlagerungen) oder Verschiebungen des Bettes und die regelmässigen Darmentleerungen durch Einläufe. Alles wird jedoch in Träume eingebaut.
Zudem erhielt ich starke Schmerzmittel, Opioidderivate, die sicher auch zum tripähnlichen Erleben beitrugen. Andere psychoaktive Substanzen waren Antidepressiva und Benzodiazepine. Als ich besonders stark halluzinierte erhielt ich dagegen eine antipsychotische Substanz, das Neuroleptikum Haldol. Zudem bekam ich gegen die Entzündung intravenös Kortikosteroide, die auch als Nebenwirkung Depressionen erzeugen können.

Richtig wild wurde es aber beim Aufwachen. Geweckt wird man erst durch Reduktion des Propofols, wenn man klinisch genug stabil ist. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern aber ich war danach oft sehr agitiert, ein Gemisch aus Angst und Nervosität und erhielt dagegen regelmässig das Beruhigungsmittel Temesta (Lorazepam). Ich konnte nicht scharf sehen, denn ich trage normalerweise eine Brille. Auch mit Brille war der Blick nicht mehr scharf und ich sah Doppelbilder. Dies war ein Effekt der vorübergehenden Paralyse des Sehnervs und dauerte Monate. Reden kann man auch nicht, wenn zur künstlichen Beatmung eine Trachelasonde appliziert wird. Ich war immer sehr unruhig und musste mich ständig bewegen und wollte einfach nicht wie gebettet stilliegen. Das Morphinderivat wurde ausgeschlichen und der Entzug mit Methadon begann. Ich war immer furchtbar frustriert, wenn kein Besuch kam, konnte diesen aber trotzdem nicht lange aushalten. Auch Radio und Fernseher konnte ich zu Beginn nicht ertragen. Jeder akkustischer Reiz war unerträglich. Es musste einfach ruhig sein. Trotzdem fühlte ich mich nur sicher, wenn jemand im Zimmer und in Reichweite war, ansonsten kamen wieder Angstgefühle auf. Am liebsten hätte ich ständig jemanden in der Nähe gehabt. Zudem erklären einem weder Ärzte noch Pfleger, warum man sich so scheusslich fühlte. Vielleicht wussten sie es tatsächlich nicht. Die Besucher verstanden auch nicht, was man psychisch durchmachte, wie sollten sie auch?

Im gegenüberliegenden Teil des Zimmers gab es eine Wand, die im oberen Teil für den Lichtdurchlass aus Glas bestand. Dort sah ich wie Ärzte am Arbeiten waren und durchs Zimmer eilten, alles nur Einbildung. Ein Behälter mit Plastikhandschuhen war an der Wand montiert und die Handschuhe lugten daraus hervor. Auch dies führte zu immer neuen Vorstellungen und die Handschuhe wurden zu organischen Gebilden.

Doch irgendwann nach vielen Wochen wird es besser, man lernt wieder zu atmen, die Trachelkanüle wird entfernt, man kann wieder reden und eines Tages die Station verlassen....

Viele Grüsse
Ezra
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für Deinen Erfahrungsbericht!

Seit dem ich -angeregt durch Dein Buch und die Diskussion hier- die völlig verdrängten Erinnerungen aus dieser Zeit wieder vorkrame, kommen stückweise erlebte Episoden wieder in mein Bewusstsein.
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Ich sah in der Zimmerdecke Öffnungen und konnte so in eine Säuglingsstation einsehen. Das erschien mir völlig real und bewunderte die Weitsicht des Architekten, der ja offensichtlich durch diese Baumaßnahme die lange Weile an`s Bett gefesselter Patienten mildern wollte. Und tatsächlich war da immer etwas los...

In der Wand meines Zimmers befand sich ein Musikinstrument auf welchem der Chefarzt öfters wunderbar spielte. Auf meine Frage, was das für ein tolles Gerät sei, erklärte er mir, dass es eine Wurlitzer-Kinoorgel sei.

Wenn die Nachtschwester kam und das Licht dimmte, drückte sie noch auf einen weiteren Knopf. Ich hörte dann ein surrendes Geräusch und von der Decke herab kamen dünne Metallfäden auf mich zu, blieben dann kurz über mir stehen. Die waren elektrisch wie ein Weidezaun geladen und sollten verhindern, dass man trotz der ganzen Schläuche schlaftrunken mal aufsteht.
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Man ist wirklich nicht in der Lage zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden.
Bei mir hatte sich die Fehlsichtigkeit um über 2 Dioptrin verschlechtert und dieser Zustand hielt noch so lange an, dass ich zwischenzeitlich eine neue Brille benötigte. Erst nach über einem Jahr konnte ich die alte Brille wieder benutzen, heute habe ich eine geringere Fehlsichtigkei als vor dem künstlichen Koma.

Auch an die Gräuschempfindlichkeit nach dem Aufwachen aus dem Koma kann ich mich gut erinnern. Die war so hoch, dass zB Fernsehen nicht möglich war und Besuch so anstrengte, dass man nach 1/2 Stunde erst mal vor Erschöpfung schlafen musste.
 
