Themenstarter
- Beitritt
- 20.11.08
- Beiträge
- 31
Hallo,
inzwischen bin ich auch eine von den Symptomgeschädigten. Hier mal mein "Werdegang".
Vor zwei Jahren ging ich in einen Baumarkt, hob einen Farbeimer an, verhob mich (scharfer kurzer Ischiasschmerz) und dachte Na toll, in ein paar Stunden geht es los. Dazu sei gesagt dass ich seit über 10 Jahren Probleme mit Rückenschmerzen im LWS-Bereich hatte und diese meist auftraten nachdem ich mich gebückt hatte bzw. während dessen. Manchmal konnte ich mich dutzende von Malen bücken ohne das was passierte. Dann wieder reichte der Griff zu den Schuhen und ich bekam so schlimme Schmerzen das wochenlang außer schweren Medikamenten nichts ging und die Medikamente auch nur bedingt halfen.
Diesmal blieb der Schmerz zu meiner Überraschung und Freude aus. Doch am nächsten morgen wachte ich auf und hatte das Gefühl meine Fußsohlen seien eingeschlafen. Es kribbelte rund um die Außenkanten der Füße und die Sohen waren taub. Ich war gerade verreist und wollte nicht zum Arzt, nahm die Sache auch noch nicht ernst.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und die Taubheit inklusive kribbelndem "Rand" ging bis in die Waden. Zwei Tage später, ich war gerade wieder zu Hause angekommen, total erschöpft ohne mich angestrengt zu haben und hatte mich für ein paar Stunden hingelegt, wachte ich auf und die Taubheit ging bis in den Schritt. Ich saß auf der Toilette und musste mit der zweiten Hand nachtasten ob die erste Hand das Toilettenpapier an der richtigen Stelle benutzt.
Es war abends und ich ging sofort ins Krankenhaus. Dort erzählte ich auch die Sache mit dem Farbeimer, was aber nicht interessant war. Ich kam in die Neurologie weil die Ärzte sofort davon ausgingen dass es ein neurologisches Problem sei. Ich sollte für eine Lumbalpunktion und ein MRT unterschreiben. Die Punktion wollte ich verweigern weil einige Jahre vorher schon einmal bei mir eine gemacht wurde bei der nichts heraus kam und die Ärzte mich danach wie eine Simulantin behandelt hatten. (Auch da ging es um Rückenprobleme)
Doch die Neurologin überredete mich weil es so extrem wichtig sei. Ich klärte ab das ich aber auf jeden Fall auch die MRT wolle, egal was bei der Punktion heraus käme, was mir auch zugesagt wurde. Ab da ging dann alles schief...
Die Punktion wurde ohne Betäubung gemacht, die Ärztin machte 5 Punktionen ohne einmal Nervenwasser ziehen zu können. Nach der fünften war ich ein heulendes, zitterndes Wrack und weigerte mich eine weitere machen zu lassen. Daraufhin wurde mir gesagt es würde eine weitere gemacht bei der ich im CT liegen würde, dabei könne nix schief gehen und ich würde dabei schlafen. War gelogen. Ich lag zwar im CT und dabei ging auch nichts schief aber ich schlief nicht. Ich hatte nur ein Beruhigungsmittel bekommen, dass nach soviel Schmerzen durch die Punktionen und mit körperlichem und psychischen Schocksymptomen kaum wirkte.
Nach der Punktion (freitags) kam erstmal nichts. Kein MRT, keine weiteren Untersuchungen. Stattdessen wurde ich auf Carbamazepin gesetzt. Neuroleptika, ich wurde kaum noch wach und kam mir Gaga vor aber die Taubheit blieb und wurde schlimmer je länger ich liegen musste.
Am Sonntag hatte ich dann die Schnauze voll, denn als ich morgens aufstand und über den Gang zur Toilette schlurfte brauchte ich unglaublich viel Kraft um die Beine vom Boden hoch zu bekommen. Nachdem sie schon tagelang auf der Haut taub waren, ließ nun auch meine Fähigkeit sie zu bewegen nach. Die Taubheit ging bis zum Bauchnabel.
