Wenn Ärzte krank machen: Die absurden Folgen des Gesundheitswahns

nicht der papa

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  • Und wer davon am meisten profitiert
Von Bert Ehgartner
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Auszüge:
Der Arzt liest die Zahlen vom Blutdruckgerät: „165 zu 100“ – und murmelt dazu „viel zu hoch!“. Für die 70-jährige Pensionistin Maria Klein* bedeutet dies, dass sie sich ab sofort wieder an eine neue Pille gewöhnen muss. Es ist nun bereits das zweite Blutdruckmedikament, das sie täglich einnehmen soll. Sie fragt den Arzt, wie lange sie das Mittel benötige. Und die Antwort lautet – nicht gerade im optimistischsten Tonfall: „Bis sich endlich etwas tut!“

Vor nicht allzu langer Zeit lautete die Faustregel beim Blutdruck noch „Lebensalter plus 100“. Da wäre Frau Klein mit ihrem Wert gut im Referenzbereich gelegen. Doch die Zeiten ändern sich. Die Grenzwerte purzeln generell in immer tiefere Regionen. Nicht nur für ältere Menschen erscheint es zunehmend unmöglich, im „grünen Bereich“ zu bleiben. Im Lauf des Lebens summieren sich die Dauermedikamente wie Jahresringe. „Gesund ist nur, wer noch nicht ordentlich untersucht worden ist“ – nie war dieser Kalauer realitätsnäher.

Den Takt geben zumeist die Amerikaner vor – nicht nur beim Blutdruck. Mit der Absenkung des Blutzuckergrenzwerts von 110 Milligramm pro Deziliter Blut (mg/dl) auf 100 mg/dl wurde die Zahl der Diabetiker in den USA im Jahr 2003 mit einem Schlag von vier auf 30 Millionen erhöht. Ein Jahr später übernahm auch Europa diesen Wert. Nun diskutieren die Fachgesellschaften bereits, ob eine erneute Senkung des Grenzwerts auf 95 mg/dl angebracht wäre.

Beim Cholesterin ist es kaum noch möglich, die Grenzwerte weiter abzusenken. Hier gilt bereits seit Mitte der achtziger Jahre ein oberes Limit von 200 mg/dl. Dies erscheint in einem besonders originellen Licht, wenn man weiß, dass der Durchschnittswert bei 40-jährigen Frauen in Österreich bei etwa 220 mg/dl liegt, bei Männern sogar bei 235 mg/dl. Im Alter von etwa 60 Jahren gleichen sich die Geschlechter bei 245 mg/dl an. Erst gegen Lebensende fällt der Wert rapide ab. Eigentlich wäre es demnach wesentlich rationaler, sich vor einem Absinken des Cholesterinspiegels zu fürchten. Die Überlegungen gehen dennoch in die Gegenrichtung. „Derzeit wird über eine Absenkung auf 180 mg/dl geredet“, sagt Martin Sprenger, Arzt und Gesundheitsexperte der Medizinischen Universität Graz.

Dahinter stecke laut Sprenger durchaus Kalkül. Geld verdient werde nämlich nicht mit Medikamenten für den Akutbedarf, etwa für eine nach wenigen Tagen abgeschlossene Antibiotikabehandlung, sondern mit Dauermedikamenten, die möglichst ein restliches Leben lang täglich genommen werden. „Derzeit halten wir hier bei einem Anteil von 70 bis 80 Prozent“, sagt Sprenger. „Und die Industrie versucht, diesen Markt immer weiter auszureizen.“ Die Behandlung von stark erhöhtem Blutdruck bringe einen großen Nutzen, erklärt Sprenger. Allerdings sei hier der Markt relativ klein. „Je niedriger die Grenzwerte gezogen werden, desto größer wird der Markt. Umso kleiner wird allerdings der Nutzen, den ein Medikament für den einzelnen Menschen bringt.“

