Alte Menschen und Medikamentenwirkungen

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Wenn Medikamente im Alter zum Risiko werden
Viele Arzneimittel sind für ältere Menschen nicht nur ungeeignet, sondern auch gefährlich. Besonders Mehrfachmedikationen führen oft zu erheblichen Nebenwirkungen. Deutsche Forscher wollen nun Aufklärung schaffen.

Multimorbide Patienten nehmen im Alter häufig eine ganze Kollektion Wirkstoffe zu sich. Foto: Archiv​

28.08.07 - In den USA gibt es bereits die so genannte Beers-Liste. Sie beinhaltet Medikamente, die sich nicht für ältere Menschen eignen. Eine ähnliche Liste wollen Forscher um Prof. Petra Thürmann, Lehrstuhlinhaberin für Klinische Pharmakologie an der Universität Witten/Herdecke, auch für deutsche Arzneimittel erstellen. Dazu sammeln sie derzeit Daten von etwa 6.000 älteren Menschen in ganz Deutschland. Eine vordringliche Aufgabe, denn die meisten Medikamente werden in Studien getestet, die ältere Leute nicht berücksichtigen
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Wenn Medikamente im Alter zum Risiko werden (28.08.07) - aerztlichepraxis.de

Das scheint mir ein ganz wichtiges Thema zu sein! Und es ist ein total vernachlässigtes Thema, denn gerade ältere und alte Menschen bekommen zum Teil einen ganzen Haufen Medikamente verschrieben, die sie dann auch brav nehmen. Da Trinken dann oft sowieso ein Problem ist, wird noch zu wenig dazu getrunken, und die unerwünschten, zum Teil gefährlichen Nebenwirkungen oder Falschwirkungen werden noch schlimmer.

Pharmazeutische Zeitung online: Genauer Blick auf Medikation bei Älteren

Uta
 
Nicht nur, daß oft alte Menschen mehrere Medikamente täglich einnehmen (müssen). Diese Medikamente wirken bei alten Menschen auch anderes, und zwar aus folgenden Gründen:


Stoffwechselveränderungen


Aufnahme und Wirkung eines Medikaments können sich ändern. Die Wirksamkeit jedes Medikaments ist von seiner Pharmakokinetik abhängig. Mit diesem Begriff wird die Dauer der Aufnahme, die Verteilung und Wirkung im Körper und der Abbau eines Wirkstoffes beschrieben. In höherem Alter verändert sich zum einen die Verteilung verschiedener Arzneimittel im Körper. Zum anderen aber ist häufig der Ausscheidung aus dem Körper verändert.


Muskel- und Fettgewebe und der Anteil an Körperwasser verändern sich. Die veränderte Verteilung ergibt sich aus einer "Umstrukturierung" des Körpers mit zunehmendem Lebensalter - die Muskelmasse ist verringert, das Fettgewebe im Verhältnis dazu relativ vermehrt. Auch der Anteil des Körperwassers ist niedriger, als bei jüngeren Menschen. Bei einem Säugling beträgt der gesamte Wassergehalt des Körpers noch etwa 75 Prozent, bei einer sehr alten Frau liegt er bei durchschnittlich 46 Prozent. Weil Frauen mehr Fettgewebe besitzen, als Männer, ist ihr Wassergehalt niedriger.


Medikamente können schwächer oder stärker wirken. Medikamente sind entweder wasserlöslich, oder fettlöslich. Durch die Umstrukturierung des Körpers kommt es deshalb zu einer anderen Verteilung der Medikamente im Körper. Sie können sowohl schwächer, als auch stärker wirksam sein. Das hängt davon ab, ob sie fettlöslich oder wasserlöslich sind.


Medikamente können verzögert wirken. Andere Medikamente sind darauf angewiesen, dass sie im Blut an einen Eiweißstoff gebunden werden. Dadurch verzögert sich ihre Wirkung. Im Alter kommt es zu einer Verminderung der Eiweiße im Blut. Werden viele Medikamente gleichzeitig eingenommen, sind weniger dieser Medikamente an Eiweiße gebunden und die Wirkung des Medikamentes ist verstärkt.


Ausscheidung und Verarbeitung kann verlangsamt sein. Zu einer Verringerung der Medikamentenausscheidung kommt es bei Herzschwäche durch die eingeschränkte Durchblutung der verschiedenen Gewebe. Die Abnahme der Nieren- und Leberleistung führt ebenfalls zu einer verringerten Medikamentenausscheidung. Dadurch kommt es zu einer verstärkten bzw. verlängerten Wirkung des Medikamentes im Körper.