Ich verlangte so lange lautstark nach einem Arzt bis die Wochenendbesetzung tatsächlich kam. Die zweite Neurologin und anscheinend etwas versierter. Sie war entsetzt dass die MRT noch nicht gemacht worden war. Sie meinte ich hätte ein klassisches Reiterhosensyndrom. Es bedeutet das genau die Stellen taub werden an denen Reiterhosen verstärkt sind bzw. stützen sollen.
Die MRT war dann gruselig, denn ich lag eineinhalb Stunden in der Röhre. Je mehr sie machten desto klarer wurde mir das sie was gefunden haben müssen. Ich wurde vom Gesäß bis zur Schädeldecke abgelichtet.
Kaum wieder draußen und im Krankenzimmer zurück kam dann ein anderer Neurologe und teilte mir mit das ich Entzündungen im Gehirn hätte und nun hochdosiertes Kortison bekäme. Während er den Tropf legte bemerkte ich das keine weitere Aufklärung stattfinden sollte. Da ein Verwandter von mir Multiple Sklerose hat, haben die Entzündungen im Gehirn bei mir schlimmste Befürchtungen ausgelöst. Dass sagte ich auch und bekam zur Antwort: "Ja, das ist das worüber wir im Augenblick diskutieren."
Das Kortison wirkte unglaublich schnell. Abends am Tropf, am nächsten Tag schon etwa mehr Gefühl in den Beinen. Die Ärzte wollten mir das kaum glauben. Ich war bereits auf MS festgenagelt und bei MS würde das länger dauern. Ich erfuhr das meine Lumbalpunktion tatsächlich keine Hinweise auf Entzündungen enthielt. Also war die MRT tatsächlich deswegen mal wieder ausgelassen worden.
Nach einer Woche konnte ich das Krankenhaus verlassen. Mein Nervenwasser wurde an ein Labor geschickt wo es auf alles mögliche untersucht werden sollte. U.a. auf oligoklonale Banden (richtig geschrieben?). Ich ließ mir die Laborergebnisse von einer netten Mitarbeiterin im KH kopieren. Keine Auffälligkeiten, keine olig. Banden. Doch meine neue Neurologin meinte das sei noch nicht sicher, sie müsse beim Labor nochmal nachfragen. Das dauerte satte drei Monate! In dieser Zeit hatte ich viele Schmerzen, denn nachdem die Taubheit ging, bekam ich starke Schmerzen und wurde mit Neuroleptika zugestopft, die ich nur nahm weil sie tatsächlich ein bisschen halfen. Leider schlief ich dadurch dauernd, war träge und depressiv. Sonst hätte ich mich vielleicht mehr dahinter klemmen können.
Nach drei Monaten hatte ich dann den entscheidenden Termin bei der Neurologin und sie sagte ich hätte diese Banden in meinem Nervenwasser, sie sei sich sicher dass ich MS hätte. Da es aber internationale Richtlinien gäbe welche Kriterien erfüllt sein müssten bevor MS diagnostiziert werden darf müsste ich erst in einem bestimmten Zeitraum zur Kontroll-MRT.
Also fragte ich was die MRT denn zeigen müsste wenn es keine MS sei. Ihre Antwort:"Also wenn die Entzündungen größer geworden ist, dann ist es MS. Wenn sie kleiner geworden sind, dann ist es auch MS."
Auf meine Nachfrage was es denn nun sein müsse wenn es nicht MS bedeuten würde kam dann "Wenn nur eine der Entzündungen extrem größer geworden ist, dann haben Sie Krebs."
Ich ging aus der Praxis raus und wollte mich umbringen. Wenn ich mir nicht kurz vorher einen Hund zugelegt hätte, wäre ich vermutlich noch am gleichen Tag gestorben. Wie kann man einem Menschen etwas so hart an den Kopf knallen ohne entsprechend auf ihn einzugehen und ein paar warme Worte dazu zu tun dass das Leben weiter gehen kann?
