Wie ein "Impfstoff" gegen Wirtschaftskrisen getestet und verboten wurde

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Wie ein "Impfstoff" gegen Wirtschaftskrisen getestet und verboten wurde

Ich wollte euch mal auf ein Thema aufmerksam machen. Habe davon vorher nie gehört.
Es ist zwar viel zu lesen, aber es ist interessant.

Wie ein "Impfstoff" gegen Wirtschaftskrisen getestet und verboten wurde.

Können wir aus der Geschichte lernen? Es gibt Denker, die das verneinen. Doch: Was hätte eine Beschäftigung mit der Geschichte für einen Sinn, wenn wir dabei nicht versuchten, Handlungen und Verläufe uns lernend anzuschauen? Versuchen wir’s an einem Ereignis, das weitgehend in die Vergessenheit gedrängt wurde.

Die kleine österreichische Stadt Wörgl nahe der heutigen A 12 zwischen Kufstein und Innsbruck litt 1932 an der Weltwirtschaftskrise mindestens ebenso wie die meisten Gemeinden andernorts: Produktions- und Dienstleistungsflaute, Arbeitslosigkeit, Schulden, Hunger, Verzweiflung. Dabei waren seine Einwohner nicht weniger klug und fähig und fleißbereit als vor der Krise. Doch das nützte ihnen nichts. Der Mechanismus, in dem sie ihre arbeitsteiligen Tätigkeiten und Waren austauschen mussten, klemmte. Wie überall damals. Das Geld, der „Tausendsassa“, der diesen lebensnotwendigen Austausch ermöglicht, schien ausgegangen. Irgendwo wird es schon gesteckt haben. Zunächst bei jenen, die davon genug hatten, weil viele andere nichts oder kaum etwas besaßen. Und wer wenigstens ein wenig davon hatte, hielt es zurück, für noch schlimmere Zeiten.

Wenn es nicht so traurig, ja katastrophal wäre, könnte man glatt darüber lachen: Menschen mit kräftigen Armen und klarem Kopf können sich nur deshalb kaum ernähren, kleiden und beherbergen, weil sie ihre (notwendigerweise spezialisierten) Tätigkeiten nicht austauschen können. Und alles nur deshalb, weil ihnen das Mittel, das ihnen zu diesem Austausch dient, das Geld, einen Streich spielt. Es verweigert sich.

Aber: Ist das Geld etwa ein Lebewesen? Gar ein Dämon, der - für den Dienst geschaffen - nicht mehr dienen will? Oder liegt es eher an den Bestimmungen des „Arbeitsvertrages“, den wir mit diesem Diener abgeschlossen haben? Liegt es an den Spielregeln des Geldwesens, nach denen immer nur einige gewinnen und viele verlieren?

Wörgls damaliger Bürgermeister Michael Unterguggenberger stellte sich ernsthaft solche Fragen. Und weil er von den Überlegungen des Sozialreformers Silvio Gesell (1862 – 1930) über ein dienendes Geld gehört und gelesen hatte, fasste er den Entschluss, die Ideen dieses Mannes in seiner Gemeinde auszuprobieren. Wenn das bisherige Zahlungsmittel nicht mehr „willens“ und in der Lage war, den Austausch der Tätigkeiten und Waren zu ermöglichen, dann musste man sich eben ein anderes herstellen. Schließlich hat das Geld eigentlich keinen Wert an sich. Man kann es weder essen noch sich mit ihm kleiden noch etwa in ihm wohnen. Es ist nur ein Zeichen für den Gegenwert einer geleisteten Arbeit, den man auf der komplizierten Tauschbörse namens Markt für Produkte oder Leistungen anderer einlösen kann, sofort oder später.

Waren die Bürger Wörgls, so dachte Unterguggenberger, bereit zu arbeiten, also ihren Lebensunterhalt mit eigener Hände und Kopf Arbeit zu verdienen, indem sie ihre Arbeitsergebnisse untereinander austauschten - was lag dann näher, als ihnen ein funktionstüchtiges Tauschmittel zur Verfügung zu stellen? Ein neues, unabhängiges Arbeitswert-Zeichen!