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Veränderte Medikamentenwirksamkeit

Beruhigungsmittel können anregend wirken. Bei einigen Medikamenten kommt es auch zu einer Veränderung in der Wirksamkeit. Man vermutet, dass sich im Gehirn das Zusammenwirken bestimmter Rezeptoren ändert. Diese Beobachtung scheint bei Beruhigungsmittel zuzutreffen. Es kommt durchaus vor, dass Beruhigungs- bzw. Schlafmittel nicht zum Einschlafen führen, sondern wie ein "Aufputschmittel" wirken. Andererseits kann es sein, dass bei älteren Menschen eine Tasse Kaffee (Koffein) das Einschlafen erleichtert....
Medikamententherapie

Uta
 
Ältere Menschen nehmen dann "ihre" Medikamente meistens "brav" ein.
Stellt sich dann nicht die Frage, ob der, der verschreibt, nicht eine viel höhere Verantwortung übernehmen muss? Insbesondere auch in Bezug auf Wechselwirkungen.
Gruß, Horaz
 
Diese Frage stellt sich auf jeden Fall. Es ist nur meistens das Problem, daß Ärzte, die in Alten- und Pflegeheime kommen, das sehr schnell absolvieren: Bludruck messen, wie geht es uns denn heute?, die Schwestern befragen, wie es dem Patienten geht, neue Rezepte ausstellen und weg. Diese Besuche im Altenheim werden schlecht bezahlt, und die Gespräche, die hier erst Recht gut tun würden, werden nicht geführt.

Die Idee, in den Heimen einen eigenen Arzt einzusetzen, finde ich gut, weil dann vielleicht doch besser aufgepasst würde.

Gruss,
Uta
 
Hallo Uta,

ich meinte nicht nur die Situation in Pflegeheimen.
Ein Beispiel: In meiner Umgebung wohnt eine alte, aber quicklebendige Frau. Meistens war sie gesund. Nun zwickt`s halt da und dort. Letzens traf ich sie und sie sagte, ihr sei jetzt immer schlecht. Dann zeigte sie mir ihre Pillenschachteln. Mindestens 5 verschiedene müsse sie einnehmen; Bluthochdruck, Osteoporose und noch ein paar andere waren dabei. Sie nimmt diese Medikamente brav wie ein Kind. Sie glaubt auch, dass ihr wegen der vielen Pillen schlecht ist, aber sie ist nicht der Typ, der eine Arztentscheidung in Frage stellt. Auf so eine verwegene Idee wie Medikamente nicht zu nehmen, kommt sie gar nicht.

Gruß, Horaz
 
Solche Fälle gibt es bestimmt häufig, in und außerhalb der Altenheime. Das Problem ist dabei, daß diese Menschen sich selten trauen, nun auf einmal die eigene Verantwortung zu übernehmen. Manchmal ist es auch besser so. Und gutmeinende Nachbarn wie Du und ich trauen sich auch nicht, die Verantwortung zu übernehmen.
Also sollte man möglichst früh damit anfangen, selbst nach sich zu sehen, soweit das möglich ist.

Bei alten Menschen richten Medikamente auch Schaden an:

Psychotische Symptome im Alter
Psychotische Symptome im Alter treten bei wahnhaften Störungen und wahnhaften Persönlichkeiten, bei Schizophrenien und Manien sowie bei schweren Depressionen und organischen Psychosyndromen auf. Häufig werden psychotische Symptome jedoch bei Demenzen, Verhaltensstörungen (BPSD), deliranten Zuständen und durch Medikamente ausgelöst beobachtet......
Der schwierige Patient im Pflegeheim

Gruss,
Uta
 
Im SZ-Magazin stand diese Geschichte einer Oma aus der Sicht des Enkels.

Omas kleine schlimme Helfer Die Großmutter unseres Autors hat jahrelang Schlaf- und Beruhigungsmittel genommen – bis sie süchtig war. Es hat lange gedauert, bis die Familie das bemerkt hat. In keiner Altersgruppe gibt es so viele Drogenabhängige wie bei den Senioren.
Medikamentenabhängigkeit unter Senioren - Gesundheit

Senioren, die regelmäßig Benzodiazepine einnahmen, erkrankten in einer prospektiven Kohortenstudie im Britischen Ärzteblatt (BMJ 2012; 345: e6231) häufiger an einer Demenz. Auch wenn die Autoren eine Kausalität nicht belegen können, raten sie zu einem zurückhaltenden Einsatz bei älteren Menschen.