Die Kontroll-MRT erbrachte dass die Entzündungen kleiner geworden waren. Der Neurologe der hinterher mit mir sprach war ein Experte für MS und klärte mich darüber auf, dass ich - wenn es denn MS sei - eine sehr leichte Verlaufsform davon hätte. Er verglich mich mit einem seiner Patienten der nach einem Unfall einmalig einen Schub hatte und danach nie wieder. Getröstet bekam ich endlich einen etwas klareren Kopf. Ich wechselte meinen Hausarzt, erkämpfte mir besser wirkende und weniger müde machende Neuroleptika und nach 5 Monaten schließlich dass ich sie wieder absetzen durfte. Ich ging jeden Tag stundenlang mit meinem Hund egal wie groß die Schmerzen waren. Und ich fing an gegen die Verdachtsdiagnose zu kämpfen. Denn der Arzt bei der Kontroll-MRT hatte meine Unterlagen und da stand nichts von oligoklonalen Banden laut Laborbericht drin!
Eine Verdachtsdiagnose auf MS scheint für Ärzte ein rotes Tuch zu sein. Obwohl mein HA mir versicherte selbst nicht zu glauben dass ich MS hätte, erlahmten seine Überweisungen zu Untersuchungen auf andere Erkrankungen recht schnell. Erst bei einer dritten Kontroll-MRT nach elf Monaten bei einem neuen Neurologen kam dann die Wende. Die Entzündungen waren vollständig abgeheilt, es gab keine inaktiven Entzündungsherde, keine Vernarbungen, keine bleibenden "Schäden". Dafür hatte ich - mal wieder - Rückenschmerzen die bis ins Bein zogen und der Arzt meinte meine LWS solle mal untersucht werden. Bereits bei der ersten MRT im KH wurde festgestellt, dass mein unterster Lendenwirbel nicht mehr ganz in Ordnung war.
Doch mein HA hielt Zusammenhänge für ausgeschlossen, da der Schaden auf den MRT-Bildern minimal aussah und wollte mich nicht zum Neurochirurgen schicken. So dauerte es insgesamt 18 Monate bis ich über einen Orthophäden schließlich doch zu einem Neurochirurgen kam. Doch zu dem Zeitpunkt hatte ich ausnahmsweise keine Rückenschmerzen und der hätte mich beinahe wieder weg geschickt. Also simulierte ich. Asche auf mein Haupt aber ich konnte nicht anders. Ich hatte es sooooo satt...
Daraufhin bot er mir eine weitere Untersuchung an. Diesmal eine Diskographie. Dabei wird eine lange Nadel in die verdächtigen Bandscheiben gepiekst und eine Flüssigkeit eingespritzt. Daran lässt sich erkennen ob die Bandscheibe intakt ist und an den entstehenden Schmerzen lässt sich erkennen was und in wie weit eine nicht intakte Bandscheibe zu verantworten hat.
Nach der verhunzten Lumbalpunktion hatte ich eigentlich vor mir nie wieder Nadeln ins Kreuz stechen zu lassen, aber dies war meine große Chance endlich Licht in die Sache zu bringen, also willigte ich ein. Ich habe so geschrien dass ich dachte alle müssten taub werden. Die Flüssigkeit wurde auf der einen Seite eingespritzt und floss auf einer anderen einfach wieder raus.
Es kam heraus das nicht eine sondern zwei Bandscheiben total degeneriert sind. Die entsprechende Verdunklung auf den MRT-Bildern war nicht ernst genommen worden weil ich mit 35 Jahren dafür eigentlich viel zu jung bin und mit leichtem Untergewicht zudem nicht als typischer Kandidat gelte.