Genau dies, nämlich „Bestätigter Arbeitswert“, war auch auf den Scheinen zu lesen, die die Gemeindeverwaltung drucken ließ, genauer: deren Wohlfahrtsausschuss „Nothilfe Wörgl“. Und auf diesem Ersatzgeld standen - der Gewohnheit und der Praktikabiliät halber – Wertgröße und Währungsname, 1 oder 5 oder 10 Schilling. Begleichen konnte man damit seine Verpflichtungen beim Kauf von Waren und Leistungen, sofern die Tauschpartner dieses neue Geld anerkannten. Und das taten sie. Die unkonventionellen Scheine wurden tatsächlich in nahezu allen Geschäften der kleinen Stadt akzeptiert. Die Gemeinde selbst nahm sie selbstverständlich auch als Steuergelder entgegen. Letztere waren ja auch nur der rechnerische Ausdruck für eine Verpflichtung, der kommunalen Allgemeinheit Waren oder Leistungen zur Verfügung zu stellen.

Einen (besonders nützlichen!) "Haken" hatte das neue Geld allerdings: Wer einen Schein länger als dreißig Tage in seiner Tasche behielt und nicht ausgab, verlor 10 Prozent des aufgedruckten Werts. Das wurde ganz einfach durch die Pflicht realisiert, monatlich eine käuflich zu erwerbende Marke aufzukleben. Wer das vermeiden wollte, musste deshalb den Schein so schnell wie möglich, auf jeden Fall aber vor Monatsende los werden. "Taler, Taler, du musst wandern!" war das einhellig angestimmte Lied.

Es leuchtet ein, dass dieses Reglement zu einer raschen Zirkulation von Waren und Dienstleistungen führte. Im „Blutkreislauf“ des Marktes pulsierte wieder „Blut“. Alle Beteiligten erhielten somit wieder die Chance, die Ergebnisse ihrer Mühen auszutauschen und dabei gleichzeitig zu erfahren, welche Tätigkeiten gebraucht wurden und welche nicht.

Das Ergebnis dieses Experiments ließ nicht lange auf sich warten. Die Wirtschaft der Gemeinde begann wieder aufzuleben. Im Laufe eines reichlichen Jahres sank die Arbeitslosigkeit um ein Viertel, während sie in der gleichen Zeit im Landesdurchschnitt und in fast ganz Europa noch um weitere 10 Prozent zunahm. Die Gemeinde Wörgl vergab reichlich Aufträge. Sie baute eine Skischanze und eine Betonbrücke, asphaltierte etliche Fahrbahnen, modernisierte die Straßenbeleuchtung, verlegte Kanalisationen und stellte noch so manches andere auf die Beine. Und dies alles - man beachte! - mit nicht mehr als 32.000 Schilling Arbeitswertscheine, keine 8 Schilling pro Kopf der 4. 216 Einwohner. Der Buchhalter der Gemeinde befürchtete angesichts einer stattlichen Summe rasch eingezahlter Steuern sogar Umtriebe von Geldfälschern. Dies jedenfalls, bis ihn Bürgermeister Unterguggenberger über den reziproken Zusammenhang von Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit aufklärte. Und weil das neue Zahlungsmittel schnell und darum „unterm Strich“ auch reichlich floss, hatten weder kleine noch große Bankiers irgendeine Aussicht darauf, Geld gegen Zins verleihen zu können. Kein Bedarf! Solch eigennütziges Tun erübrigte sich einfach.