Benzodiazepine gehören zu den Wirkstoffen, die häufiger verordnet werden, als die Leitlinien dies vorsehen. Besonders beliebt sind sie bei Senioren, von denen in Frankreich 30 Prozent regelmäßig zu den Schlafmitteln oder Tranquilizer greifen sollen. Die kurzfristigen Wirkungen von Benzodiazepine auf die kognitiven Fähigkeiten sind bekannt. Ob die Mittel bei langfristiger Einnahme auch die Entwicklung einer chronischen Demenz fördern, ist dagegen umstritten.
Deutsches Ärzteblatt: Benzodiazepine knnten Demenzrisiko bei Senioren erhhen

Ich wünsche allen jetzt "Alten" und den folgenden "Alten", daß diese Unsitte, sie einfach mit Medikamenten zu betäuben, aufhört.

Grüsse,
Oregano
 
I
Ich wünsche allen jetzt "Alten" und den folgenden "Alten", daß diese Unsitte, sie einfach mit Medikamenten zu betäuben, aufhört.

Danke, das wünsche ich mir auch.
Kannte das Problem von meiner Grossmutter. Im Pflegeheim gabs um fünf Nachtessen und dann vor sieben legte man sie ins Bett. Die Schlafmittel machten sie dann auch an den folgenden Morgen jeweils noch recht ruhig..Vergesslichkeit kam dann auch immer mehr hinzu ebenso Stürze.. wurde ja nicht recht wach.
Traurig.
LG KARDE
 
Es gibt ja inzwischen die Priscus-Liste, die hier im Forum schon an anderer Stelle verlinkt worden ist. Auch hier passt sie hin:

... Einige Medikamente sind zudem gerade für Ältere mit einem größeren Risiko verbunden, da sie beispielsweise die Gefahr von Stürzen erhöhen. Deutsche Forscher haben jetzt eine Liste erstellt, die 83 solcher Medikamente umfasst. International existieren zwar schon ähnliche Kataloge, sie waren aber nicht auf Deutschland übertragbar.

Auf der "Priscus-Liste", die online zur Verfügung steht, finden sich unter anderem einige Antidepressiva, Schmerz- und Beruhigungsmittel. Alternativen zu den Medikamenten werden genannt. "Die Liste dient dazu, dass der Arzt beim einzelnen Patienten hinterfragt, ob ein Medikament unbedingt verordnet werden muss und ob möglicherweise Alternativen vorhanden sind", sagt Petra Thürmann von der Universität Witten/Herdecke. Sie hat den Katalog zusammen mit Kollegen erarbeitet. Eine für Laien verständliche Liste soll folgen. Die Forscherin mahnt allerdings, nicht in Panik zu verfallen, falls ein Angehöriger eines der Mittel nehme....
Priscus-Liste: Viele Medikamente sind für Senioren ungeeignet - Gesundheit | STERN.DE

Hier ist die Liste:

https://www.aok.de/assets/media/rheinland-pfalz-saarland/priscus-liste_fuer_den_schreibtisch.pdf

Grüsse,
Oregano
 
In der Schmerztherapie bei alten Menschen werden häufig Morphium-Pflaster verwendet. Die haben aber auch Nachteile: sie geben den Wirkstoff gleichmäßig ab und berücksichtigen nicht die Schmerzspitze und -tiefen. Wie ich höre, kommt man von den häufig applizierten Schmerzpflastern u.a. aus diesem Grunde wieder ab in der Palliativmedizin.

Auch ein Grund für ein gewisses Mißtrauen gegenüber den Schmerzpflastern (es gibt verschiedene davon):

Zum Morphiumpflaster erklärte der Referent: Durch den Gewichtsverlust vieler Menschen in der letzten Lebensphase wird auch die Fettschicht unter der Haut abgebaut. Der Körper stellt auf „lebenserhaltende Maßnahmen“ um. Die Haut wird nicht mehr versorgt, ist schlecht durchblutet. Morphine können nicht in die Blutbahn abtransportiert werden. Eine Schmerzlinderung findet nicht statt. Wenn ein Mensch dann nicht mehr in der Lage ist sich zu äußern, gehen Arzt und Pflegepersonal davon aus, dass er schmerzfrei ist...
Palliativmediziner Dr. med. Hilscher beim Hospizkreis - Fröndenberg/Ruhr - lokalkompass.de

Pharmazeutische Zeitung online: Palliativmedizin: Schmerztherapie nach Uhr und Stufenplan

Grüsse,
Oregano
 
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