Selbsthilfegruppen: Was tun sie, Kosten, Abhängigkeiten

Themenstarter
Beitritt
10.01.04
Beiträge
72.704
Es gibt viele Selbsthilfegruppen, vor allem auf gesundheitlichem Sektor.
Auf den ersten Blick würde man meinen, "Selbsthilfe" bedeutet immer Hilfe durch Betroffene und Interessierte, die uneigennützig ihr Wissen an Betroffene weiter geben.
Auf den zweiten Blick stimmt das zwar immer noch, nur das "uneigennützig" fällt weg. Dann nämlich, wenn z.B.Vertreter der Pharmaindustrie und andere Interessierte sich engagieren und finanzieren. Leider gilt auch hier - wenn auch durch die Blume und hintergründig (hinterlistig?): wer zahlt, hat Recht - so ungefähr.

Deshalb lohnt es immer zu schauen, wer in den oberen Gremien einer Selbsthilfegruppe steht, wer - soweit bekannt - finanziert usw.

...
Die NAKOS ist die zentrale bundesweite Anlaufstelle in Deutschland rund um das Thema Selbsthilfe. Als Knotenpunkt vernetzt NAKOS die relevanten Akteure. Interessierte, Betroffene und Angehörige finden hier alle notwendigen Informationen. Dabei zeigt NAKOS die Vielfalt und Möglichkeiten gemeinschaftlicher Selbsthilfe auf und fördert und vertrtitt sie gegenüber Politik und Gesellschaft.
https://www.nakos.de/ueber-nakos/

Bei der Nakos sieht die Verteilung der Fördermittel so aus:
https://www.nakos.de/data/Texte/2016/NAKOS-Foerdermittel.pdf

...
Der Sinn der Selbsthilfe
Selbsthilfegruppen sind freiwillige Zusammenschlüsse von Menschen mit einem gemeinsamen Problem, beispielsweise einer gemeinsamen Erkrankung. Ihr Ziel ist eine Veränderung ihrer persönlichen Lebensumstände und häufig auch ein Hineinwirken in ihr soziales und politisches Umfeld. Sie arbeiten selbstorganisiert und eigenverantwortlich.

Osteoporose-Selbsthilfe ist aktive Therapie
Osteoporose Selbsthilfe ist aktive Therapie
Selbsthilfegruppen wollen kein Ersatz ärztlicher Behandlungen sein, sondern sind eine notwendige und sinnvolle Ergänzung.
...
Osteoporose und Selbsthilfegruppen

...
Im Sozialgesetzbuch (SGB) ist die Förderung der Selbsthilfe im § 20c verankert. Hier zwei Gedanken, die aus unserer Sicht prägend für die Arbeit sind:
"Die Krankenkassen und ihre Verbände fördern Selbsthilfegruppen und -organisationen, die sich die gesundheitliche Prävention oder die Rehabilitation von Versicherten ... zum Ziel gesetzt haben".
"Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen beschließt Grundsätze zu den Inhalten der Förderung der Selbsthilfe und zur Verteilung der Fördermittel ..."

Damit ist klar ersichtlich, von wem die Mittel kommen: es sind die Krankenkassen.
...
Selbsthilfe im Sinne des § 20c SGB V

...
Selbsthilfe hat den Wert einer Briefmarke. Nein, es ist kein Tippfehler: 55 Cent pro Jahr und Mitglied, waren es in 2006. Soviel soll eine Krankenkasse analog zu ihrer Mitgliederzahl zur Förderung bereit stellen. Aktuell in 2014 sind es 60 Cent.
...
Finanzierung der Selbsthilfe

Bei dieser "großzügigen" Förderung wundert es nicht, daß solche Gruppen auf weitere Unterstützung angewiesen sind: in erster Linie sind es die Ehrenamtlichen, die da engagiert und unentbehrlich sind. Und in zweiter Linie ist sicher die Versuchung groß, Hilfe und Unterstützung von Seiten der Industrie anzunehmen, die das aber nicht unbedingt aus nur altruistischen Gründen tut...

...
Interessant sind für die Industrie vor allem chronisch Kranke, die beständig auf Arznei angewiesen sind und es daher in der Marketingsprache auf den höchsten „Lebenszeit-Wert“ (customer lifetime value) bringen. Erreichbar ist diese Zielklientel ganz einfach: über Selbsthilfegruppen. Schätzungen zufolge gibt es davon hierzulande bis zu 60 000.

Zugang zu 1,2 Millionen Patienten

Von Krebskranken und Sehbehinderten über Borreliosegeschädigte und Organtransplantierte bis hin zu „Kehlkopflosen“ und „Polio-Betroffenen“: Abgedeckt sei „nahezu jede Krankheit oder Behinderungsart“, sagt Martin Danner, der Geschäftsführer ihrer Bundesarbeitsgemeinschaft, die auf 120 Dachverbände mit 1,2 Millionen Mitgliedern kommt. All diese Gruppen und Grüppchen informieren und publizieren, sie gelten durch ihre Spezialisierung als ebenso kompetent wie vertrauenswürdig. Und sie finanzieren sich – was viele nicht wissen – zu einem Gutteil aus Zuwendungen der Pharmaindustrie.


Mit rund 5,6 Millionen Euro haben die großen Arzneihersteller nach eigenen Angaben im Jahr 2013 Patientenorganisationen unterstützt. Das wären zwölf Prozent dessen, was die Selbsthilfegruppen momentan von den gesetzlichen Kassen erhalten.
...
Warum die Pharmaindustrie Selbsthilfegruppen finanziert: Heimliche Helfer - Agenda - Tagesspiegel

Wenn man das so liest, sollte man wirklich aufmerksam schauen, welcher Selbsthilfegruppe man sich anschließt.
Und man sollte es nicht übelnehmen, wenn eine Selbsthilfegruppe Geld nimmt für ihre Leistungen, z.B. Therapeutenlisten, Informationsmaterial, Telefonauskünfte usw. Das geschieht oft in Form von Mitgliedsbeiträgen, die ich aber unter dem Aspekt "Neutralität" gerechtfertigt finde. Zumal in solchen Beiträgen oder Kosten oft noch nicht einmal die Zeit und Arbeit von ehrenamtlichen Mitgliedern enthalten ist.

Ich habe eine Zeitlang mit einer Freundin zusammen eine Selbsthilfegruppe geführt. Thema war "Vergiftungen aller Art", damals (das ist lange her) war das noch ein fast unbekanntes Thema und umfasste u.a. auch Amalgamvergiftungen, aber auch Building-House-Syndrom u.ä.
Wir haben letztlich aufgehört mit dieser Arbeit, weil es uns einfach zu viel wurde und wir den Anspruch der Mitglieder (es waren nur ca. 25) auf (kostenloses) Informationsmaterial, ständige Zuhörbereitschaft, ständiges Jammern usw. nicht mehr ausgehalten und gewollt haben. Als wir dann bekannt gegeben haben, daß wir die Gruppe aufgeben, fand sich kein NachfolgerIn und es wurde uns dazu noch Egoismus vorgeworfen :rolleyes:.

Grüsse,
Oregano
 
Oben