Nochmals hallo,

was James und ich beschreiben sind ja vor allem die psychischen Effekte der Medikamente und des Medikamentenentzugs. Dazu kamen bei mir jedoch noch viele körperliche Probleme, die ich hier aufzähle.

Da man als Patient im Koma künstlich beatmet wurde, muss man stufenweise wieder zu einer selbständigen Atmung zurückkehren. Dies wird nach und nach mit dem Respirator durchgeführt. Wieder selbständig zu atmen ist extrem anstrengend, da die Atemmuskulatur durch vollständige Beatmung durch das Beatmungsgerät sehr stark zurückgebildet wurde. Man hat oft Luftnot und das Gefühl, nicht genug Atemluft zu erhalten, was bis zu Panikanfällen führen kann. An der Trachealsonde muss ca. alle zwei Stunden das Sekret abgesaugt werden, da man dies nicht runterschlucken kann, ein scheusslicher Vorgang, bei der eine Saugsonde bis in die Luftröhre eingeführt wird.

Probleme hat man auch mit der Verdauung, die aufgrund der Opiate stillgelegt ist. Deshalb erhält man ständig Abführmittel. Dies führt zu regelmässigen Blähungen und Unwohlsein. Daneben musste ich auch regelmässig erbrechen.

Ich war wegen der Sepsis dermassen geschwächt, dass ich nicht einmal eine Zeitschrift halten konnte. Zudem hatte ich wegen den Medikamenten extremer Tremor (Händezittern) sobald ich die Hand ablegte. Deshalb wurde schon früh die Physio- und Ergotherapie begonnen.

In der Intensivstation wird das Licht in der Nacht nur gedämmt, nicht ganz abgestellt. Um überhaupt schlafen zu können, erhielt ich immer zwei Schlafmittel. Mit der Zeit halfen diese auch nicht mehr, so dass die Schlaf- und Müdigkeitsperioden sehr unregelmässig über Tag- und Nacht verteilt waren.

Was auch schlimm war, war das Durstgefühl. Als Folge der Wärme in der Station schwitzte ich ständig Bäche. Die Flüssigkeitssonden konnten den schnellen Mineralverlust gar nicht ausgleichen. Deshalb war ich ständig durstig. Weil ich nicht trinken durfte, gab es in Flüssigkeit getunkte Schwämmchen, mit denen einem die Pflege regelmässig den Mund befeuchtete.

Je nach Fall werden die Beschwerden unterschiedlich sein, aber die Anstrengung beim Atmen habe ich schon von anderen gehört.

Viele Grüsse
Ezra
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, Ezra...genau die gleichen Erfahrungen kann ich besätätigen.

Als bei mir der Tubus für die künstliche Beatmung gezogen wurde, hörte ich von einer Schwester den Satz "er atmet nicht!". Dann Gewusel und noch mal "keine Atmung!", dann eine männliche Stimme "Scheisse!". Langsam machte ich mir Sorgen um den Patienten. Wer nicht atmet schädigt sein Gehirn und wird letztlich sterben. Wie blöd muss der sein!...Dass ich damit gemeint war, registierte ich erst als ich mit Namen angesprochen wurde.
Unglaublich, welche Anstrengung das Atmen bedeutete. Im Gegensatz zu Ezra hatte man bei mir das nicht schrittweise (10 Jahre Unterschied) , sondern rigoros durchgeführt. Das Gefühl, kurz vorm Ersticken zu sein dauerte fast 2 Tage. Damals wäre ich froh gewesen sterben zu dürfen. Man konzentriert alle verbliebenen Kräfte auf die Atmung, ist total erschöpft und hat trotzdem Angst einzuschlafen. Man füchtet dann qualvoll zu ersticken...
Eventuell wird jetzt der Unterschied deutlich:
Menschen mit solchen Erfahrungen fürchten nicht den Tod, sondern das Sterben.
 
Hallo, ihr Lieben!

Ich frage mich die ganze Zeit, was man machen könnte, damit diese schreckliche Zeit, von der ihr berichtet, irgendwie "entschärft" werden könnte. Gäbe es da Möglichkeiten oder ist es ganz einfach so, dass man da "durch" muss, wenn es einen "erwischt"? Die Vorstellung, mehrere Tage lang einen einzigen Erstickungsanfall auszuhalten, ist der blanke Horror, und auch alles andere, was ich hier gelesen habe, ist einfach nur schlimm.

Und warum erfährt eigentlich niemand etwas davon? Irgendwie denkt doch jeder, das künstliche Koma wäre eine tolle Sache – man schläft, bis man gesund ist, dann wacht man auf und alles ist gut...

Danke, dass ihr uns so genau von dem berichtet, was wirklich passiert, wenn man dermaßen hilflos daliegt. Mögt ihr berichten, was ihr euch an Verbesserungen wünschen würdet?

