"Ein aufreibendes Geschäft"
Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 15. Juli 2007 am Sonntag über Terrorabwehr
Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am Sonntag: Sie haben eine Debatte über Terrorbekämpfung ausgelöst in Deutschland.
Wolfgang Schäuble: Wir haben eine gewisse Tabuisierung bestimmter Fragen in der deutschen Debatte, weil man irgendwie hofft, dass wir vom Terrorismus nicht wirklich bedroht seien. Aber wir sind genauso bedroht wie alle andern in Europa, und da muss man die notwendigen Vorkehrungen treffen. Es ist die Pflicht des Innenministers, darauf hinzuweisen.
NZZ am Sonntag: Worum geht es Ihnen?
Wolfgang Schäuble: Die Rechtsordnung passt nicht mehr auf die neuen Bedrohungen. Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage, damit das Bundeskriminalamt seine neuen polizeilichen Aufgaben wahrnehmen kann. Es geht da zunächst um Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen und auch um Online-Durchsuchungen in Computern.
NZZ am Sonntag: Da kommt der Vorwurf vom Überwachungsstaat.
Wolfgang Schäuble: Die Kontrollen sollen natürlich aufgrund richterlicher Entscheidungen erfolgen, wie bei den Telefonüberwachungen. Das ist völlig klar. Es ist eine gewisse Hysterie in der Öffentlichkeit, die da erzeugt wird. Aber die große Mehrheit der Bevölkerung weiss natürlich, dass das notwendig ist.
NZZ am Sonntag: Erwarten Sie eine Einigung in der großen Koalition?
Wolfgang Schäuble: Wenn man den Sozialdemokraten genau zuhört, dann sagen sie nicht, dass man das nicht braucht. Sie versuchen ein wenig Zeit zu gewinnen. Sie haben intern ein grosses Problem, dass sie sehr uneinig sind und dass sie sich unter dem Druck der Linkspartei jetzt in der grossen Koalition nicht wohl fühlen. Deswegen machen sie Schwierigkeiten, wo
immer sie können.
NZZ am Sonntag: Sie haben auch von gezielten Tötungen gesprochen.
Wolfgang Schäuble: Mit Bezug auf den Krieg in Afghanistan, falls bin Ladin durch eine Rakete getötet würde. Das ist dann dargestellt worden, als wollte ich eine Gesetzgebung, dass man gewissermassen in der Bundesrepublik Deutschland Terrorverdächtige kurzerhand abschiessen könnte. Das ist natürlich grober Unsinn.
NZZ am Sonntag: Sie schlagen auch eine Internierung von sogenannten Gefährdern vor.
Wolfgang Schäuble: Man müsste einmal überlegen, ob es nicht Möglichkeiten gibt, gegen Menschen vorzugehen, die zwar strafrechtlich noch keinen Straftatbestand verwirklicht haben, bei denen man aber konkrete Anhaltspunkte hat, dass sie Dinge vorbereiten. Dass man solchen Menschen bestimmte Auflagen macht, die sie im Gebrauch ihrer bürgerlichen Grundfreiheiten einschränken. Man muss auch überlegen, ob es die klügste aller Lösungen ist, ausländische Gefährder abzuschieben, denn dann können sie ja weiterhin gefährlich sein; sie können weiterhin ihr gefährliches Tun vom Ausland aus fortsetzen. Und dann haben wir noch eine hausgemachte Terrorszene; da geht es um Bundesbürger, die man nicht abschieben kann.
NZZ am Sonntag: Sind auch islamistische Hassprediger Gefährder?
Wolfgang Schäuble: Die Hassprediger sind natürlich schon zum Teil in die Kategorie der Gefährder einzuordnen. Wir setzen auf Integration; da haben wir auch Handlungsbedarf. Die Hassprediger wirken unseren Absichten diametral entgegen. Deswegen suchen wir alle gesetzlichen Möglichkeiten, um ihnen entgegenzutreten. Aber es ist ein aufreibendes Geschäft, zumal die Kontrolle in den Moscheen vor sich geht, wo man die Sprache nicht kennt. Da stösst man schnell an Grenzen.
NZZ am Sonntag: Und wozu braucht es die Möglichkeit von Armee-Einsätzen im Innern?
Wolfgang Schäuble: Wenn wir einen Angriff aus der Luft hätten, dann müssten wir in der Lage sein, die Bundeswehr einzusetzen. Es gibt neue Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus, durch asymmetrische Kriegführung, durch «failing states». Da passt die klassische Unterscheidung zwischen innerer und äusserer Sicherheit nicht mehr. Das ist meine
Kernthese, seit vielen Jahren. Dazu habe ich auch mehrere Bücher geschrieben.
NZZ am Sonntag: Braucht es internationale Kooperation?
Wolfgang Schäuble: Wir müssen stärker international handeln. Den Kampf gegen den Terrorismus kann man nur gemeinsam führen. Ich bin seit langem überzeugt, dass unilaterale Massnahmen im Kampf gegen den Terrorismus in die Irre führen; der Irak-Krieg ist dafür ein Beispiel. Doch wir müssen selbst unseren Beitrag leisten. Dazu gehören eben auch auseichende gesetzliche Grundlagen für den Kampf gegen den Terrorismus.
NZZ am Sonntag: Die Amerikaner pflegen auch «robuste» Verhörmethoden.
Wolfgang Schäuble: Meine Position zu «robusten» Verhören und Folter ist immer archaisch klar: unter gar keinen Umständen.
NZZ am Sonntag: Was sagen Sie zum Einwand, dass mit immer mehr Kontrollen die westliche Gesellschaft ihre Freiheit abschafft?
Wolfgang Schäuble: Das ist ein grober Unsinn. Wir geniessen in der westlichen Gesellschaft ein Mass an Freiheit, ein Mass an Kommunikation wie nie zuvor. Ich kann wirklich nicht erkennen, dass wir dabei wären, die Freiheit abzuschaffen. Ich wundere mich immer: Die jungen Leute am Bahnhof reden ständig ins Handy. Und es stört sie gar nicht, dass alle andern dabei zuhören.
NZZ am Sonntag: Sie haben eine Terrorwarnung ausgegeben. Die Lage sei schlimmer als seit langer Zeit.
Wolfgang Schäuble: Sie konnten das von allen Experten hören. Al-Kaida ist offenbar wieder in einem hohen Masse aktionsfähig, und Deutschland ist bedroht. Wir alle im Westen sind im Fadenkreuz des Terrorismus.
NZZ am Sonntag: Auf welche Bedrohungsszenarien sollte man sich konkret einstellen?
Wolfgang Schäuble: Ich weiss nicht, auf welche Anschläge man sich einstellen muss. Wir müssen damit leben, dass wir bedroht sind. Wir sollten das nicht verharmlosen. Der Albtraum aller Sicherheitsbehörden ist ein Anschlag mit verseuchtem Material – chemisch, biologisch oder nuklear.
NZZ am Sonntag: Wir stehen in der Schweiz vor der Fussball-EM. Wie lässt sich ein solches Massenereignis schützen?
Wolfgang Schäuble: Vor der Fussball-Weltmeisterschaft in Deutschland habe ich immer zu Gelassenheit und Zuversicht geraten und gegen Übertreibungen, und es ist glücklicherweise gut gegangen. Vor allem hatten wir eine vorzügliche Zusammenarbeit mit den Polizeien aller europäischen Staaten. Wir haben ja die Grenzkontrollen abgebaut. Aber durch intensive
polizeiliche Zusammenarbeit haben wir einen Gewinn an Sicherheit.
Interview: Andres Wysling