Ich ließ mich direkt danach operieren. Keine leichte Sache. Weil es gleich zwei Etagen waren und eine durch ein Implantat ersetzt werden musste, wurde durch den Bauch operiert, den jetzt eine 15 cm lange Narbe direkt neben dem Bauchnabel von oben nach unten ziert. Doch die Narbe ist mir egal. Die Rückenschmerzen sind weg. Genauso wie die Verdachtsdiagnose auf MS. Auf einmal heißt es Radikulärsyndrom, was übrigens ein Ausschlusskriterium für MS ist, bei mir aber auch ignoriert worden war. Die Entzündungen sind höchstwahrscheinlich ein Etagenphänomen. Im unteren Rücken haben sich Nerven immer wieder entzündet, der Körper hat verkrampfende und belastende Schonhaltungen angenommen, der ganze Rücken verkrampfte und letztendlich führte das zu Entzündungen an ganz anderer Stelle.
Was die Grunderkrankung angeht bin ich inzwischen Beschwerdefrei. Doch die Kollateralschäden sind groß. Ich stand vor dem Beginn meiner Promotion inklusive Promotionsjob der jetzt längst weg ist. Ich dürfte sowieso nicht mehr lange genug am Schreibtisch sitzen um eine Doktorarbeit schreiben zu können. Und meine Psyche hat dabei so einen Tritt bekommen, dass ich in therapeutischer Behandlung bin und meine Stressresistenz minimal ist. Die vielen Medikamente und die erzwungene, fast zweijährige Ruhestellung hat meine Muskulatur total runtergefahren. Ich musste umziehen weil an meinem ursprünglichen Wohnort niemand da gewesen wäre, der mich - wenn es MS gewesen wäre - regelmäßig zum Einkaufen, zu Arztterminen u.a. Sachen hätte fahren können und ich kein Auto habe. Ich bin seitdem ALG-II-Empfängerin weil ich kurz vor Beginn eines neuen Arbeitsvertrages krank geworden bin.
Es gibt auch Dinge die sich zum positiven geändert haben weil man durch so eine Geschichte das Weltbild total dreht, aber soviel erstmal zu meiner Symptom-Geschädigten-Story.
inzwischen bin ich auch eine von den Symptomgeschädigten. Hier mal mein "Werdegang".
Vor zwei Jahren ging ich in einen Baumarkt, hob einen Farbeimer an, verhob mich (scharfer kurzer Ischiasschmerz) und dachte Na toll, in ein paar Stunden geht es los. Dazu sei gesagt dass ich seit über 10 Jahren Probleme mit Rückenschmerzen im LWS-Bereich hatte und diese meist auftraten nachdem ich mich gebückt hatte bzw. während dessen. Manchmal konnte ich mich dutzende von Malen bücken ohne das was passierte. Dann wieder reichte der Griff zu den Schuhen und ich bekam so schlimme Schmerzen das wochenlang außer schweren Medikamenten nichts ging und die Medikamente auch nur bedingt halfen.
Diesmal blieb der Schmerz zu meiner Überraschung und Freude aus. Doch am nächsten morgen wachte ich auf und hatte das Gefühl meine Fußsohlen seien eingeschlafen. Es kribbelte rund um die Außenkanten der Füße und die Sohen waren taub. Ich war gerade verreist und wollte nicht zum Arzt, nahm die Sache auch noch nicht ernst.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und die Taubheit inklusive kribbelndem "Rand" ging bis in die Waden. Zwei Tage später, ich war gerade wieder zu Hause angekommen, total erschöpft ohne mich angestrengt zu haben und hatte mich für ein paar Stunden hingelegt, wachte ich auf und die Taubheit ging bis in den Schritt. Ich saß auf der Toilette und musste mit der zweiten Hand nachtasten ob die erste Hand das Toilettenpapier an der richtigen Stelle benutzt.