Viele liebe Grüße :wave:
Sonora
 
Hallo Sonora,


ich persönlich empfinde es als kriminellen Akt, dass man hinter her...also wenn alles überstanden ist... NICHT aufgeklärt bzw psychologisch betreut wird!
Genau dieser Umstand führt dazu, dass man als Patient das Erlebte nicht verarbeiten kann und verdrängt. Man zweifelt über Jahre an seinem eigenen Verstand und traut sich nicht (ja noch nicht mal dem Ehepartner) darüber zu sprechen. Insgesamt führt es dazu, dass im "Hinterstübchen" so viel Ungeklärtes offen bleibt, was letztlich sich mit Sicherheit auch auf körperliche Dinge und den Heilungsprozess auswirkt.
Genau das ist der Grund, warum ich das Buch von Ezra und Birgit Bergfeld (also aus der Sicht eines Betroffenen und aus der Sicht des med. Personals) für so wichtig halte. Es sind die ertsten Berichte, die Zusammenhänge deutlich machen. Mir jedenfalls haben sie sehr geholfen. Und ich denke, wenn aus unserem Kreis einem informierten Patienten Ähnliches widerfährt man in einer ganz anderen Position ist. Man weiß, warum das so war und dass man diese Erscheinungen nur durch die starken Medikamente erlitt. Das ist eine ganz andere Ausgangsbasis.
Verbessern könnte man nach Meinung, dass feinere Methoden entwickelt werden um festzustellen ob der Patient wirklich tief genug in "Narkose" liegt und eben nichts mitbekommt. Das müsste ja durch Messung der Hirnströme machbar sein.
 
Hallo James,

Verbessern könnte man nach Meinung, dass feinere Methoden entwickelt werden um festzustellen ob der Patient wirklich tief genug in "Narkose" liegt und eben nichts mitbekommt. Das müsste ja durch Messung der Hirnströme machbar sein.

Mir ist z.B. passiert, daß ich nach meiner Uterusex OP durch den harten Zugriff des Personals vom OP-Tisch auf die Transportliege hinüber, aus der Restnarkose erwacht bin und mußte mir den Satz anhören " Mensch, des is vielleicht a Fette". Vor Schreck oder aus Scham bin ich dann wieder in die Narkose zurückgeschlüpft.

Es sollte zur Ethik in den Räumen um die OP-Räume gehören, weder private Gespräche zu führen, noch Bemerkungen über die Patienten abzusondern. :D

Es verletzt zusätzlich zum Schnitt in die Haut, die Seele, wenn man in so einem hilflosen Zustand ist. Bis heute, 25 Jahre nach dem Erlebnis spüre ich noch das seelische Aufbäumen das mit einer namenlosen Wut verbunden ist.

Gruß Rota
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo, ihr Lieben!

Puh, das Thema nimmt einen ganz schön mit! Ich hoffe von Herzen, dass sich da ganz schnell ganz viel ändert! Gut, dass man heutzutage etwas viel leichter öffentlich machen kann als noch vor 20 Jahren. Vielleicht bekommen ja dadurch die entscheidenden Leute etwas mit und es tut sich was. Aber wahrscheinlich müssen sich bis dahin noch sehr viel mehr Menschen melden und berichten, was sie erlebt haben. Bei Einzelstimmen wird viel zu gerne abgewunken, damit man sich nicht mit der Thematik beschäftigen muss.

Liebe Grüße :wave:
Sonora
 
Hallo Sonora,

das stimmt! Nur durch das neue (O-Ton Merkel) Medium Internet ist ein solcher Austausch und Information möglich. Und das ist gut so!!!
Meine Erlebnisse mit einer viel zu flachen Sedierung liegen 10 Jahre zurück, aber erst jetzt ist es mir möglich diese zu verarbeiten. Das ist ein Umstand, den ich den behandelten Ärzten ganz stark ankreide, da es mit wenigen Worten möglich gewesen wäre, die Probleme, die sich dadurch ergeben haben zu vermeiden. Für mich ganz klar nicht nur eine Körperverletzung, denn nicht nur ist in der Folgezeit eine Familie zerstört, eine Ehe aufgelöst, eine Existenz erloschen, die Sicherung des Alters aufgehoben und daduirch die Bahn des Lebens auf ein tieferes Niveau gebracht worden, sonden auch ein Eifluß auf die Psyche ausgeübt worden. Ich glaube, dass die Überheblichkeit mancher Ärzte, die durchaus wissen was da abläuft und keine Aufklärung betreiben als krimineller Akt zu verstehen ist.
 
Hallo, lieber James!

Ich könnte mir vorstellen, dass es sich dabei auch um eine Art von Drückebergerei handelt. Niemand will zugeben, dass irgendetwas falsch gelaufen ist und niemand will die Verantwortung dafür übernehmen. Was leider bedeutet, dass immer weiter davon ausgegangen wird, dass alles schön und gut ist – denn da war ja nichts, was falsch lief...

Liebe Grüße :kiss:
Sonora
 
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