Das Wunder von Wörgl, das kein Wunder war, sondern nur die Folge eines "verderblich" konstruierten Geldes, sprach sich im Lande und auf dem Kontinent herum. Nicht nur Journalisten, Ökonomieprofessoren und Gewerkschaftsfunktionäre, sondern selbst Unternehmer und Minister gaben sich in der österreichischen Gemeinde die Klinke in die Hand. Andererseits informierte auch der mutige Bürgermeister selbst nicht wenige seiner Amtskollegen über den gelungenen Versuch. Mit dem Ergebnis, dass fast 180 Gemeinden seines Landes entschlossen waren, das Wörgler Experiment ebenfalls zu wagen. Nicht auszudenken, welche Wohltaten über deren Einwohner hätten hereinbrechen können.

Der Wiener Nationalbank – nicht etwa ein staatliches, sondern ein privates Finanzinstitut! – gefiel diese Entwicklung jedoch überhaupt nicht. Verständlich. Wäre ihr daran gelegen gewesen, die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitslosigkeit und Armut zu beseitigen, hätte sie das Beispiel der Wörglschen Arbeitswertscheine nicht nur tolerieren, sondern geradezu fördern müssen. Doch ein Geld, das aufgrund seiner potenziellen Verderblichkeit ständig in Fluss gehalten und zum Diener wird, verliert die Fähigkeit, Macht zu verleihen. Es kann keine Zinsforderungen mehr durchsetzen und vermag seinen Besitzern keinen unverdienten Reichtum mehr zu schenken. Eine Katastrophe für die Bankiers! Wörgls neuartige Schillinge waren also eine Gefahr. Und die musste mit (staatlicher) Gewalt abgewendet werden. So wurde die Gemeindeverwaltung der kleinen Stadt unter Strafandrohung gezwungen, die segensreichen Scheine wieder aus dem Verkehr zu ziehen und sich, wie gehabt, jener Banknoten zu bedienen, die zu finanzieller Erpressung taugen. Die Herrschaft des Geldes und derer, die es besitzen, sind heilig.

Arbeitslosigkeit und Armut kamen nach dem Ende des Experiments sehr bald auch nach Wörgl zurück. Und auch kein anderer in Österreich und anderswo durfte den von dieser kleinen Stadt gewagten Ausweg aus der Krise gehen. Wohin Europa in der Folge notwendigerweise getrieben wurde, dazu bedarf es wohl keines Hinweises. Die Jahreszahlen 1933 und 1945 sagen alles darüber aus.

Selbst unter politisch und ökonomisch interessierten Zeitgenossen ist die Episode Wörgl samt ihres theoretischen „Vaters“ Silvio Gesell erstaunlich wenig bekannt. Warum wohl?! Es hat indes immer wieder Ansätze gegeben, sich aus den mächtigen Pranken des herrschenden Geldes zu befreien. Wenigstens teilweise und in ganz kleinem Rahmen. Auch in Deutschland gibt es mittlerweile einige Projekte von Regionalwährungen, die nach dem Wörgler Muster funktionieren. Dies sogar unter Duldung und einer gewiss beaufsichtigenden Aufmerksamkeit der Bundesbank. Dank Internet kann man sich hinreichend sachkundig über diese Regionalwährungen machen. Sie werden auch für "PROVOkant" ein Thema sein.

Quelle: www.provokant.net/ausgaben/2008-01/detail/artikel/kein-wunder-in-woergl.html
 
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Wie ein "Impfstoff" gegen Wirtschaftskrisen getestet und verboten wurde

hallo Arthur und @alle
schau dir mal diesen film an. da geht es um die entwicklung des geldes und um mögliche fehler in unserem geldsystem.
quasi die umkehrung oder abwendung von tauschsystemen und wieso "man" diese art von geschäften nicht mehr wollte - ev. auch nicht mehr haben will.

schöne grüsse, zebrafell

die wahren? gründe unseres geldsystems
 
Wie ein "Impfstoff" gegen Wirtschaftskrisen getestet und verboten wurde

Danke, werde ich machen.
Habe dort gerade auch einen Film übers Geld gepostet, den ich ganz gut finde.

Was mich interessieren würde, was ihr von dieser Idee mit dem Freigeld haltet? Meint ihr, dass das andere Geldsystem die Wirtschaft in Deutschland retten würde?
 
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