Es war abends und ich ging sofort ins Krankenhaus. Dort erzählte ich auch die Sache mit dem Farbeimer, was aber nicht interessant war. Ich kam in die Neurologie weil die Ärzte sofort davon ausgingen dass es ein neurologisches Problem sei. Ich sollte für eine Lumbalpunktion und ein MRT unterschreiben. Die Punktion wollte ich verweigern weil einige Jahre vorher schon einmal bei mir eine gemacht wurde bei der nichts heraus kam und die Ärzte mich danach wie eine Simulantin behandelt hatten. (Auch da ging es um Rückenprobleme)
Doch die Neurologin überredete mich weil es so extrem wichtig sei. Ich klärte ab das ich aber auf jeden Fall auch die MRT wolle, egal was bei der Punktion heraus käme, was mir auch zugesagt wurde. Ab da ging dann alles schief...
Die Punktion wurde ohne Betäubung gemacht, die Ärztin machte 5 Punktionen ohne einmal Nervenwasser ziehen zu können. Nach der fünften war ich ein heulendes, zitterndes Wrack und weigerte mich eine weitere machen zu lassen. Daraufhin wurde mir gesagt es würde eine weitere gemacht bei der ich im CT liegen würde, dabei könne nix schief gehen und ich würde dabei schlafen. War gelogen. Ich lag zwar im CT und dabei ging auch nichts schief aber ich schlief nicht. Ich hatte nur ein Beruhigungsmittel bekommen, dass nach soviel Schmerzen durch die Punktionen und mit körperlichem und psychischen Schocksymptomen kaum wirkte.
Nach der Punktion (freitags) kam erstmal nichts. Kein MRT, keine weiteren Untersuchungen. Stattdessen wurde ich auf Carbamazepin gesetzt. Neuroleptika, ich wurde kaum noch wach und kam mir Gaga vor aber die Taubheit blieb und wurde schlimmer je länger ich liegen musste.
Am Sonntag hatte ich dann die Schnauze voll, denn als ich morgens aufstand und über den Gang zur Toilette schlurfte brauchte ich unglaublich viel Kraft um die Beine vom Boden hoch zu bekommen. Nachdem sie schon tagelang auf der Haut taub waren, ließ nun auch meine Fähigkeit sie zu bewegen nach. Die Taubheit ging bis zum Bauchnabel.
Ich verlangte so lange lautstark nach einem Arzt bis die Wochenendbesetzung tatsächlich kam. Die zweite Neurologin und anscheinend etwas versierter. Sie war entsetzt dass die MRT noch nicht gemacht worden war. Sie meinte ich hätte ein klassisches Reiterhosensyndrom. Es bedeutet das genau die Stellen taub werden an denen Reiterhosen verstärkt sind bzw. stützen sollen.
Die MRT war dann gruselig, denn ich lag eineinhalb Stunden in der Röhre. Je mehr sie machten desto klarer wurde mir das sie was gefunden haben müssen. Ich wurde vom Gesäß bis zur Schädeldecke abgelichtet.
Kaum wieder draußen und im Krankenzimmer zurück kam dann ein anderer Neurologe und teilte mir mit das ich Entzündungen im Gehirn hätte und nun hochdosiertes Kortison bekäme. Während er den Tropf legte bemerkte ich das keine weitere Aufklärung stattfinden sollte. Da ein Verwandter von mir Multiple Sklerose hat, haben die Entzündungen im Gehirn bei mir schlimmste Befürchtungen ausgelöst. Dass sagte ich auch und bekam zur Antwort: "Ja, das ist das worüber wir im Augenblick diskutieren."
Das Kortison wirkte unglaublich schnell. Abends am Tropf, am nächsten Tag schon etwa mehr Gefühl in den Beinen. Die Ärzte wollten mir das kaum glauben. Ich war bereits auf MS festgenagelt und bei MS würde das länger dauern. Ich erfuhr das meine Lumbalpunktion tatsächlich keine Hinweise auf Entzündungen enthielt. Also war die MRT tatsächlich deswegen mal wieder ausgelassen worden.