Eine besonders perfide Strategie, sagt Sprenger, werde mit neuen Tests, etwa auf ein vererbtes Risiko, verfolgt. Wer mit 36 Jahren erfährt, dass er beispielsweise ein genetisch bedingtes erhöhtes Alzheimer- oder Krebsrisiko hat, gehört damit ab sofort zur Gruppe der so genannten „worried well“, der „besorgten Gesunden“. Diesen Personen wird daraufhin ein Maßnahmenkatalog mit regelmäßigen Tests oder vorbeugenden Produkten angeboten. „Über einen genetischen Test können somit viele Menschen, die vollständig gesund sind, zu Konsumenten von fragwürdigen Gesundheitsleistungen gemacht werden.“

Wie wenig wir jedoch in Wahrheit über die Konsequenzen weltweiter Vorsorgekampagnen wissen, illustriert ein Beispiel aus Kanada. Als dort im vorigen Frühjahr die erste Welle der Schweinegrippe auftrat, machten die Ärzte eine eigenartige Beobachtung: In den Schulen erkrankten vor allem jene Kinder, die zuvor gegen die normale Grippe geimpft worden waren. Die Gesundheitsbehörden gaben vier Studien in Auftrag, um diese These zu prüfen. Die in der Vorwoche veröffentlichten Resultate erhärten den Verdacht: Tatsächlich hatten geimpfte Personen im Schnitt ein doppelt so hohes Risiko, an Schweinegrippe zu erkranken, als solche, die nicht gegen die normale Grippe geimpft waren.

Ganzkörper-Scan. In welcher Dimension dieses Problem auf uns zukommt, zeigt ein groß angelegtes Programm, das derzeit im deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern läuft. In einer Kooperation der Universität Greifswald mit der Siemens AG sollen 4000 Personen in die Röhre eines Magnetresonanztomografen geschoben und genauestens durchleuchtet werden. Ein erster Testlauf mit 200 Freiwilligen wurde bereits absolviert. Resultat: Um die Gesundheit der Mecklenburger ist es miserabel bestellt.

Nur bei zehn Prozent der Probanden wurden keine krankhaften Veränderungen entdeckt, diese waren demnach „ganz gesund“. Weitere zehn Prozent konnten nach einigen zusätzlichen Tests, die zur Abklärung nötig wurden, ebenfalls als gesund entlassen werden. Aber bei den restlichen 80 Prozent fanden sich unter anderem ein Hirntumor, verengte Herzkranzgefäße, Brustkrebs in verschiedenen Vorstadien sowie Tumore in der Lunge und im Bauchraum. Dabei waren alle Teilnehmer, die sich für diese Studie in die Röhre legten, ohne akute Beschwerden und zudem noch relativ jung, im Schnitt gerade einmal 48 Jahre alt. Was wäre hier erst zu erwarten, wenn dieses Ganzkörper-Screening für eine noch etwas ältere Gruppe der Normalbevölkerung angeboten würde? Und was macht man mit einer Methode, die mehr als 90 Prozent der Teilnehmer als krank überführt? Das deutsche Beispiel zeigt eindringlich, dass sich offenbar nicht alle Krankheiten als solche manifestieren, sondern viele von selbst wieder verschwinden. Bekannt ist dieses Phänomen bislang vor allem von den Programmen zur Früherkennung des Zervixkarzinoms. Hier werden Zellen vom *Gebärmutterhals abgenommen, fixiert und dann im Labor begutachtet. „Bei jüngeren Frauen ergeben sich häufig Veränderungen, die Krebsalarm auslösen, aber nahezu immer von selbst wieder ausheilen“, erklärt Ahti Anttila, der Koordinator des finnischen Screeningprogramms, gegenüber profil.

Als Konsequenz wurde ein Mindestalter von 30 Jahren eingeführt. Genauso problematisch sei es, wenn zu häufig untersucht wird, sagt Anttila. „Wir wissen, dass ein Vorstadium mindestens zehn Jahre braucht, um sich in einen invasiven Tumor zu verwandeln.“ Die Konsequenz der Finnen: Die Frauen werden nur alle fünf Jahre untersucht. Dann jedoch mit persönlicher Einladung und peinlich genauer Qualitätskontrolle, um zu vermeiden, dass Abstriche schlampig entnommen und die Zellen im Labor nicht interpretiert werden können. Dies führte sogar dazu, dass die Gynäkologen aus dem offiziellen Programm ausgeschlossen wurden, weil sie Schulungen verweigerten.