Nach einer Woche konnte ich das Krankenhaus verlassen. Mein Nervenwasser wurde an ein Labor geschickt wo es auf alles mögliche untersucht werden sollte. U.a. auf oligoklonale Banden (richtig geschrieben?). Ich ließ mir die Laborergebnisse von einer netten Mitarbeiterin im KH kopieren. Keine Auffälligkeiten, keine olig. Banden. Doch meine neue Neurologin meinte das sei noch nicht sicher, sie müsse beim Labor nochmal nachfragen. Das dauerte satte drei Monate! In dieser Zeit hatte ich viele Schmerzen, denn nachdem die Taubheit ging, bekam ich starke Schmerzen und wurde mit Neuroleptika zugestopft, die ich nur nahm weil sie tatsächlich ein bisschen halfen. Leider schlief ich dadurch dauernd, war träge und depressiv. Sonst hätte ich mich vielleicht mehr dahinter klemmen können.
Nach drei Monaten hatte ich dann den entscheidenden Termin bei der Neurologin und sie sagte ich hätte diese Banden in meinem Nervenwasser, sie sei sich sicher dass ich MS hätte. Da es aber internationale Richtlinien gäbe welche Kriterien erfüllt sein müssten bevor MS diagnostiziert werden darf müsste ich erst in einem bestimmten Zeitraum zur Kontroll-MRT.
Also fragte ich was die MRT denn zeigen müsste wenn es keine MS sei. Ihre Antwort:"Also wenn die Entzündungen größer geworden ist, dann ist es MS. Wenn sie kleiner geworden sind, dann ist es auch MS."
Auf meine Nachfrage was es denn nun sein müsse wenn es nicht MS bedeuten würde kam dann "Wenn nur eine der Entzündungen extrem größer geworden ist, dann haben Sie Krebs."
Ich ging aus der Praxis raus und wollte mich umbringen. Wenn ich mir nicht kurz vorher einen Hund zugelegt hätte, wäre ich vermutlich noch am gleichen Tag gestorben. Wie kann man einem Menschen etwas so hart an den Kopf knallen ohne entsprechend auf ihn einzugehen und ein paar warme Worte dazu zu tun dass das Leben weiter gehen kann?
Die Kontroll-MRT erbrachte dass die Entzündungen kleiner geworden waren. Der Neurologe der hinterher mit mir sprach war ein Experte für MS und klärte mich darüber auf, dass ich - wenn es denn MS sei - eine sehr leichte Verlaufsform davon hätte. Er verglich mich mit einem seiner Patienten der nach einem Unfall einmalig einen Schub hatte und danach nie wieder. Getröstet bekam ich endlich einen etwas klareren Kopf. Ich wechselte meinen Hausarzt, erkämpfte mir besser wirkende und weniger müde machende Neuroleptika und nach 5 Monaten schließlich dass ich sie wieder absetzen durfte. Ich ging jeden Tag stundenlang mit meinem Hund egal wie groß die Schmerzen waren. Und ich fing an gegen die Verdachtsdiagnose zu kämpfen. Denn der Arzt bei der Kontroll-MRT hatte meine Unterlagen und da stand nichts von oligoklonalen Banden laut Laborbericht drin!
Eine Verdachtsdiagnose auf MS scheint für Ärzte ein rotes Tuch zu sein. Obwohl mein HA mir versicherte selbst nicht zu glauben dass ich MS hätte, erlahmten seine Überweisungen zu Untersuchungen auf andere Erkrankungen recht schnell. Erst bei einer dritten Kontroll-MRT nach elf Monaten bei einem neuen Neurologen kam dann die Wende. Die Entzündungen waren vollständig abgeheilt, es gab keine inaktiven Entzündungsherde, keine Vernarbungen, keine bleibenden "Schäden". Dafür hatte ich - mal wieder - Rückenschmerzen die bis ins Bein zogen und der Arzt meinte meine LWS solle mal untersucht werden. Bereits bei der ersten MRT im KH wurde festgestellt, dass mein unterster Lendenwirbel nicht mehr ganz in Ordnung war.