Die Abstriche werden nun zur allgemeinen Zufriedenheit von Hebammen und Krankenschwestern durchgeführt. Mit dieser Taktik erreichte Finnland die weltweit mit Abstand niedrigste Sterblichkeit beim Zervixkarzinom, hierzulande liegt sie im Vergleich mehr als doppelt so hoch. In Österreich wird nach wie vor das „wilde Screening“ praktiziert, wo Frauen meist schon ab 18 – und oftmals im Halbjahresintervall – untersucht werden.

Das Ergebnis sind wesentlich mehr unnütze Eingriffe, mehr Krebstherapien und Gebärmutteroperationen bei großteils fehlender Qualitätskontrolle. Von einer Initiative, hier den erfolgreichen Weg der Finnen zu kopieren, ist keine Rede. „Wir wissen, dass sich die Gynäkologen sehr schwertun, diese natürlichen Abläufe zu verstehen“, sagt Anttila. „Und manche meinen auch, sie könnten schlechte Untersuchungsqualität dadurch kompensieren, dass sie öfter untersuchen. Aber das ist ein Irrtum.“
 
Also, am besten nicht zum Arzt gehen :schock::schock::schock:

viele gesunde Grüße

Sidisch
 
Genauso ist es sidisch, wer sich in den Sog der Krankheitsindustrie hineinziehen lässt, kommt schließlich darin um.
Danke liebe M für Deinen Beitrag!
Wie jeder Mensch schätzte ich die Akut-Leistungen der Medizin, aber wer sich auf die "Werte" der Industrie als Ziel einlässt, wird zum Dauer-Patienten gemacht. Eine Aufklärung darüber sollte das Hauptziel eines Forums sein, das sich mit dem Anspruch vom "Ende der Symptombekämpfung" schmückt.

Viele Grüße, Horaz
 
Das was sie beim Blutdruck, dem Cholesterin oder der Psyche übertreiben ,könnten sie mal auch auf andere Dinge ummünzen wie zb Schilddrüsenwerte oder Nährstoffmängel...

Kann es sein dass man bei einer Sache mehr Profit rausschlagen kann als bei der anderen?


Gruß Mara :)
 
mara ich stimme dir da voll und ganz zu. sollen die doch auch mal intoleranzen SD erkrankungen und nährstoffmängeln so viel aufmerksamkeit schenken. ich würds klasse finden
 
Hallo ,
bevor das hier eine Hatz auf Ärzte wird , bitte mal überlegen ... der einzelne Arzt hat manchmal ein Wartezimmer , das ist so voll , das er regelmäßig lange über die Sprechzeit hinaus arbeiten muss , die Schwestern finden das auch nicht toll und wimmeln barsch die Patienten ab . Und wenn man drin ist , hat der Arzt kaum Zeit , er kann nicht die Geschichten aller seiner Patienten kennen. Und dann muss er aufpassen , keinen Ärger mit den Krankenkassen zu bekommen . Und in den Sprechzeiten kommen dann auch die Pharmareferenten , da sie sonst selten Termine bekommen. Und wer macht für ihn Weiterbildungen, wann soll er noch Literatur zum Thema studieren ?
Es ist die Organisation unseres Gesundheitssystems , Gesundwerden kann/darf nicht nach wirtschaftlichen Aspekten ausgerichtet sein. Ist es aber . Und das wird sich nicht ändern.
Wir können / müssen nur selber aufpassen , manche Krankheiten kann man vermeiden. So , wie wir heute leben , werden wir zunehmend kränker.Unsere Kinder kommen doch teilweise schon krank auf die Welt.
Lg K.
 
@Kullerkugel

Ja da hast du ja auch vollkommen recht, ein Arzt kann nicht bei allen Patienten jeden Wert,jeden Vitaminstatus und jede Hormonstörung voll abchecken...
Aber es gibt schon Hausärzte die sind besser oder schlechter als andere...