Doch mein HA hielt Zusammenhänge für ausgeschlossen, da der Schaden auf den MRT-Bildern minimal aussah und wollte mich nicht zum Neurochirurgen schicken. So dauerte es insgesamt 18 Monate bis ich über einen Orthophäden schließlich doch zu einem Neurochirurgen kam. Doch zu dem Zeitpunkt hatte ich ausnahmsweise keine Rückenschmerzen und der hätte mich beinahe wieder weg geschickt. Also simulierte ich. Asche auf mein Haupt aber ich konnte nicht anders. Ich hatte es sooooo satt...
Daraufhin bot er mir eine weitere Untersuchung an. Diesmal eine Diskographie. Dabei wird eine lange Nadel in die verdächtigen Bandscheiben gepiekst und eine Flüssigkeit eingespritzt. Daran lässt sich erkennen ob die Bandscheibe intakt ist und an den entstehenden Schmerzen lässt sich erkennen was und in wie weit eine nicht intakte Bandscheibe zu verantworten hat.
Nach der verhunzten Lumbalpunktion hatte ich eigentlich vor mir nie wieder Nadeln ins Kreuz stechen zu lassen, aber dies war meine große Chance endlich Licht in die Sache zu bringen, also willigte ich ein. Ich habe so geschrien dass ich dachte alle müssten taub werden. Die Flüssigkeit wurde auf der einen Seite eingespritzt und floss auf einer anderen einfach wieder raus.
Es kam heraus das nicht eine sondern zwei Bandscheiben total degeneriert sind. Die entsprechende Verdunklung auf den MRT-Bildern war nicht ernst genommen worden weil ich mit 35 Jahren dafür eigentlich viel zu jung bin und mit leichtem Untergewicht zudem nicht als typischer Kandidat gelte.
Ich ließ mich direkt danach operieren. Keine leichte Sache. Weil es gleich zwei Etagen waren und eine durch ein Implantat ersetzt werden musste, wurde durch den Bauch operiert, den jetzt eine 15 cm lange Narbe direkt neben dem Bauchnabel von oben nach unten ziert. Doch die Narbe ist mir egal. Die Rückenschmerzen sind weg. Genauso wie die Verdachtsdiagnose auf MS. Auf einmal heißt es Radikulärsyndrom, was übrigens ein Ausschlusskriterium für MS ist, bei mir aber auch ignoriert worden war. Die Entzündungen sind höchstwahrscheinlich ein Etagenphänomen. Im unteren Rücken haben sich Nerven immer wieder entzündet, der Körper hat verkrampfende und belastende Schonhaltungen angenommen, der ganze Rücken verkrampfte und letztendlich führte das zu Entzündungen an ganz anderer Stelle.
Was die Grunderkrankung angeht bin ich inzwischen Beschwerdefrei. Doch die Kollateralschäden sind groß. Ich stand vor dem Beginn meiner Promotion inklusive Promotionsjob der jetzt längst weg ist. Ich dürfte sowieso nicht mehr lange genug am Schreibtisch sitzen um eine Doktorarbeit schreiben zu können. Und meine Psyche hat dabei so einen Tritt bekommen, dass ich in therapeutischer Behandlung bin und meine Stressresistenz minimal ist. Die vielen Medikamente und die erzwungene, fast zweijährige Ruhestellung hat meine Muskulatur total runtergefahren. Ich musste umziehen weil an meinem ursprünglichen Wohnort niemand da gewesen wäre, der mich - wenn es MS gewesen wäre - regelmäßig zum Einkaufen, zu Arztterminen u.a. Sachen hätte fahren können und ich kein Auto habe. Ich bin seitdem ALG-II-Empfängerin weil ich kurz vor Beginn eines neuen Arbeitsvertrages krank geworden bin.
Es gibt auch Dinge die sich zum positiven geändert haben weil man durch so eine Geschichte das Weltbild total dreht, aber soviel erstmal zu meiner Symptom-Geschädigten-Story.