Und das Grundproblem liegt wohl wirklich in der Organisation des Gesundheitswesens sowie der Pharmaindustrie.

Gruß Mara :)
 
Hallo mara , deshalb ist es ja gut , das der Patient etwas Bescheid weiß .... und deshalb ist es toll, das man sich hier darüber austauschen kann .Hier gibt es so viel Wissen , das könnte mancher Arzt gebrauchen.
LG K:
 
@Kullerkugel

Da kann ich dir nur zustimmen, bin froh dass es dieses Forum gibt und die vielen Leute die sich auskennen mit verschiedensten Sachen. ;)

Gruß Mara :)
 
Hier gibt es so viel Wissen , das könnte mancher Arzt gebrauchen.
LG K:
Apropos :D
[FONT=Times New Roman, serif]Australische Mediziner raten, wenn Ärzte nicht mehr weiter wissen, sollten sie öfters mal die Internet-Suchmaschine Google nutzen. Die Mediziner haben bei ihrem Google-Test festgestellt, dass Google in jeden zweitem Fall die richtige Diagnose ausspuckte. Eine bessere Trefferquote sollen selbst erfahrene Ärzte auf Anhieb nicht haben, so die Einschätzung der Experten.
[/FONT]
[FONT=Arial, sans-serif] Quelle: bdw Red. (2007): Am Rande - Dr. Google, medinfo – Medizin, Verl. Konradin Medien GmbH, bild der wissenschaft, S. 41, 7/07[/FONT]
 
Hallo ,
dann habe ich ja am Ende doch den "richtigen Arzt" gefunden gehabt , denn wenn mich damals einer gefragt hat , wer denn mein Histaminproblem erkannt hat , habe ich immer gesagt "Dr.Google".:zunge:
Dadurch bin ich ja hier gelandet ...:)
LG K.
 
Ich denke, die meisten Patienten (hierzulande) wurden nicht durch Ärzte krank - sondern sie sorgten selbst dafür.
 
Das was sie beim Blutdruck, dem Cholesterin oder der Psyche übertreiben ,könnten sie mal auch auf andere Dinge ummünzen wie zb Schilddrüsenwerte ..........

Kann es sein dass man bei einer Sache mehr Profit rausschlagen kann als bei der anderen?


Gruß Mara :)
Dann ist es wohl an dir vorbei gegangen, dass die Werte für die SD genau so abgesenkt wurden.:rolleyes:
 
Wenn ich ernstlich krank bin, gehe ich wohl zum Arzt oder zur Ärztin. ;)
Doch suche ich jemand, der nicht gleich alles andere auch noch untersuchen will. Ich halte nichts von jährlichen Untersuchungen beim Allgemeinmediziner, ob alles noch in Ordnung ist. Ich werde gleich achtsam, wenn es heißt: das und das wäre auch einmal nachzuprüfen. Als Privatpatient ist man gern gesehen. :wave:

Sidisch
 
Apropos Google:

Laut Dr Google könnte man dann aber auch wieder alles Mögliche haben was vielleicht gar nicht mal so typisch ist oder eben falsch, besonders wenn man bei englischen Sites und so guckt.
Hab mir das zum Glück wieder etwas abgewöhnt und halte mich da jetzt doch eher wieder mehr ans deutschsprachige Web.


@nicht der papa

Nö ist nicht an mir vorbeigegangen, bei meinem Labor stand zwischen 0,3 und etwas über 4 bei dem TSH Bereich, also noch alte Werte...

Gruß Mara :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Eigentlich gilt heute schon das, was früher über die Entwicklungsländer gesagt wurde: eine gesunde Umgebung, sauberes Trinkwasser, Hygiene, gesunde ausreichende Ernährung würden den größten Teil des Medizinwesens überflüssig machen, auch bei uns- vielleicht sollte man noch ergänzen: gesunde Luft, Minimierung von elektromagnetischer Strahlung. Aber daran ist anscheinend der Staat/die Industrie nicht interessiert!

anne heidi
 
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